Herr Professor Streeck – Sie betreiben sozusagen Feldforschung in Zeiten von Corona. Im besonders betroffenen Landkreis Heinsberg sind Sie und Ihr Team von Tür zu Tür gegangen, haben mit Infizierten gesprochen und Proben genommen. Wozu das Ganze?
Die Aufgabe der Wissenschaft und insbesondere von uns Virologen ist doch ganz klar: Wir wollen angesichts der ganzen Unsicherheit Fakten liefern. Unser Ziel war es, das Geschehen in Heinsberg besser verstehen zu können und zu ergründen, warum es dort so viele Infizierte gibt.
Hendrik Streeck ist Facharzt für Virologie und Infektionsepidemiologie. Er leitet das Institut für Virologie am Universitätsklinikum Bonn.
Ein Team von Wissenschaftlern zieht von Tür zu Tür und spricht mit Infizierten. Das klingt nach einem langwierigen Abstimmungsprozess. Wer genehmigt so etwas?
Wir stellten einen Antrag, der zum Glück von der Ethikkommission schnell bearbeitet wurde. Normalerweise muss man das in einem Ausbruchsgeschehen nicht machen, wir wollten aber sichergehen, für den Fall, dass wir weitere Forschungen anschließen. Wir informierten den Landrat und das Gesundheitsamt und statteten uns mit Schutzkleidung aus. Der Schutz vor einer Ansteckung stand für uns an erster Stelle. Schließlich bekamen wir vom Amt eine Liste mit Adressen und sind die Häuser nach und nach abgefahren. Insgesamt drei Tage waren wir draußen unterwegs.
Wie kann man sich das vorstellen: Sie klingeln und stehen in voller Montur und mit Atemmasken vor der Tür? Oder haben Sie die Leute vorab informiert?
Am ersten Tag standen wir wirklich in Schutzausrüstung vor der Tür, hatten die Masken aber abgenommen, um unsere Gesichter zu zeigen. Das Signal fand ich wichtig: Hier kommen Menschen, niemand vom Mars. Wir haben uns auch bei allen Patienten entschuldigt und erklärt, dass wir die Sachen anziehen müssen, aber es ging eben um unsere eigene Sicherheit. Am zweiten Tag waren wir besser organisiert und haben uns vorab telefonisch angekündigt. Wir hatten in Bonn ein Team, das uns sagen konnte, wohin wir als nächstes fahren durften. In Abstimmung mit der Uni lassen wir uns seitdem jeden Tag auf Sars-2 testen. Bis heute sind alle Tests negativ geblieben.
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Was haben Sie bei den Patienten gemacht?
Wir haben Sie nach Symptomen befragt und wollten verstehen, wo das Virus in der Wohnung vorkommt. Also haben wir Proben genommen: von den Türklinken, den Smartphones, aus den Siphons, den Toiletten, und auch aus der Luft. An einem Tag waren wir bei einer sechsköpfigen Familie, in der alle Mitglieder infiziert waren. Mit Ausnahme der Katzen. Von denen hatten wir auch Abstriche genommen. Insgesamt haben wir mehr als 100 Patienten gesehen. Pro Patient kamen etwa 15 bis 20 Proben zusammen. Ein enormer logistischer Aufwand.
Wo haben Sie Virus gefunden?
In den Toiletten und auf den Türklinken. Es lebte aber nicht mehr.
Wie haben die Menschen auf Sie reagiert?
Am Anfang skeptisch, bis sich das herumgesprochen hatte. Viele waren dann aber unheimlich zuvorkommend, offen und haben sich gefreut, bei der Forschung mithelfen zu können. Ganz nach dem Motto: ‚Das, was uns hier passiert ist, könnte bald auch dem Rest der Republik passieren. Wir wollen beitragen, Fakten zu schaffen.‘ Ich möchte mich wirklich bei allen bedanken, die mitgemacht haben.
Wie erging es Ihnen persönlich beim Betreten der Wohnungen?
Am Anfang macht sich schon ein mulmiges Gefühl breit. Die Patienten husten ja auch, und einigen konnte man ansehen, dass sie sich nicht gut fühlen. Wir haben FFP3-Masken benutzt – also Masken mit einem wirklich hohen Schutz. Wenn man die länger trägt, wird der Atem trocken, und auch die Kehle trocknet aus. Man fühlt sich also nach der Arbeit ohnehin nicht gut. Dazu kommt noch die anfängliche Sorge. Das wurde aber mit der Zeit besser. Man lernt das Virus kennen.
Was meinen Sie damit?
Fakten zu bekommen: Wie läuft die Infektion ab? Worüber kann man sich infizieren, worüber nicht? Zum anderen auch die Symptome: Wie geht es den Menschen mit dieser Infektion eigentlich? Natürlich waren unsere Patienten alle mild erkrankt. Die schweren Verläufe in den Krankenhäusern haben wir nicht gesehen.
Welche Symptome gab es am häufigsten?
Wie gesagt, wir haben nur die leichten Verläufe gesehen. Das häufigste Symptom, was uns begegnet ist, war ein trockener Reizhusten – eine Art Hüsteln, wie man es aus den Wintermonaten kennt mit der trockenen Heizungsluft. Dazu eine leicht erhöhte Temperatur. Am meisten hat uns aber überrascht, dass uns Patienten von einem vorübergehenden Geschmacks- und Geruchsverlust berichtet haben. Zuerst hatte uns der erste positiv getestete Patient in Bonn davon erzählt. Wir haben das zunächst für Spinnerei gehalten – als eine Art psychosomatische Reaktion auf die Quarantäne. Man kann sagen: Wir haben das nicht ernst genommen.
Und dann?
Dann erzählte ein weiterer Patient davon. Und noch einer. Schließlich haben wir gezielt danach gefragt. Ein Mann berichtete uns, dass er morgens in der Dusche das Shampoo nicht mehr riechen konnte. Und eine Krankenschwester, dass sie die volle Windel ihres Babys nicht mehr wahrgenommen hat. Ihr kam das sofort merkwürdig vor. Sie hat dann mit Essigessenz eine Geruchsprobe bei sich gemacht, konnte aber selbst das nicht riechen.
Vielleicht hatten sie eine verstopfte Nase oder starken Schnupfen?
Das stand nicht miteinander in Zusammenhang, wir haben das rausgerechnet. Es scheint so zu sein, dass sich das Symptom langsam anschleicht, dann zwei bis drei Tage bleibt und danach wieder verschwindet. Auch Durchfall scheint häufiger vorzukommen als wir bislang dachten. 30 Prozent unserer Patienten haben uns davon berichtet. Das ist für uns auch epidemiologisch interessant. Wir haben zwar noch kein lebendiges Virus im Stuhl gefunden, wohl aber genetisches Material.
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In einem Heinsberger Abstrichzentrum haben Sie und Ihr Team auch einen Schnelltest auf Antikörper im Blut geprüft. Mit welchem Ergebnis?
Wir waren zunächst positiv überrascht. Bei einer älteren Dame, die sich nicht gut fühlte, hat der Test nach fünf Minuten angeschlagen. Sie kam dann sofort in ein Krankenhaus. Im Anschluss haben wir die Ergebnisse mit denen des PCR-Tests verglichen, der nach wie vor der Goldstandard, aber sehr aufwendig ist und bis zu vier Stunden dauern kann. Leider zeigte sich, dass der Antikörpertest nur knapp über 40 Prozent aller Fälle richtig erkannt hatte. Wir empfehlen Schnelltests dieser Art also nicht. Eine Hoffnung aber ist, dass wir schon bald Antigen-Tests haben, die dann das Virus nachweisen können. Ich könnte mir vorstellen, dass vor allem die Forscher in China bei der Entwicklung eines solchen Tests schon sehr weit sind.
Nur wenige Wissenschaftler haben so viele Covid-19-Patienten gesehen wie Sie. Wie gefährlich ist der Erreger aus Ihrer Sicht?
Das Virus ist ernst zu nehmen, und natürlich ist jedes Opfer beklagenswert. Aber wir müssen aufpassen, dass wir nicht in Panik verfallen und zu starken Aktionismus betreiben, unter dem andere leiden. Noch haben wir relativ wenige Todesfälle in Deutschland. Bei allen Maßnahmen, die derzeit besprochen werden, müssen wir also die Verhältnismäßigkeit im Blick behalten. Und uns muss klar sein: Wir können das Virus nicht mehr aufhalten.
Einige europäische Länder haben Ausgangssperren beschlossen – Deutschland nicht. Sollten wir drastischer vorgehen?
Nein – das kann ich ganz klar sagen. Natürlich müssen wir aufpassen, dass wir Distanz wahren und so die Ausbreitung des Virus verlangsamen. Aber wir tun gerade alles, um unserem Immunsystem zu schaden: Wir gehen weniger an die Sonne, bewegen uns kaum noch, ernähren uns womöglich auch noch schlecht. Wir müssen den Leuten doch die Möglichkeit geben, sich fit zu halten, gesund zu bleiben und ihr Immunsystem zu stärken. Darum bin ich ganz entschieden gegen eine Ausgangssperre.
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