Proteinhaltige Arzneimittel haben einen großen Nutzen. Doch sie erfordern auch ein besonders sorgsames Handling. Die Stiftung für Arzneimittelsicherheit hat genauer hingeschaut: Wie geht man in der Praxis tatsächlich mit den Biopharmazeutika um? Im Ergebnis fordert Dr. Franz Stadler, Beiratsvorsitzender der Stiftung, sauber aufgesetzte und durchgeführte klinische Untersuchungen zum Thema, die von den Aufsichtsbehörden angeordnet und überwacht werden müssen.
Überzeugt vom großen Nutzen proteinhaltiger Arzneimittel, aber auch von einem in der Praxis teilweise sorglosen Umgang damit, hat sich die private Stiftung für Arzneimittelsicherheit an die Arbeit gemacht. Sie sammelte Hinweise, führte eine Studie durch und kreiste das Problem – den sicheren Umgang mit proteinhaltigen Arzneimitteln – von verschiedenen Seiten ein. Was sind die Erkenntnisse?
59 Prozent aller neu zugelassenen Medikamente 2022 in Deutschland waren Biopharmazeutika (2021: 46 %) [1]. Ihr Anteil am Gesamtmarkt ist auf 32,9 Prozent gestiegen. Ihre herausragende Bedeutung für die Gesundheitsversorgung in Deutschland steht also außer Frage. Biopharmazeutika, insbesondere Impfstoffe, Insuline, Enzyme, Wachstumshormone und andere Proteine, sind aus der modernen Medizin nicht mehr wegzudenken.
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Hohe Umsätze korrelieren aber in der Regel mit hohen Gewinnerwartungen und führen aus marktwirtschaftlichen Erwägungen heraus auch zu einem gewinnorientierten Handel und Handeln, und zwar auf allen Verwertungsstufen.
Besonderheiten proteinhaltiger Arzneimittel im Handel, in der Logistik und in der Handhabung
Für Fertigarzneimittel gilt innerhalb der Europäischen Union der freie Warenverkehr. Es gibt nicht nur einen regen Zwischenhandel innerhalb Deutschlands, wegen vorhandener nationaler Preisunterschiede wird auch viel im- und exportiert. Laut Barmer Ersatzkasse wurden 2019 knapp 7 Prozent des gesamten Arzneimittelbruttoumsatzes importiert [2]. Laut dem Verband forschender Pharmaunternehmen (vfa) sind auch die Exporte an Arzneimitteln 2019 auf mehr als 80 Milliarden Euro gestiegen [3].
Aus Sicht des internationalen Wettbewerbs haben Arzneimittel keinerlei rechtliche Sonderstellung unter allen anderen Waren oder Produkten, die beispielsweise nach Deutschland importiert werden. Im Gegenteil: In Deutschland gibt es sogar eine Importquote, die monatlich von den Apotheken bei der Arzneimittelabgabe erfüllt werden muss. Das gilt auch für proteinhaltige Fertigarzneimittel, deren Lagerung/Handling aber durchaus problematisch sein kann – auch wenn diese Fertigarzneimittel technologisch unter erheblichen Aufwand stabilisiert sind. An spezielle, mutmaßlich kriminelle Machenschaften auf diesen teilweise sehr verworrenen Transportwegen sei nur am Rande erinnert.
Viele proteinhaltige Arzneimittel müssen zudem vor ihrer Anwendung unter aseptischen Bedingungen in einem Reinraum applikationsfertig zubereitet werden. Auch hier gibt es aus marktwirtschaftlichen Erwägungen heraus, vielfältige Konzentrierungsprozesse, Vertikalisierungen und logistische „Vereinfachungen“, die allenfalls mit untergeordneter Priorität mögliche Veränderungen im Wirk- und Nebenwirkungsprofil proteinhaltiger Arzneimittel berücksichtigen.
Realität ist also, dass im Handel, in der Logistik und in der Handhabung kaum auf die Besonderheiten proteinhaltiger Arzneimittel Rücksicht genommen wird. Eine Minimierung der notwendigen Belastung dieser Wirkstoffe auf dem Weg zum Patienten wird bisher nicht angestrebt. Der wirtschaftliche Erfolg steht zurzeit über Sicherheits- und Qualitätsanforderungen.
Proteinhaltige Arzneimittel sind anfällig für Wirkverluste
Dabei unterscheiden sich proteinhaltige Arzneimittel prinzipiell von anderen Arzneimitteln. Grob können Arzneimittel in zwei Hauptwirkstoffgruppen eingeteilt werden: Biopharmazeutika und „small molecules“ (niedermolekulare Wirkstoffe). Deren zentrale Kriterien sind in der folgenden Tabelle zusammengefasst:
Biopharmazeutika
small molecules
Proteinhaltige Arzneimittel enthalten also Wirkstoffe, die relativ groß, deswegen und wegen ihrer für die Wirkung sehr wichtigen räumlichen Struktur relativ instabil, und anfällig für Wirkverluste sind. Proteine können zudem als körperfremd erkannt werden und verschiedene nicht beabsichtigte Immunantworten (Immunogenitäten) auslösen. Diese Effekte treten besonders bei aggregierten Proteinen („ideale“ Größe zwischen 20 und 50 nm) auf und können sich bei wiederholten Anwendungen verstärken.
Aus diesen wohlbekannten Gründen ist ein sorgfältiger und behutsamer Umgang mit diesen Arzneimitteln einzufordern. Unnötige Belastungen sind im Interesse der Arzneimittel- und Patientensicherheit zu vermeiden. Das gilt besonders für Infusionen – also verdünnte, applikationsfertige Zubereitungen dieser Wirkstoffe. Es gilt aber auch für Fertigarzneimittel, obwohl diese durch diverse technologische Maßnahmen als relativ stabile Formulierungen vorliegen [4].
Epidemiologisch zunehmend Wirkverluste bei proteinhaltigen Arzneistoffen beobachtet
Big Data verspricht im Gesundheitswesen viele Vorteile – gerade auch bei der Nachverfolgung von Nebenwirkungsmeldungen nach erfolgter Markteinführung. Öffentlich zugänglich sind dabei u.a. drei große Datenbanken: VigiAccess (WHO), Eudra Vigilance (EMA) und FEARS (FDA).
Von diesen drei großen Datenbanken ist die nach meiner Ansicht anwenderfreundlichste die FEARS-Datenbank der FDA. Sie umfasst 27.096.432 Einträge (Stand 29.08.2023) und bietet verschiedene Suchtools, die zwar eine Auswertung ermöglichen, aber leider keine exakte Interpretation. Obwohl alle drei Datenbanken die gemeldeten Nebenwirkungen in 27 gleichlautende „Reaction Groups“ einsortieren, sind die Meldungen pro Jahr, die Meldenden und der Schweregrad der Meldungen sehr unterschiedlich und nicht (oder kaum) nachvollziehbar. Festzuhalten bleibt aber zunächst, dass in der FEARS-Datenbank die überwiegende Zahl (für die von uns untersuchten monoklonalen Antikörper (mAbs) ca. 80 %) aller Meldungen als schwer eingestuft ist.
Allerdings werden die Meldungen nicht überprüft oder zusammengefasst. So teilen sich beispielsweise in der FEARS-Datenbank die Meldungen auf 21.869 „Reactions“ (Folgen) auf, deren Setzung/Benennung doch recht willkürlich erscheint. Worin soll beispielsweise der Unterschied zwischen „Therapeutic Product Effect Decreased“, „Therapeutic Response Decreased“, „Therapeutic Response Shortened“, „Drug Tolerance Decreased“ und „Loss Of Therapeutic Response“ bestehen?
Schließlich gibt es „Reactions“, die wahrscheinlich deshalb selten genannt werden, weil sie in der Praxis kaum oder nicht routinemäßig bestimmt werden. „Drug Specific Antibody“ wurde seit 2012 nur 1537-mal eingetragen, erscheint aber auch unter „Drug Specific Antibody Present“ 4386-mal (seit 1997).
Trotz all dieser Mängel zeigt sich deutlich, dass seit 1997 die Zahl der gemeldeten Wirkverluste für fünf Reactions (Therapeutic Response Decreased, Therapeutic Product Effect Decreased, Therapeutic Response Shortened, Drug Tolerance Decreased und Drug Specific Antibody Present) von 0,14% (220 Fälle) auf 9,29% (15.038 Fälle) 2022 stark zugenommen hat (Abb. 1). Unter den zehn häufigsten Wirkstoffen dieser fünf Reactions sind acht Proteine, deren große Zeit 1998 begann. Verglichen mit den Gesamtmeldungen für die jeweiligen Wirkstoffe weisen prozentual bei diesen fünf „Reactions“
- Onabotuliumtoxina (9,13%),
- Golimumab (8,66%) und
- Tocilizumab (7,85%) die häufigsten Meldungen auf.
Von den durch uns untersuchten mAbs weist
- Infliximab hier mit 6 Prozent der gemeldeten Nebenwirkungen den höchsten Wert auf, gefolgt von
- Rituximab mit 3,6 Prozent.
Geht man jetzt noch davon aus, dass ein schleichender Wirkverlust nicht unbedingt als schwere Nebenwirkung eingestuft wird und deshalb die Melderaten ins System eher klein sind, ist von einer erheblichen Dunkelziffer auszugehen.
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Alles in allem kann also konstatiert werden, dass auch epidemiologisch zunehmend Wirkverluste bei proteinhaltigen Arzneistoffen beobachtet werden. Die Ursachen hierfür sind weitgehend unbekannt, hängen sehr wahrscheinlich von der Natur des jeweiligen mAb ab und führen vermutlich nicht unbedingt immer zu schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Nebenwirkungen.
Thesen müssen untersucht werden!
Zusammenfassend bleibt zu fordern, dass den Ursachen des theoretisch erwartbaren und zu beobachtenden Wirkverlustes bei proteinhaltigen Arzneimitteln zwingend nachgegangen werden sollte. Wirkverlust bedeutet: Für die betroffenen Patientinnen und Patienten werden im besten Fall Dosiserhöhungen oder ein Wechsel des gewohnten Präparates notwendig – Maßnahmen, die an sich schon mit erheblichen Kosten/Umstände verbunden sind. Es sind aber auch schwerwiegendere Folgen (allergische Ereignisse, Autoimmunreaktionen etc.) denkbar. Sollten sich diese Wirkverluste, bzw. einige schwere Nebenwirkungen jedoch ganz oder teilweise auf Aggregate und durch sie ausgelöste Immunogenitäten zurückführen lassen, könnten manche dieser Ursachen möglicherweise leicht durch einen sorgsameren Umgang mit diesen speziellen Medikamenten, beim Handel, in der Logistik, aber auch bei der Zubereitung, vermieden oder zumindest reduziert werden. Hinweise für diese Thesen gibt es genug. Ob das in der Realität aber tatsächlich so ist, muss angesichts der medizinischen Bedeutung dieser Wirkstoffgruppe unbedingt untersucht und geklärt werden.
Literatur
[1] Pressemitteilung 011/2023 des vfa (Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V.). Mehr als die Hälfte der neu zugelassenen Medikamente sind Biopharmazeutika. 22.05.2023, www.vfa.de/de/presse/pressemitteilungen/pm-011-2023-mehr-als-die-haelfte-der-neu-zugelassenen-medikamente-sind-biopharmazeutika.html
[2] Barmer Institut für Gesundheitssystemforschung. Gesundheitswesen aktuell 2020. doi: 10.30433/GWA2020-234
[3] Pressemitteilung 005/2021 des vfa (Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V.). Deutscher Exportboom bei Arzneimitteln. 12.03.2021, www.vfa.de/de/presse/pressemitteilungen/pm-005-2021-deutscher-exportboom-bei-arzneimitteln.html
[4] Stadler F, Wellenhofer T. (Fast) wie ein rohes Ei: Besonderheiten im Umgang mit Proteinen als Arzneimittel. DAZ 2023, Nr. 32, S. 38, 10.08.2023
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