Sind während der ersten Corona-Welle in Deutschland mehr Menschen gestorben, als in den Jahren zuvor? Ein Forscherteam der Universitätsklinik Essen hat sich die Todeszahlen nach verschiedenen Altersgruppen angeschaut. Für eine Risikogruppe zeigt sich keine Übersterblichkeit.
Wie gefährlich ist das Coronavirus wirklich? Diese Frage treibt die Menschen um. Und das spätestens seit März. Zu diesem Zeitpunkt begann in Deutschland die so genannte erste Welle der Krise, die sich zur Pandemie ausweitete. Eine Kennziffer, um die Gefährlichkeit zu messen, ist die Zahl der Todesopfer. Hat Sars-CoV-2 zu einer höheren geführt verglichen mit den vergangenen Jahren? Sprich, zeigt sich eine sogenannte Übersterblichkeit?
Das Forscherteam um Andreas Stang der Universitätsklinik Essen hat die Daten der ersten Welle von Anfang März (Woche 10) bis Anfang Juni (Woche 23) analysiert. In diesem Zeitraum registrierte das Robert-Koch-Institut (RKI) 8674 Todesfälle im Zusammenhang mit Covid-19 registriert – bei einer Gesamtzahl von 183.978 bestätigten Infektionen. Um die Zahlen einzuordnen, verglichen die Wissenschaftler die Zahlen mit den entsprechenden Perioden der Jahre 2016 bis 2019. Dabei betrachteten Stang (Leiter des Zentrums für Klinische Epidemiologie, ZKE und Leiter des Instituts für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie, IMIBE) und seine Kollegen die unterschiedlichen Altersgruppen. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie im Fachmagazin „Journal of Infection“.
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So entwickelten sich die Todesfälle in der ersten Welle
Ein Peak der Todesfälle zeigte sich jeweils Ende März (Woche 13) und Ende April (Woche 17). In der Zeit vom 20. bis 26. April wurden zudem 73 Prozent der Covid-19-Patienten auf Intensivstationen künstlich beatmet.
Höher als statistisch erwartet fielen die Todeszahlen während der ersten Welle für folgende Altersgruppen aus:
- 60 bis 69 Jahre
- 80 bis 89 Jahre
- älter als 90 Jahre
Die Altersgruppe der 70- bis 79-Jährigen dagegen zeigte keine Übersterblichkeit. Das ist auffällig, weil allein durch die Lebensjahre diese Corona-Patienten schon zur Risikogruppe zählen. Denn bereits ab 60 Jahren steigt das Risiko für einen schweren, manchmal tödlichen, Verlauf der Covid-19-Erkrankung.
Das hängt unter anderem damit zusammen, dass das Immunsystem nicht mehr so effizient arbeitet. Zudem leiden ältere Patienten oft unter Vorerkrankungen wie Diabetes Typ 2, Herzkreislauf-Problemen oder Übergewicht, die sich zusätzlich ungünstig auf die Prognose auswirken.
Die Übersterblichkeit in Deutschland in Zahlen
In absoluten Zahlen ergeben sich in den Berechnungen der Studie für die untersuchten Kalenderwochen 8071 mehr Todesfälle. Das weicht etwas von den durch das RKI gemeldeten 8674 Covid-19-Toten ab. Die Autoren erklären das unter anderem damit, dass das RKI alle Toten zählt, die „im Zusammenhang mit Covid-19“ gestorben sind.
Aufgedröselt nach den einzelnen Altersgruppen verdeutlichen die Graphen: Eine negative Zahl steht für eine geringere Todesfallzahl als erwartet, eine positive bedeutet, dass mehr Menschen, als statistisch erwartet, gestorben sind.
Keine Übersterblichkeit zeigt sich für diese Altersgruppen:
- 0 bis 29 Jahre: -62
- 30 bis 49 Jahre: -313
- 50 bis 59 Jahre: -497
- 70 bis 79 Jahre: -3848
Eine Übersterblichkeit errechneten die Essener Forscher für diese Altersgruppen:
- 60 bis 69 Jahre: +1336
- 80 bis 89 Jahre: +7287
- älter als 90 Jahre: +4167
Die Essener Forscher ziehen außerdem den Vergleich zur Influenza. So war etwa die Grippesaison 2017/2018 die schlimmste der vergangenen 30 Jahre. Währenddessen starben mehr als 25.000 Menschen. Insofern kam Deutschland verglichen mit den saisonalen Grippesaisons relativ gut durch die erste Corona-Welle. Die Übersterblichkeit ist in Ländern wie Spanien, Italien, Brasilien, Großbritannien und den Vereinigten Staaten wesentlich höher.
Gründe für die geringe Übersterblichkeit in der ersten Welle
Es sind mehrere Faktoren, mit denen die Wissenschaftler den relativ milden Verlauf in Deutschland erklären:
1. Das junge Alter der Infizierten
Zunächst erkrankten in Deutschland die durchschnittlich jungen Rückkehrer aus dem Skiurlaub, was die geringe Zahl an Todesfällen erklärt. Erst später breitete sich Sars-CoV-2 in die älteren Bevölkerungsschichten aus. Ganz im Gegensatz zu Japan, wo ein Großteil der Infektionen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen stattfand, lag der Anteil dort in Deutschland während der ersten Welle nur bei 15 Prozent, schreiben die Forscher.
2. Weniger Sozialkontakte als in anderen Ländern
Küsschen, Hände schütteln, intensive, persönliche Gespräche fanden in Deutschland sehr viel weniger statt als in allen anderen untersuchten Ländern. Italien hatte hier den höchsten Wert. Zudem mischen sich hierzulande die verschiedenen Altersgruppen weniger.
3. Gut ausgestattetes Gesundheitssystem
Dass Hausärzte sowie Krankenhausbetten in ausreichender Zahl zur Verfügung standen, war entscheidend für die Patientenversorgung. Vor allem das schnelle Hochfahren der Intensivbetten hätte Deutschland geholfen, erläutern Stang und seine Kollegen.
4. Frühes Pandemie-Management
Dazu gehörten beispielsweise: Gesundheitsämter wurden gestärkt und zusätzliches Personal eingestellt, um die Kontaktnachverfolgung zu garantieren. Potentiell Infizierte und Einreisende aus Risikogebieten wurden intensiv ermuntert, zu Hause zu bleiben. Ob ein Test auf Sars-CoV-2 notwendig war, entschieden die Gesundheitsbehörden. Dadurch sei es Deutschland gelungen, mit den anfänglichen Testknappheiten hauszuhalten und gleichzeitig die Kapazitäten auszubauen.
Somit sei es, neben einigen asiatischen Ländern, eines der ersten Länder mit umfangreichen Testkapazitäten gewesen. Das wiederum hätte es ermöglicht, viele Kontakte zu Infizierten zu verhindern – und damit stark steigende Infektionszahlen.Diese hätten vermehrt schwere, auch tödliche Verläufe zur Folge gehabt.
Weitere Forschung sei allerdings notwendig, um die Gründe genauer zu untersuchen und außerdem herauszufinden, welche Rolle der Lockdown hinsichtlich der Todeszahlen spielte.
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Nach Alterskorrekturen zeigt sich keine Übersterblichkeit
Interessant ist außerdem ein weiterer Aspekt der Studie: In einem nächsten Schritt bereinigten die Wissenschaftler die Daten um die Veränderungen der Altersstruktur in Deutschland. Denn im Lauf der Jahre von 2016 bis 2020 sind immer mehr Menschen immer älter geworden. Das heißt, dass beispielsweise die Altersgruppe derjenigen, die jetzt älter als 80 Jahre als sind, stark gewachsen ist. Diese haben wiederum ein höheres Risiko, an Covid-19 zu sterben.
Nachdem die Analysten diese demographischen Faktoren einberechnet hatten, ergab sich: Es gibt keine Übersterblichkeit, stattdessen 4926 Todesfälle weniger als statistisch erwartet.
Deutschland kämpft mit einer Krise historischer Dimension. Und hat damit auch die Chance, Veränderungen historischer Dimension anzustoßen. Wie soll unsere Gesellschaft aussehen, sozial, technisch, ökonomisch? Hier richten Macher und Denker den Blick nach vorn – mit Optimismus, Solidarität und neuen Ideen.
Übersterblichkeit bisher nur in zwei Monaten
Das Fazit der Analysten: Die Übersterblichkeit existierte für zwei Monate. Dennoch gilt die Bewältigung der ersten Welle als Erfolgsgeschichte, da Deutschland mit relativ geringen Todesfällen durch die Krise kam.
Dafür haben Stang und seine Kollegen, noch einmal zusammengefasst, mehrere Erklärungen: Zu Beginn der Pandemie infizierten sich vor allem junge Menschen mit Sars-CoV-2, Menschen in Deutschland haben weniger Kontakte als in anderen Ländern und es gab ein effizienteres Pandemie-Management.
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