Kommt Delta-Knick auch bei uns? Epidemiologe gibt Prognose für Deutschland

Trotz Delta sinkt die Zahl der Neuinfektionen in den Corona-Hotspots Großbritannien, den Niederlanden und Portugal. In Deutschland steigen sie bisher weiter deutlich an. Warum? Und können wir uns auch bald auf die Trendumkehr freuen?

Nach Wochen der Euphorie dank niedriger Inzidenzen nimmt das Infektionsgeschehen in Deutschland wieder deutlich zu. Verantwortlich dafür ist die hochansteckende Delta-Variante, die inzwischen bei 84 Prozent aller Infektionen nachgewiesen werden konnte. In gut drei Wochen hat sich die bundesweite 7-Tage-Inzidenz mehr als verdreifacht und liegt mittlerweile bei 15 Fällen pro 100.000 Einwohnern – in Hamburg sogar schon bei mehr als 27. 

Trendwende trotz hohem Infektionsniveau in Hotspot-Ländern

Auf viel höherem Niveau sind die Zahlen in Großbritannien, den Niederlanden und Portugal – den aktuellen Corona-Hotspots in Europa. Doch seit einigen Tagen zeichnet sich dort eine deutliche Trendwende ab: In Großbritannien sank die Zahl der Neuinfektionen von 60.000 pro Tag, die noch am 15. Juli registriert wurden, auf 23.000 neue Fälle pro Tag. Die 7-Tage-Inzidenz sank von weit über 500 Fällen pro 100.000 Einwohnern auf 417. Das ist zwar immer noch ein hohes Niveau, aber dennoch eindeutig rückläufig. ourworldindata.org Sinkende Fallzahlen in Großbritannien, den Niederlanden und Portugal

Ähnliches zeigt sich aktuell in den Niederlanden, wo die Inzidenz innerhalb der letzten zehn Tage von über 407 auf aktuell 266 zurückging. Auch in Portugal sank sie innerhalb der letzten acht Tage von 224 auf 210 ab. Ein Lichtblick also, dass ausgerechnet in diesen Ländern, wo Delta besonders wütet, die Zahlen nach unten gehen. Sogar den SPD-Politiker Karl Lauterbach, der nicht gerade für Optimismus in Sachen Corona bekannt ist, stimmt diese Entwicklung „hoffnungsvoll“, wie er auf Facebook verlauten ließ.

Epidemiologe: Rückgang vermutlich nur vorübergehendes Phänomen

Dürfen wir uns in Deutschland also bald auf eine ähnliche Entwicklung freuen und auf sinkende Zahlen hoffen? Epidemiologe Timo Ulrichs ist skeptisch. Tatsächlich könnte der Rückgang in besagten Ländern nur von kurzer Dauer sein. Der studierte Mediziner von der Akkon Hochschule in Berlin führt die fallenden Zahlen vor allem auf saisonale Faktoren zurück: „Es wird ferienbedingt weniger getestet, die Menschen sind nicht vor Ort, sondern im Urlaub und verzichten dort weitgehend aufs Testen", erklärt er auf Nachfrage von FOCUS Online. Außerdem hielten sich wegen des guten Wetters die Menschen mehr draußen auf, was eine Übertragung unwahrscheinlicher mache.

Aus diesem Grund glaubt der Epidemiologe nicht daran, dass die Zahlen dauerhaft nach unten gehen. „Ich befürchte, dass die Zahlen nach Reiserückkehr vieler Menschen in diesen Ländern wieder steil nach oben gehen werden und es sich bei dem Knick nur um ein vorübergehendes Phänomen handelt“, analysiert er. 

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Impfquote nicht so hoch, als dass Inzidenz von allein sinken würde

„Es gibt keinen Grund, weshalb die Inzidenz in diesen Ländern quasi von alleine dauerhaft sinkt – vor allem nicht wegen der deutlich ansteckenderen Delta-Variante.“ Dies wäre nur der Fall, wenn die Bevölkerung durch Durchimpfung und Durchseuchung schon so immun geworden sei, dass das Virus nicht mehr so häufig auf Immunnaive treffen könne, führt er aus. Aber d ieser Zustand sei bisher weder in Großbritannien noch in den Niederlanden oder Portugal erreicht.

Zur Person

privat Epidemiologe Timo Ulrichs

Timo Ulrichs ist Virologe und Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologe. Er arbeitet am Institut für globale Gesundheit als Studiengangsleiter für internationale Not- und Katastrophenhilfe. Außerdem war er als Referent am Bundesministerium für Gesundheit tätig und dort unter anderem zuständig für den Seuchenschutz und die Influenzapandemieplanung.

Da zumindest Großbritannien eine höhere Impfquote als Deutschland hat, ist die Hoffnung, dass es allein aufgrund der Impfungen bei uns zu einer rückläufigen Ansteckungszahl kommt, folglich relativ gering. So sind in Großbritannien laut "ourworldindata.org" bereits 55 Prozent der Gesamtbevölkerung vollständig geimpft, 68 Prozent haben ihre erste Dosis erhalten (Stand: 26.7.). ourworldindata.org Die Fallzahlen in Deutschland nehmen wieder zu

In Deutschland sind aktuell noch weniger Menschen durch eine Immunisierung geschützt als jenseits des Ärmelkanals: 50 Prozent sind vollständig geimpft, 61 Prozent haben die erste Dosis erhalten.

Durch die niedrigen Inzidenzen über den Sommer hat die Impfbereitschaft trotz genügend verfügbaren Impfstoffs zuletzt deutlich nachgelassen. Deshalb rief Gesundheitsminister Jens Spahn erneut dazu auf, Impfangebote zu nutzen. „Je mehr sich jetzt impfen lassen, desto sicherer werden Herbst und Winter!“, schrieb er bei Twitter.

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Experte erwartet keinen schnellen Delta-Knick

Ulrichs sieht daher wenig Chancen für eine schnell rückläufige Entwicklung: „Diesen Knick werden wir in Deutschland wohl erst Mal nicht sehen“, prognostiziert er auf FOCUS-Online-Nachfrage. Da das Infektionsgeschehen hierzulande ohnehin auf viel niedrigerem Niveau sei, würde man einen solchen Knick auch gar nicht sehen können. „Dafür sind die Fallzahlen noch viel zu gering“, sagt er.

Dass ein Effekt wie in Großbritannien, den Niederlanden und Portugal zu einem späteren Zeitpunkt bei uns eintritt, hält Ulrichs ebenfalls für fraglich. „In den meisten Bundesländern werden die Schulferien schon wieder vorbei sein, wenn bei uns die Kurve steil ansteigt und das exponentielle Wachstum beginnt.“Das Coronavirus ist wohl schon tausendfach mutiert. Ob das das Virus gefährlicher macht oder nicht, kommt darauf an, wie es sich verändert. Sehen Sie hier einen 360-Grad-Blick auf die bedeutenden Mutationen, ihre Verbreitung auf der Europakarte und die Gefahr, die von ihnen ausgeht. Hier geht es zum Überblick

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