Blasenschwäche: Wie helfen Operationen?

Auf jeder Treppenstufe verlor sie einen Tropfen Urin. Gleich ein paar Tropfen, wenn sie eine Kiste Wasser mit einem Ruck hochhob. Seit einer missglückten Bandscheiben-OP litt Elke G. aus Uslar (Niedersachsen) jahrelang unter einer ­sogenannten Belastungsinkontinenz. Bei der Betäubung im Bereich des Rückenmarks hatten die Ärzte Nerven lahmgelegt, die die Entleerung der Blase steuern.

Mit Beschwerden offen umgehen

Bei jeder Druckerhöhung im Bauch­raum – sei es durch Husten, Lachen oder beim Joggen – gab ihre Harn­röhre ein wenig Urin ab. Belastend nicht nur körperlich, sondern vor allem für die Seele. Doch sich zurückzu­ziehen und sich in ihrem Alltag einzuschränken kam für die Realschullehrerin nicht infrage. "Ich habe ständig neue Vorlagen verwendet und dunkle Stoffe getragen, damit man nichts sieht. Und oft gedacht: Hoffentlich ist bald Pause."

Hilfe aus der Apotheke

In vielen Apotheken können Sie sich zu geeigneten Windelslips, Einmalhosen oder Vorlagen bei Inkontinenz beraten lassen. Für Produkte, die nicht von den Krankenkassen erstattet werden, ist eine Zuzahlung notwendig.

Seit einigen Jahren ist die 69-Jährige als Lehrkraft in einer Altenpflegeschule tätig, wo sie das Thema ganz offensiv ansprach. "Ich sagte, es könne jederzeit sein, dass wegen meiner Inkontinenz ein Malheur passiert."

Ihre Offenheit kam bei ihren Schütz­lingen gut an, sie reagierten verständnisvoll. "Es ist eine Krankheit wie jede andere auch. Warum sollte man nicht darüber reden?", sagt Elke, die mit damit stets positiv umging. Unter den Beschwerden litt sie dennoch.

Hängematte unter der Harnröhre

Fast jede vierte Frau leidet im Lauf ­ihres Lebens unter einer undichten Blase, wenn diese belastet wird – mehr als an Diabetes oder an Migräne. Viele plagen sich unnötig mit der Erkrankung, die gut behandelt werden kann. Ein kleines Kunststoffband verbessert das Leben der Patientinnen oft schlagartig. So wie bei Elke G. Vor etwas mehr als einem Jahr legte ihr ein Arzt innerhalb weniger Minuten ein solches Band unter die Harnröhre.

"Das Bändchen liegt wie eine Hängematte unter der Mitte der Harnröhre und stabilisiert sie", erklärt Professor Boris Gabriel, Chefarzt der Frauenklinik am St.-Josefs-Hospital in Wiesbaden. "Es wird nicht befestigt, sondern verwächst mit der Zeit mit dem körpereigenen Ge­webe."

Meistens liegt es U-förmig hinter dem Schambein. Bei einer Variante wird es flacher und um die Hüftknochen he­rum eingesetzt. In den vergangenen Jahren kamen auch kürzere und weniger breite Bänder ins Spiel, die mit Kunststoffankern ins Gewebe eingebracht werden, sogenannte Minischlingen. Diese sind allerdings nicht unumstritten. Unklar ist auch, ob sie genauso lange wirksam sind wie ihre Vorbilder, für die es bereits 20-Jahres-Daten gibt.

Tension Free Vaginal Tape

Die Methode, die der schwedische Arzt Professor Ulf Ulmsten in den 90ern entwickelte, revolutionierte die operative Standardbehandlung der Belastungsinkontinenz. Das allererste Produkt, das eine US-Firma auf den Markt brachte, hieß "tension free vaginal tape" (TVT) – auf Deutsch "spannungsfreies Vaginalband".

Bis dahin war ein größerer Eingriff nötig, der einen längeren Krankenhausaufenthalt nach sich zog. Nach einem Bauchschnitt wurde der Blasenhals ange­hoben, um die Harnröhre zu entlasten und den Druck von ihr zu nehmen. Kolpo­suspension nennen Fachleute das immer noch anerkannte Verfahren, das heute per Bauchspiegelung erfolgt – allerdings nur dann, wenn eine Band-OP nicht infrage kommt.

"Das ist zum Beispiel der Fall, wenn gleichzeitig eine Senkung der vorderen Scheidenwand vorliegt", erläutert Gabriel. Die Vorteile des Bändchens: Es wird nur eine örtliche Betäubung notwendig. Es schont das Gewebe, weil es nur Minischnitte erfordert. Und es nutzt die Scheide als natür­lichen und minimalinvasiven Zugangs­weg.

Komplikationsarm und dauerhaft erfolgreich

Die Erfolgsrate liegt bei 80 bis 90 Prozent, das heißt: Bei den meisten Frauen schließt die Blase nach dem Eingriff wieder. Die Komplikationsrate ist gering. Bei etwa fünf Prozent der Patientinnen treten Blasenentleerungsstörungen auf, weil das Bändchen zu straff gelegt wurde. Dann muss es in einem weiteren Eingriff gelockert werden.

So hält die Blase wieder dicht

Wenn nichtoperative Behandlungsmethoden keinen Erfolg bringen, stabilisieren die Operateure das Organ im Unterleib mithilfe eines Kunststoffbandes

So liegt die Harnblase im Becken

Die U-Form

ist das am häufigsten angewendete OP-Verfahren. Das Band wird unter die Mitte der Harnröhre geführt und liegt lose U-förmig hinter dem Schambein

Die Variante

Hierbei wird das Band aus dem Kunststoff Polypropylen etwas flacher in Richtung Leiste beziehungweise Oberschenkel-Innenseite geführt

Die Minischlinge

ist kürzer und weniger breit als die herkömmlichen Bänder oder Schlingen. Sie ist deshalb auf beiden Seiten mit Kunststoffankern ausgestattet, die sich ins Gewebe krallen

Obwohl Verletzungen der Blase und innere Blutergüsse nur selten auftreten, lassen sich Nebenwirkungen nicht ganz ausschließen. Dazu gehören Wundheilungsstörungen, Leisten- und Oberschenkelschmerzen sowie Schmerzen beim Sex.

Insgesamt sind die Langzeitdaten jedoch sehr gut. Eine kürzlich im Fachmagazin Gynecology and Obstetrics veröffentlichte Studie mit mehr als 17 000 Teilnehmerinnen zeigte, dass neun ­Jahre nach einem Eingriff lediglich 1,1 Prozent der Patientinnen erneut operiert werden mussten – Experten werten dies als aussagekräftigen Beleg für den komplikationsarmen und dauer­haften Erfolg der Methode.

Textile Implantate in der Kritik

Auch für Elke G. war der Eingriff ein Segen. Direkt danach spürte sie eine deutliche Linderung ihrer Beschwerden. Wenn sie heute zum Qigong oder im Fitnessstudio aufs Laufband geht, muss sie kein Malheur mehr befürchten. "Seit ich das Band habe, ist Ruhe."

Sie bedauert nur, dass sie nicht schon früher diesen Schritt gewagt hat, und rät anderen Frauen mit Belastungsinkontinenz, nicht unnötig lange mit einer OP zu warten. Um möglichst viele Betroffene mit dieser Botschaft zu erreichen, engagierte sich Elke G. im Verein Selbsthilfe Inkontinenz.

International gerieten textile Implantate aus Kunststoff in der Frauenheilkunde jüngst unter Beschuss. Die Diskussion entzündete sich an den Netzen, die bei Senkungszuständen der Genitalorgane eingesetzt werden. Die US-­Zulassungsbehörde FDA forderte, die Hersteller sollten mittels Langzeitdaten nachweisen, dass diese Netze den Patientinnen im Vergleich zur herkömmlichen OP tat­säch­lich ­einen zusätzlichen Nutzen bringen.

Beckenbodennetze und Inkontinenzbänder

Weil nicht alle Hersteller den Nachweis zeitgerecht führen konnten, nahm die FDA einige Produkte vorerst vom Markt. Solche Netze mit den Kunststoffbändern zu vergleichen, die bei der operativen Therapie der Belas­­tungsinkon­tinenz verwendet werden, ist für Gabriel allerdings wie der Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen. "In dieser Diskussion geht es um großflächige Netze als Gewebeersatz, ähnlich wie man sie auch bei Leistenbrüchen verwendet."

Dabei benötigt der Operateur nicht nur größere Mengen Material als bei einem Blasenband. "Die Operationstechnik ist auch deutlich invasiver und geht mit höheren Komplikationsrisiken einher", sagt Dr. Christian Fünfgeld vom Interdisziplinären Kontinenz- und Beckenbodenzentrum Tettnang.

Hilfreiche Maßnahmen vor der OP

  • Lebensstil ändern: schwere Arbeiten vermeiden und abnehmen. Das nimmt den Druck von der Blase
  • Physiotherapie mit Beckenbodentraining: zur Kräftigung der inneren Haltemuskulatur, eventuell kombiniert mit Biofeedback und Elektrostimulation
  • Medikamente: Duloxetin
  • Tampons, Pessare, Vaginalkonen

Obwohl man Beckenbodennetze nach Ansicht deutscher Experten mit den kleinen Inkontinenzbändern nicht verwechseln darf, sind Band-Opera­tionen in England mittlerweile nur im Rahmen von Studien erlaubt. "Diese Entscheidung ist politisch motiviert und wissenschaftlich nicht begründbar", meint Gabriel. Die größeren Netze und die kleinen Bänder würden in einen Topf geworfen.

Lasertherapie als künftige Alternative

Daher wappnet sich die Ärzteschaft auch in Deutschland gegen mögliche Einschränkungen – nicht zuletzt deshalb wurden auf der Jahrestagung der Deutschen Kontinenzgesellschaft neue und bewährte "alte" Therapie­­methoden als Alternative diskutiert. Diese sind aber teils noch nicht sehr gut untersucht oder haben eine höhere Komplikationsrate als die Schlinge.

Annehmbare Erfolge erzielen Ärzte zum Beispiel auch mit einer Unterspritzung mithilfe gelartiger Substanzen, die polsterähnliche Erhebungen in der Harnröhre bilden und sie dadurch abdichten sollen. Die Erfolgsquote liegt bei etwa 60 Prozent.

In der Zukunft könnte auch die Lasertherapie interessant werden. Allerdings gibt es für diese noch experimentelle Methode bislang keine Langzeitdaten. Die Diskussion bietet aber auch einen Anlass, die konservativen, nicht operativen Methoden verstärkt in den Blick zu rücken, vorrangig das Beckenboden­training, "das die Druckübertragung auf die Harnröhre verbessert", so Ga­briel.

Konservative Methode oder Blasenband?

Zudem lokale Behandlungen mit östriolhaltigen Salben sowie Pessare, die bei Bedarf eingesetzt werden – zum Beispiel beim Joggen oder beim Fitness­training. Sie sollen die Beckenorgane von innen heraus so stützen, dass Blasenbeschwerden behoben werden.

"Vor jeder Operation müssen diese nicht operativen Methoden ausgereizt worden sein", sagt Fünfgeld. Nicht jede Frau, die Urin verliert, braucht ein Band. "Unsere Devise ist: so wenig wie möglich, so viel wie nötig", bestätigt Gabriel.

Bei Elke G. blieben sämtliche Versuche, ihre Belastungsinkontinenz mit konservativen Methoden zu lindern, ohne Erfolg. "Ich kann nicht sagen, dass mir das wirklich etwas gebracht hätte." Mit dem Beckenbodentraining erzielte sie auch nach einem halben Jahr regelmäßiger Übung keine Besserung. Und die Pessare drückten unerträglich. "Damit zu laufen oder zu gehen war gar nicht möglich." Das Band hat vieles leichter gemacht und Elke G. neue Freiheiten geschenkt.

Adressen von Beratungsstellen finden Sie im Internet unter www.kontinenz-gesellschaft.de

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