Wie lange ist jemand immun gegen das Coronavirus? Welchen Unterschied macht es, ob die Immunität nach einer Infektion oder nach der Impfung entstand? Aktuelle Studien machen Hoffnung, dass die Abwehr jahrelang hält – in bestimmten Fällen vielleicht ein Leben lang.
Die Menschen in Deutschland sehnen die Herdenimmunität herbei. Denn, so die Hoffnung, dann könnten endlich die Corona-Einschränkungen fallen. Manche Experten stellen es zwar in Frage, ob dieser Gemeinschaftsschutz erreicht werden kann – schließlich wandelt sich das Coronavirus.
Aber ist es in der aktuellen Lage das Ziel, möglichst viele Menschen gegen Sars-CoV-2 zu immunisieren. Die entscheidende Frage dabei: Wie lange sind wir immun – nach Infektion oder Impfung?
Den vollen Impfschutz hat derzeit in Deutschland erst etwa jeder Fünfte. Bundesregierung und Robert-Koch-Institut (RKI) erwarten, dass es noch Wochen dauert, bis so viele Menschen einen Immunschutz haben, dass die Corona-Beschränkungen weitgehend aufgehoben werden können. RKI-Präsident Lothar Wieler betont: „Um weitgehend auf Maßnahmen verzichten zu können, müssen aber mehr als 80 Prozent der Menschen in unserem Land einen Impfschutz haben oder einen Immunschutz haben – entweder durch eine vollständige Impfung oder durch eine Infektion plus Impfung.“
Immunität hält möglicherweise ein Leben lang
Zwei neue Studien machen Hoffnung, dass der Schutz gegen das Coronavirus länger anhält, als bisher vermutet. Denn häufig hatte sich gezeigt, dass beispielsweise nach einer Infektion die Zahl der Antikörper schon nach ein paar Monaten stark gesunken war – besonders, wenn es sich um einen milden Verlauf handelte.
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Die Studien zeigen nun: Wer die Infektion durchgemacht hat, ist noch ein Jahr danach immun, vielleicht sogar ein Leben lang. Und die Impfung verbesserte den Schutz zusätzlich. Zudem benötigten diejenigen, die nach der Infektion einen mRNA-Impfstoff bekommen hatten, keine Booster-Impfung. Beide Untersuchungen erforschten die Abwehrzellen von Menschen, die vor etwa einem Jahr an Covid-19 erkrankt waren.
Die im Fachmagazin „Nature“ erschienene Publikation erklärt, dass die Immunität anhält, weil im Knochenmark wichtige Immunzellen, erhalten blieben – langlebige Plasmazellen. Damit könnte die Antiköper-Produktion jederzeit wieder angestoßen werden. Die andere noch im, bisher nicht von Fachkollegen begutachteten, Preprint auf BioRxiv veröffentlichte Analyse fand heraus: Bestimmte B-Gedächtniszellen reifen weiter und werden stärker – mindestens zwölf Monate lang nach der Infektion.
Sind solche langlebigen Plasmazellen im Körper zu finden, „beweist das, dass das Immunsystem sozusagen alle Register gezogen hat bei der Produktion der Antikörper“, erläutert der Virologe Alexander Kekulé im MDR-Podcast (Folge 189) hierzu.
Die Forschungen der Arbeitsgruppe aus St. Louis in Missouri liefere mit der „Nature“-Studie einen zentralen Beleg: nämlich, „dass wir wahrscheinlich, wenn man das positiv sieht, lebenslang ein immunologisches Gedächtnis haben gegen das Virus, was uns genau infiziert hat. Also genau die Variante von Sars-CoV-2, die uns infiziert hat, die vergisst unser Immunsystem nicht“. Allerdings untersuchten die Wissenschaftler lediglich eine kleine Zahl Erkrankter und solche mit milden Verläufen. Sprich, es bedarf weiterer Forschung, um die Ergebnisse zu erhärten.
So wehren die verschiedenen Antikörper eine Infektion ab
Um zu verstehen, wie das Immunsystem eine Corona-Infektion bekämpft, hilft ein Blick auf die verschiedenen Antikörper. Experten unterscheiden mehrere Arten, die wichtige Hinweise zur Immunität liefern. Zwei Beispiele: Die sogenannten IgA-Antikörper arbeiten praktisch als schnelle Eingreiftruppe, die beispielsweise im Nasenschleim und in der Lunge vorhanden ist und etwa eingeatmetes Virus unschädlich macht.
Sogenannte IgG-Antikörper hingegen bildet der Mensch erst nach einer gewissen Zeit im Blut. Sie gelten als Teil des Immun-Gedächtnisses und haben Einfluss auf die Schwere der Erkrankung. Sollte jemand sich erneut mit dem gleichen Erreger infizieren, sorgen sie für eine rasche Reaktion.
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Wie lange bleiben Antiköper erhalten?
„Die besten Daten, die wir haben, kommen von ehemals Infizierten“, sagt der Immunologe Carsten Watzl. Wissenschaftler untersuchten etwa, wie sich Antikörperspiegel von Betroffenen der ersten Phase der Pandemie entwickeln: Es gibt dabei nicht den einen Wert, der die Immunität anzeigt. „Es existieren keine internationalen Schwellenwerte, die definieren, ab welchem Punkt man nicht mehr immun ist“, erläutert der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie Watzl.
Was den Selbstschutz anbelangt – also das Vermeiden von schwerer Krankheit und Tod – rechnen Fachleute mit verlässlicher Abwehr noch nach einiger Zeit: Bereits bisherige Daten von Genesenen zeigten relativ stabile Werte der IgG-Antikörper im Blut, sagte Watzl. „Da kann man bei vielen Genesenen von einer Immunität von einem Jahr ausgehen.“
Weniger langanhaltende Effekte werden für den sogenannten Fremdschutz erwartet: Mit der Zeit scheinen Genese wieder mehr zur Verbreitung des Virus beizutragen. Hier sind die IgA-Antikörper auf den Schleimhäuten von Interesse: „Man sieht einfach, dieses IgA geht schneller wieder weg als das IgG“, sagte der Virologe Christian Drosten kürzlich im „Coronavirus-Update“.
Schwindender Schleimhautschutz könnte ihm zufolge beim schlimmen Wiederaufflammen der Pandemie in Indien eine Rolle gespielt haben. Insbesondere nach milden Verläufen gehe dieser Schutz „nach zwei, drei Monaten“ verloren, sagte Drosten. Nach schweren Verläufen halte er länger. Auch mehrere durchgemachte Infektionen verlängerten den IgA-Schutz.
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Infektion oder Impfung: Was liefert die „bessere“ Immunantwort?
Immer wieder stellt sich in diesem Zusammenhang ohnehin die Frage, ob die Infektion oder die Impfung die „bessere“, also wirkungsvollere, Immunantwort im Körper hervorruft. Ganz abgesehen davon, spielt es für die Praxis keine Rolle. Kaum jemand wird sich absichtlich mit dem Coronavirus anstecken wollen, nur um eine natürliche Immunisierung zu erreichen. Schließlich weiß niemand, wie mild oder schwer ein Verlauf wäre.
Der Virologe Kekulé geht davon aus, dass die Infektion zu einer breiteren Immunantwort führt und den Körper vielschichtiger stimuliert.
Etwas anders sieht das der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie. Durch Impfungen rechnet Carsten Watzl mit einem noch besseren, möglicherweise mehrjährigen Schutzeffekt vor schweren Verläufen bis hin zum Tod: Damit würden höhere Antikörperspiegel erreicht als bei der natürlichen Infektion. Die Hoffnung sei, dass die Antikörper von Geimpften ähnlich lange halten wie die von Genesenen. Die Nachbeobachtung des US-Herstellers Moderna etwa zeigt bisher, dass Antikörper mindestens sechs Monate nach der zweiten Dosis bestehen bleiben. Es lasse sich aber nicht pauschalieren: Watzl zufolge bewirken verschiedene Impfstoffarten unterschiedliche Immunantworten.
Wie lange hält der Immunschutz von Geimpften?
Dass der Schutz vor Corona nachlässt, ist Experten schon lange bewusst, auch bei Geimpften wird der Effekt erwartet. Das hängt unter anderem mit dem Ort der Immunreaktion zusammen: Eine Impfung in einen Muskel ruft vor allem Antikörper hervor, die im Blut zirkulieren – diese wandern von dort auch in die Atemwege. Sinken die Spiegel im Blut, lässt gleichzeitig der Schutz der Schleimhäute nach.
Um direkt dort einen guten Schutz aufzubauen, gelten eigentlich über die Atemwege verabreichte Impfstoffe als ideal, etwa als Nasenspray. Bis solche Präparate gegen Sars-CoV-2 marktreif sind, dürfte aber noch einige Zeit vergehen.
Wann sind Auffrischungsimpfungen notwendig?
Um die Dauer des Schutzes, aber auch die Breite zu verbessern, arbeiten Hersteller an Auffrischungsimpfstoffen. Drosten zufolge könnten diese zum Winter hin zum Einsatz kommen.
Besser abgedeckt werden sollen mit Boostern gleichzeitig neue Virusvarianten, die der Immunantwort entgehen können. Aktuell sind diese in Deutschland noch selten. Doch mit zunehmendem Anteil von Geimpften und Genesenen in der Bevölkerung könnten sie ihre Vorteile anderen Varianten gegenüber ausspielen. Im Fokus sind momentan die in Südafrika und Brasilien entdeckten Mutanten B.1.351 und P.1. Ebenfalls immer mehr beachtet: die Delta-Variante, die vornehmlich in Indien kursiert. dpa So werden Virus-Mutationen entdeckt.
Der Chef des Pharmakonzerns Pfizer, Albert Bourla, sagte kürzlich laut US-Medien, er halte künftig jährliche Corona-Impfungen für möglich. Eine Aussage, über die sich Immunologen wunderten, sagte Watzl: „Für den Großteil der Bevölkerung ist nicht zu erwarten, dass das gesamte Prozedere jedes Jahr wiederholt werden muss.“ Eine Dosis pro Saison – ähnlich wie bei der Grippeschutzimpfung – bräuchten voraussichtlich jene Menschen, deren Immunsystem nicht mehr so gut auf eine Impfung anspricht, etwa aus Altersgründen oder wegen Immunschwäche durch Vorerkrankungen. Für sie sei es wichtig, durch ein geimpftes Umfeld mitgeschützt zu werden. Dafür reichten voraussichtlich Auffrischungen im Abstand von mehreren Jahren.
Immunität wird Corona kontrollieren können
Insgesamt zeigt sich der Virologe Kekulé optimistisch. Die Immunität, die die Menschen auf dem einen oder anderen Weg erreichen, werde Corona beherrschen können. Seiner Meinung werde es nicht in dem Sinn endemisch bleiben, dass wir ständig weitere Infektionen haben, die wir überhaupt nicht unter Kontrolle bekommen, sondern es werde in einen kontrollierten Zustand übergehen.
Der Pandemie-Experte bilanziert: „Das Covid-erzeugende Virus, das Pandemie-Virus, ist letztlich auf dem Weg, von einem Raubtier zu einem Haustier zu werden. Und zwar, weil das Virus sich verändert und weil unser Immunsystem sich daran anpasst.“
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