Reihentests im Kreis Gütersloh gehen weiter – Heil will, dass Tönnies haftet

In dem vom massenhaften Corona-Ausbruch in Deutschlands größter Fleischfabrik besonders betroffenen Landkreis Gütersloh gehen die Reihentests am Montag weiter. Erneut sollen mobile Teams in den Städten und Gemeinden Abstriche bei Haushaltsangehörigen von Tönnies-Mitarbeitern machen und ihnen Unterstützung anbieten. Nachdem am Sonntag 32 solcher Teams im Einsatz waren, sollte deren Zahl am Montag aufgestockt werden, sagte eine Sprecherin des Kreises. Auch alle anderen Bürger des Landkreises sollen in den kommenden Tagen die Möglichkeit bekommen, sich kostenlos testen zu lassen.

Nachdem die Reihentests auf dem Gelände der Firma am Wochenende abgeschlossen wurden, werden am Montag die restlichen Befunde erwartet. Bei insgesamt 6139 Beschäftigten wurden Proben genommen. 240 Ergebnisse standen am Sonntag noch aus. 1331 Infizierte wurden bislang registriert. In den vier Krankenhäusern im Landkreis wurden am Sonntag 21 Covid-19-Patienten stationär behandelt. Sechs Personen lagen auf der Intensivstation, zwei von ihnen müssen beatmet werden. Fünf der sechs sind nach Angaben des Kreises Tönnies-Beschäftigte. 

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Heil: Vertrauen in Firma Tönnies „gleich null“

Das Unternehmen Tönnies könnte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zufolge möglicherweise haftbar gemacht werden. „Ich glaube, dass wir prüfen müssen, welche zivilrechtlichen Haftungsmöglichkeiten es gibt in diesem Bereich“, sagte Heil am Montag im ARD-„Morgenmagazin“. Es entstünden erhebliche Kosten für die gesundheitliche Behandlung der Menschen, „aber auch für das, was da in der Region los ist“. „Ich erwarte von diesem Unternehmen, dass alles getan wird, um den Schaden zu begrenzen, um tatsächlich auch einzustehen für das, was da angerichtet wurde“, sagte Heil. Im Wesentlichen gehe es um den Begriff der Verantwortung.

In der „Bild“-Internetsendung „Die richtigen Fragen“ sagte Heil am Sonntagabend: „Es muss eine zivilrechtliche Haftung des Unternehmens geben“. Sein Vertrauen in die Firma Tönnies sei „gleich Null“. Der Konzern habe nicht nur die eigenen Beschäftigten, sondern die „öffentliche Gesundheit“ gefährdet. Den „Unmut“ im Kreis Gütersloh über das Unternehmen könne er „gut verstehen“.

Konzernchef Clemens Tönnies hatte sich am Samstag öffentlich für den Ausbruch des Erregers unter Mitarbeitern des Schlachtereibetriebs im ostwestfälischen Rheda-Wiedenbrück entschuldigt. Sein Konzern stehe in „voller Verantwortung“, sagte er.   

Kritik auch an NRW-Ministerpräsident Laschet

Der Vorsitzende der SPD in Nordrhein-Westfalen, Sebastian Hartmann, kritisierte hingegen Firmenleitung und Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) scharf. „Das Tönnies-Desaster ist ein Versagen an verschiedenen Stellen“, sagte Hartmann dem „Handelsblatt“. „Firmenchef Tönnies und Regierungschef Laschet standen beide in der Verantwortung. Beide haben gar nicht oder zu spät gehandelt.“

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sprach sich in dem „Bild“-Gesprächsformat dafür aus, Druck auf Tönnies auszuüben: „So wie die Firma im Moment arbeitet, ist das absolut unverantwortlich. Und jeder, der dieses Fleisch kauft, sollte sich überlegen, was er da tut.“ Die Hauptverantwortung liege aber bei der Bundesregierung, beim Gesetzgeber, denn es müssten sich Gesetze ganz grundlegend ändern.

Hofreiter appellierte außerdem an den Unternehmenschef, die durch den Virus-Ausbruch entstandenen Kosten aus der eigenen Schatulle zu bestreiten. Wenn Clemens Tönnies seine Entschuldigung ernst meine, „würde er die Kosten aus seinem Privatvermögen tilgen – nicht aus dem Firmen-Vermögen“, sagte Hofreiter. Er bezeichnete zudem „das ganze System“ in der Fleischbranche als „krank“. 

Klöckner und Heil kündigen Veränderungen an

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner kündigte unterdessen grundlegende Veränderungen in der Fleischbranche an, verwies dazu aber auf den vorliegenden Gesetzentwurf der Regierung. „Das System kann so nicht fortbestehen. Die Arbeitsbedingungen in der Fleischbranche müssen verbessert werden“, sagte die CDU-Politikerin der „Passauer Neuen Presse“.

Von einem Boykott riet Heil ab: „Ich bin nicht für Boykottaufrufe. Ich bin dafür, dass wir Regeln einhalten, weil wir reden nicht über dieses eine Unternehmen nur.“ Er sei auch die Personalisierung ein bisschen leid, auch in anderen Fleischfabriken habe es Fälle gegeben. „Es ist insgesamt in dieser Branche etwas umzukrempeln und aufzuräumen.“ Heil will im Sommer einen Gesetzentwurf vorlegen, um von 2021 an Werkverträge in der Branche weitgehend zu verbieten. 

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Regionaler Lockdown nicht ausgeschlossen

Die Ursachenermittlung für den Corona-Ausbruch dauert derweil an. In dem geschlossenen Werk haben dazu am Wochenende erste Untersuchungen begonnen. Am Samstag habe eine detaillierte technische Kontrolle durch den Arbeitsschutz der Bezirksregierung Detmold, das Gesundheitsamt im Kreis Gütersloh und die Uniklinik Bonn stattgefunden, teilte das Unternehmen mit. Auch Experten des Robert-Koch-Instituts seien in Gütersloh, um zu untersuchen, „was war der Grund, dass es zu diesen Infektionen kommen konnte“.

Derzeit stehen allgemeine Ausgangsbeschränkungen für den Kreis im Raum. Laschet unterstrich im „Heute Journal“ des ZDF am Sonntagabend erneut, dass er einen regionalen Lockdown nicht ausschließen könne. „Wir haben die Schulen und Kitas geschlossen, das ist der erste Teil eines Lockdowns. Und wir werden weitere Schritte in diesen Tagen prüfen.“ Er führte aus: „Ich könnte mir vorstellen, dass wir Kontaktbeschränkungen ebenfalls wieder erlassen, so wie sie im Lockdown gegolten haben.“

Bislang haben die Behörden auf einen Lockdown im Kreis Gütersloh verzichtet. Laschet hatte am Sonntag argumentiert, das Infektionsgeschehen sei klar bei der Firma Tönnies lokalisierbar, und es gebe keinen „signifikanten Übersprung“ hinein in die Bevölkerung.

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