Finden Sie es als Kinderarzt nicht frustrierend, dass alles so lange dauert?

Kinder unter zwölf Jahren können in Deutschland bislang nicht gegen das Coronavirus geimpft werden (Symbolbild)

SPIEGEL: Herr Maske, die Europäische Arzneimittelagentur Ema hat empfohlen, die Coronaimpfung für Kinder zwischen fünf und elf Jahren zuzulassen. Sind die Kinderärztinnen und -ärzte auf einen möglichen Ansturm von Kinderimpfungen vorbereitet?

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Johann Jakob Maske ist Kinderarzt in Berlin und Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte. Wiederholt hat Maske sich dafür ausgesprochen, dass vor allem Erwachsene Kinder schützen, indem sie sich impfen lassen. Der Verband spricht sich dafür aus, mit den Kinderimpfungen auf die Stiko-Empfehlung zu warten.

Maske: Wir sind dafür gewappnet, die Kinder dieser Altersgruppe zu impfen, aber einen Ansturm wird es vorerst gar nicht geben. Die Zulassung bedeutet ja nicht, dass es direkt losgeht mit den Impfungen.

SPIEGEL: Wieso?

Maske: Zum einen, weil die Stiko, die Ständige Impfkommission, die Impfung der Fünf- bis Elfjährigen noch nicht empfiehlt, und zum anderen, weil die speziellen Impfstoff-Ampullen für diese Altersgruppe noch nicht da sind.

SPIEGEL: Bei den 12- bis 17-Jährigen kam die Stiko-Empfehlung erst Monate nach der Ema. Irgendwann haben die Gesundheitsminister entschieden, nicht mehr auf die Stiko zu warten, sondern allen Kindern dieser Altersgruppe trotzdem ein Impfangebot zu machen. Warten die Kinderärztinnen und -ärzte diesmal überhaupt noch auf die Stiko-Empfehlung?

Maske: Natürlich wird es jetzt Eltern geben, die ihre Kinder unbedingt sofort impfen lassen wollen. Wir halten als Verband jedoch die Kinderärzte dazu an, noch auf die Stiko zu warten. An der Zulassungsstudie haben nur 3000 Kleinkinder teilgenommen, von denen 1500 in der Impfgruppe waren. Ich finde es gerechtfertigt, wenn die Stiko sagt, diese Daten reichen ihr noch nicht. Sie wartet darauf, bis mehr Kinder geimpft sind, um auch mögliche seltene Nebenwirkungen zu erfassen. Wir wollen einen guten und sicheren Impfstoff für die Kinder.


SPIEGEL: Für den Großteil der Kinder ist Covid-19 nicht so gefährlich wie für Ältere. Aber für Kinder mit chronischen Krankheiten trifft das nicht zu, sie haben teilweise ein sehr hohes Risiko, schwer an Covid-19 zu erkranken. Ihre Eltern dürften ziemlich verzweifelt sein, wenn die Ema nun endlich den Kinderimpfstoff empfiehlt, die Ärzte aber trotzdem noch nicht impfen – gerade bei den aktuellen Fallzahlen.

Maske: Bei Risikopatienten gilt genau aus diesem Grund eine andere Abwägung: Kinder, die ein hohes Risiko für schwere Covid-19-Verläufe haben, sollten auch bestmöglich vor einer Infektion geschützt werden. Für Kinder mit Vorerkrankungen wird die Stiko die Impfung daher vermutlich schon Ende des Jahres empfehlen. Darüber hinaus steht es natürlich jedem Arzt frei, in eigenem Ermessen und in Absprache mit den Eltern zu entscheiden, ob er ein Kind schon vor dieser Empfehlung impft. Man sollte aber immer prüfen, ob das medizinisch auch sinnvoll ist.

SPIEGEL: Kinderärzte können also bereits auf Grundlage der Ema-Empfehlung impfen?

Maske: Das Problem ist, dass Kinder zwischen fünf und elf eine andere Dosis als Erwachsene benötigen. Der Hersteller Biontech hat dafür eigene Ampullen angefertigt, die jedoch in Deutschland erst ab 20. Dezember geliefert werden.




SPIEGEL: Das heißt, auch jetzt, wo die Ema die Kinderimpfungen empfohlen hat, können sie de facto in Deutschland nicht durchgeführt werden.

Maske: Das ist richtig. Man kann die Dosis für Kleinkinder zwar theoretisch auch aus einer Ampulle für Erwachsene gewinnen, indem man die Dosis drittelt. Das sind dann 0,1 Milliliter des Impfstoffs. Aufgrund der geringen Menge besteht da aber zum einen die Gefahr, nicht exakt die richtige Dosis abzumischen, und außerdem ist das Verfahren nicht durch die Ema zugelassen. Einige Ärzte führen diese sogenannten Off-Label-Impfungen dennoch bereits durch. Aber rechtlich ist das heikel. Denn beim Einsatz eines nicht zugelassenen Arzneimittels haften im Zweifel die Eltern, falls es zu Schäden kommt. Bei gesunden Kindern, die kein erhöhtes Covid-19-Risiko haben, ist es also sinnvoll, auf die von der Ema zugelassenen Ampullen und die Stiko-Empfehlung zu warten.

SPIEGEL: Wann rechnen Sie denn mit der Stiko-Empfehlung?

Maske: Anfang 2022, es wird also erst Anfang des Jahres so richtig mit den Kinderimpfungen losgehen.

SPIEGEL: Ende Dezember werden also die Ampullen geliefert, jedoch vorerst nur zwei Millionen. In Deutschland gibt es aber rund 4,5 Millionen Kleinkinder zwischen fünf und elf – für eine vollständige Immunisierung dieser Altersgruppe wären somit rund neun Millionen Ampullen notwendig. Werfen Sie Herrn Spahn vor, dass er zu wenig Impfstoff bestellt hat?

Maske: Nein, das tun wir nicht. Die zwei Millionen Dosen werden erst einmal ausreichen. Wie gesagt, die Mehrheit der Ärzte und Eltern werden zunächst auf die Stiko-Empfehlung warten. Wenn die dann kommt, wird es auch Impfstoff-Nachschub geben. Zudem werden vor Weihnachten vermutlich sowieso nicht so viele zum Impfen gehen, aus Angst vor Impfreaktionen während der Feiertage.


SPIEGEL: Finden Sie es als Kinderarzt nicht frustrierend, dass das alles so lange dauert?

Maske: Nein, das finde ich nicht. Die große Mehrheit der Kinder erkrankt nicht schwer an Covid-19, eine Impfung ist aus medizinischer Sicht bei den meisten von ihnen nicht absolut notwendig. Doch je höher die Fallzahlen sind, desto mehr Kinder wird es geben, die doch schwer erkranken. Die Verantwortung liegt also bei den Erwachsenen: Um die Kinder zu schützen und die Pandemie in den Griff zu bekommen, ist es viel wichtiger, dass sich mehr Erwachsene impfen lassen. Denn sie sind es, die schwer erkranken und die Krankenhäuser und Intensivstationen füllen – nicht die Kinder, schon gar nicht die Fünf- bis Elfjährigen. Wir haben uns daher für eine Impfpflicht für Erwachsene ausgesprochen.

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