Keine Ahnung vom Zyklus? Warum wir uns deshalb nicht stressen müssen – und wann das Wissen sinnvoll ist

Frauen können Kinder zur Welt bringen, bluten in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen und haben manchmal mit Hormonschwankungen zu kämpfen, nicht selten auch mit menstruationsbedingten Schmerzen. Kurzum: Der weibliche Körper ist komplex und leistet viel. Das wissen viele Frauen. Trotzdem kennen die meisten ihren eigenen Zyklus nicht genau. Wissen nicht, wann sie fruchtbar sind, wann genau ihre nächste Periode ansteht und was eigentlich gerade in ihrem Körper vorgeht.

Das geht auch aus einer aktuellen Studie hervor, die die Fertility-Tracker-Marke Daysy gemeinsam mit Statista umgesetzt hat. Befragt wurden 1000 Frauen im Alter zwischen 18 und 49 Jahren. Die Ergebnisse, die dem stern detailliert vorliegen, sind erstaunlich:

  • 87 Prozent der befragten Frauen wissen nicht genau, wie der weibliche Zyklus funktioniert.
  • 46 Prozent der befragten Frauen wissen nicht sicher, wann ihr Eisprung stattfindet.
  • Zehn Prozent der befragten Frauen denken, sie könnten in jeder Phase ihres Zyklus schwanger werden.

Auch aus anderen Studien geht hervor, dass es noch viele Unsicherheiten in Bezug auf den weiblichen Zyklus gibt. So zeigen Ergebnisse einer Studie aus dem Jahr 2005, dass nur 14 Prozent der befragten Frauen bei der Einschätzung ihres Eisprungs richtig lagen. Eine andere Studie aus dem Jahr 2018 bestätigt, dass es Unsicherheiten gibt: "Die wichtigsten Ergebnisse zeigten, dass die Teilnehmer von einer niedrigen bis mittleren Fertility Awareness (FA) berichten." Aber wie kann es sein, dass viele Frauen ihren eigenen Körper und Zyklus so schlecht kennen?

Beststeller-Autorin Alena Schröder


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Der weibliche Zyklus als Tabuthema?

Natalie Rechberg-Egly ist die Gründerin von Daysy, sie setzt sich für die sogenannte Fertility Awareness ein. Die Leidenschaft für das Thema liegt in der Familie: Ihr Vater entwickelte 1984 weltweit einen der ersten Zykluscomputer, der Thermosensor und Software kombinierte und legte so mit einen Grundstein für alles, was heute unter dem Begriff "FemTech" bekannt ist. Sie wünscht sich, dass Frauen sich mit ihrem Zyklus bewusst auseinandersetzen, um Muster dahinter zu erkennen und sich und ihren Körper besser einschätzen zu können. Dass viele Frauen nicht wissen, in welcher Phase des Zyklus sie sich gerade befinden, erklärt Rechberg-Egly so: "Zum einen sind es die hormonellen Verhütungsmittel, die oft nicht nur in den Zyklus eingreifen, sondern den Frauen die Verantwortung 'abnehmen' und so dafür sorgen, dass das Thema wenig Aufmerksamkeit bekommt."

Viele Frauen würden sich darüber hinaus erst mit ihrem Zyklus und dessen Bedeutung auseinanderzusetzen, wenn sie eine Schwangerschaft planen. "Durch den hohen gesellschaftlichen Druck und die damit verbundene sehr gezielte Familienplanung ist es dabei nicht ungewöhnlich, dass dem Kinderwunsch bis zu 20 Jahre der hormonellen Verhütung vorausgehen – so spielt der eigene Zyklus einen Großteil der fruchtbaren Jahre kaum eine Rolle", so Natalie Rechberg-Egly.

Doch es ei auch ein Bildungsproblem. "Der zweite Aspekt ist die mangelnde Aufklärung im Rahmen der Allgemeinbildung: Zwar wird in der Schule mittlerweile viel Wert auf Sexualaufklärung gelegt, jedoch gehört der weiblichen Fruchtbarkeit und dem Wissen rund um den Zyklus nur ein kleiner Anteil des Lernfeldes." Auch Ärzt:innen hätten pro Sprechstunde nur wenig Zeit, die unterschiedlichen Abläufe im Zyklus so zu erklären, wie es wünschenswert wäre. Es sei dadurch schwieriger, ohne viel eigene Recherche an Informationen zu kommen.

Christian Albring ist Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte. Er sagt hingegen: "Das Wissen rund um den Zyklus – auch mit sehr guten und verständlichen Darstellungen – war noch nie so leicht greifbar wie heute." Es werde seiner Erfahrung nach mittlerweile auch offener darüber gesprochen. Und er stellt fest: Es sei nicht notwendig, dass sich Mädchen oder Frauen ständig den Kopf über den eigenen Zyklus zerbrechen, es sei denn, die Intervalle seien sehr lang oder kurz und die Blutung stark oder schmerzhaft. "Der Zyklus verändert sich ja immer wieder, ist mal verkürzt, ein anderes Mal verlängert, abhängig auch vom persönlichen Wohlbefinden“, erklärt er.

Sollten Frauen ihren Zyklus besser kennen?

Die Daysy-Gründerin sieht das anders: "Für mich ist das Verständnis des eigenen Körpers die Grundlage, um das eigene (Sexual-)Leben selbstbestimmt zu beschreiten." Es sei wichtig, die Vorgänge im eigenen Körper zu verstehen und zu kennen, "etwa wenn frau die Familienplanung selbst in die Hand nehmen möchte. Außerdem ist der Eisprung beispielsweise nicht nur wichtig, um Schwangerschaften zu planen, sondern er beeinflusst auch unsere allgemeine Gesundheit wie unser Immunsystem, unsere Herzfunktion oder den Knochenaufbau."

Albring sagt dazu: "Bei Frauen, die einen Kinderwunsch haben oder die allein durch Zyklus-Beobachtung verhüten wollen, bekommt das frühzeitige bevorstehende Erkennen des Eisprungs eine besondere Bedeutung." Kann das Wissen über den eigenen Zyklus aber auch abseits eines Kinderwunsches oder dem Verhüten durch die Zyklus-Beobachtung sinnvoll sein?

Was hat es mit dem sogenannten „Cycle syncing“ auf sich?

Auch wegen der wachsenden Zahl an Unternehmen wie Daysy, die rund um ihre Produkte über den Zyklus aufklären, macht im Netz das sogenannte "Cycle syncing" die Runde. "Dabei geht es darum, die Prozesse, die während des Zyklus in unserem Körper ablaufen, zu verstehen und gezielt durch Ernährung und Bewegung für sich zu nutzen," erklärt Rechberg-Egly. Schwankungen von Hormonen wie Östrogen oder Progesteron, die im Laufe des Monats auftreten, wirken sich nicht nur auf Stoffwechsel und Essverhalten aus, sondern auch auf das Energie-Level, das Gefühlsleben, die Schlafqualität und vieles mehr, so die Unternehmerin. "Wer seinen Zyklus kennt, kann lernen, die verschiedenen Phasen für sich zu nutzen, indem Ernährungs- und Trainingsroutinen im Laufe des Monats entsprechend angepasst werden."

Eine Hommage an die weibliche Natur

Dr. Albring weiß ebenfalls um das aktuell viel besprochene Thema des "Cycle syncing". Dies sei in manchen Fällen sinnvoll: "Aus dem Hochleistungssport ist bekannt, dass Leistungssteigerungen besser in der ersten Zyklushälfte zu erreichen sind als nach dem Eisprung. Das bedeutet aber nicht, dass in der zweiten Zyklushälfte gar kein Sport getrieben werden sollte – es geht dann nur eher um den Erhalt und die Stabilisierung des Erreichten." Eine Sportlerin solle sich in dieser Zeit nicht ärgern, wenn sie nicht zu persönlichen Rekorden und Hochleistungen kommt – ausgeschlossen sei das aber keinesfalls, wenn sie den Sport kontinuierlich betreibt.

Der Frauenarzt sagt aber auch, dass im Breitensport, in dem es nicht auf Spitzenleistungen ankommt, sondern auf den Aufbau und Erhalt der Fitness, solche Überlegungen eher zweitrangig seien. "Während der Menstruation selbst sind manche Frauen sehr leistungsfähig, andere haben ein Leistungstief. Das ist individuell sehr unterschiedlich." Allgemein könne man sagen, dass jeglicher Stress Einfluss auf das Rückkopplungssystem zwischen Hypothalamus – Hypophyse – Eierstock nehme. Hochleistungssportlerinnen hätten deshalb häufiger Zyklen ohne Eisprung.

Ernährung und Zyklus

Das "Cycle syncing" besagt auch, dass es sinnvoll sein kann, die Ernährung nach der Zyklusphase auszurichten, etwa um Heißhungerattacken zu vermeiden und den Körper gezielt mit den Nährstoffen zu versorgen, die er in der Zyklusphase am meisten benötigt. Auch, um Unwohlsein richtig einzuordnen zu können, könne es wichtig sein, den eigenen Körper als Frau besser zu verstehen.

Dazu Dr. Albring: "Es ist grundsätzlich sinnvoll, sich über den gesamten Zyklus hinweg so ausreichend zu ernähren, dass der Körper die benötigten Hormone produzieren kann und alle Abläufe im Körper reibungslos funktionieren können. Eine sehr knappe, sehr Protein- und Fett-arme Ernährung und gleichzeitiges Hochleistungstraining können zu einem Hormonmangel bis hin zum Ausbleiben des Eisprungs und der Menstruation führen und damit zur Unfruchtbarkeit." Das sollte vermieden werden. Während der PMS-Phase werde zudem häufig empfohlen, auf Alkohol und Zucker zu verzichten. "Das fällt häufig schwer, weil gerade in dieser Phase der Zucker-Hunger oft sehr groß ist. Eisen-haltige Nahrungsmittel sollten immer ausreichend zugeführt werden, um langfristig den Blutverlust durch die Menstruation ausgleichen zu können", erklärt der Gynäkologe.

Fruchtbare Tage


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Wie können Frauen den eigenen Zyklus kennenlernen?

Es kann also sinnvoll sein, sich mit dem eigenen Zyklus eingehend zu beschäftigen.  Natalie Rechberg-Egly empfiehlt interessierten Frauen, in sich hineinzuhorchen und sich Notizen zur tagesaktuellen Stimmung oder körperlichen Merkmalen zu machen. Nach einigen Monaten können Frauen dann ein Muster erkennen. "Auch die Basaltemperatur gibt Hinweise darauf, in welcher Zyklusphase wir uns befinden – so steigt die Temperatur kurz nach dem Eisprung um wenige Zehntel Grad an." Zykluscomputer, die darüber hinaus mit vielen weiteren Daten arbeiten und einen selbstlernenden Algorithmus hätten, können dabei helfen, sagt sie.

Albring fügt hinzu, dass eine solche Selbstbeobachtung auch aus medizinischer Sicht sinnvoll sein könne: "Manche Frauen entdecken erst dann, wenn sie solche Notizen regelmäßig machen, dass sie zum Beispiel besondere Stimmungstiefs vor dem Beginn der Menstruation haben, oder dass Schmerzen beim Sex oder beim Stuhlgang bevorzugt vor oder während der Menstruation auftreten." Das erste deute auf ein PMS hin, das zweite auf eine Endometriose.

Er warnt allerdings davor, dies als Verhütungsmethode zu nutzen: "Das Messen der Basaltemperatur – morgens nach dem Aufwachen – ist als alleinige Verhütungsmethode völlig ungeeignet. Denn Spermien können in der Gebärmutter und den Eierstöcken bis zu fünf Tage überleben, deshalb muss ein Paar, das keine Kinder haben möchte, etwa sechs Tage vor dem Eisprung und vor dem Temperaturanstieg entweder Barriere-Methoden verwenden oder enthaltsam bleiben bis einen Tag nach dem Temperaturanstieg." 

Selbstbeobachtung via App oder klassisch mit Stift und Papier

Er sieht die reine Messung der Basaltemperatur aber auch zum Kennenlernen des weiblichen Zyklus als nicht ausreichend, "da der Tag des Eisprungs sich von Zyklus zu Zyklus immer verändern kann und die Körpertemperatur durch unzählige Faktoren beeinflusst wird." Die Zyklusbeobachtung per alleiniger täglicher Temperaturmessung sei "auf keinen Fall zuverlässig genug, weder beim Kinderwunsch noch bei der Verhütung, ganz egal wie gut das darunter liegende System rechnet."

Sein Tipp: Es müsse die regelmäßige Selbstuntersuchung des Zervixschleims hinzukommen. "Wenn eine Frau Übung darin hat, kann sie erste Veränderungen des Zervixschleims bereits fünf bis sechs Tage vor dem Eisprung beobachten. Andere Methoden der Zyklus-Beobachtung haben bis heute ihre Zuverlässigkeit nicht nachweisen können." Zudem sei es zum Kennenlernen des eigenen Zyklus hilfreich, die Tage der Menstruation im Kalender festzuhalten – ob nun via Apps, die es mittlerweile zur Genüge gibt, oder auch klassisch mit Stift und Papier. "Auf jeden Fall sind Zyklus-Apps wirklich nur für die Selbstbeobachtung da, nicht zur sicheren Verhütung", macht er klar.

Natalie Rechberg-Egly findet dennoch, dass sich Frauen intensiver mit ihrem Zyklus beschäftigen und ihn thematisieren sollten. Frauen würden sich zu oft noch für "Launen" rechtfertigen müssen oder hätten mit Klischees zu kämpfen, findet sie. Der weibliche Zyklus werde oftmals noch stigmatisiert und das müsse sich ändern. Es sei daher wichtig, immer wieder über das Thema weiblicher Zyklus zu sprechen: "Die weibliche Fruchtbarkeit und damit der Zyklus sind völlig normal und sollten gefeiert statt verschwiegen werden: Unser Körper leistet jeden Tag Unglaubliches und verdient es, dass wir offen und unbeschwert darüber sprechen."

Verwendete Quellen: "Frauenärzte im Netz" / "Validating signals of ovulation: Do women who think they know, really know?”, “American Journal of Human Biology" / "What do people know about fertility? A systematic review on fertility awareness and its associated factors" / BMJ Journals / AOK Gesundheitsmagazin / "Utopia" 

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