In den Supermärkten bleiben die Regale leer, die Regierung und die Opposition liefern sich einen erbitterten Machtkampf, wegen der extremen Kriminalität traut sich abends kaum noch jemand auf die Straße: Venezuela steckt in einer tiefen Krise. Nun schlagen Wissenschaftler Alarm, weil sich in dem südamerikanischen Land auch viele Infektionskrankheiten wieder unkontrolliert verbreiten.
Venezuela galt einst als Vorbild beim Zurückdrängen von Erregern, doch der Zusammenbruch des Gesundheitssystems hat das Land zurückgeworfen. Vor allem Krankheiten, die durch Insekten übertragen werden, konnten sich in den vergangenen Jahren schnell ausbreiten, berichten Forscher im Fachmagazin „Lancet Infectious Diseases“. Dazu gehören Malaria, Dengue-Fieber und das Zika-Virus.
Allein die Zahl der Malariainfektionen ist von knapp 30.000 im Jahr 2010 auf mehr als 411.000 im Jahr 2017 angestiegen. „Angesichts fehlender Überwachung, Diagnose und Präventionsmaßnahmen unterschätzen diese Zahlen sehr wahrscheinlich noch die wirkliche Situation“, warnt einer der federführenden Autoren der Studie, Martin Llewellyn von der Universität in Glasgow. „Die Zunahme der Malariafälle könnte bald unkontrollierbar werden.“ Gründe seien die nachlassende Bekämpfung der Mückenpopulationen und der Mangel an Medikamenten.
„Bemühungen zur Ausrottung von Krankheiten untergraben“
Malaria ist eine der häufigsten Infektionskrankheiten weltweit. Der Erreger wird durch Mücken übertragen. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erkrankten 2017 etwa 219 Millionen Menschen in 90 Ländern der Welt an Malaria, 435.000 Menschen starben daran. Bei den meisten Todesopfern handelt es sich um Kinder unter fünf Jahren.
Auch die Zahl der Fälle von Dengue-Fieber und Ansteckungen mit dem Zika-Virus haben sich laut der Studie deutlich erhöht. „Das Wiederaufkommen zahlreicher Infektionskrankheiten führt zu einer Krise des öffentlichen Gesundheitswesens in Venezuela und könnte die regionalen Bemühungen zur Ausrottung von Krankheiten untergraben“, schreiben die Autoren der Studie.
Dabei setzte Venezuela mit seinem damals noch soliden Gesundheitssystem lange Zeit die Maßstäbe beim Kampf gegen Infektionskrankheiten in der Region. 1961 war es das erste Land, dessen Städte von der WHO für malariafrei erklärt wurden. Seit einigen Jahren leidet Venezuela unter einer schweren Versorgungskrise. Aus Mangel an Devisen kann es kaum noch Lebensmittel, Medizin und Hygieneartikel einführen.
Hilfe wird blockiert
„Die Lage ist kritisch: Wir haben keine Medikamente, wir haben kein Material“, sagte die Internistin Ana Vielma vom Krankenhaus Algodonal in der vergangenen Woche bei Protesten in Caracas. Sie forderte, dass die Regierung des umstrittenen Präsidenten Nicolás Maduro humanitäre Hilfe in das Land lassen soll.
An der Grenze stehen Lebensmittel, Medikamente und Hygieneartikel für die notleidende Bevölkerung bereit. Allerdings blockiert Maduro die Lieferungen, weil er sie für einen Vorwand für eine militärische Intervention hält. Der selbst ernannte Interimspräsident Juan Guaidó will die Hilfsgüter am Wochenende gemeinsam mit Tausenden Helfern ins Land holen.
„Wir haben noch nicht mal Chlor, um zu putzen“, sagte Mauro Zambrano von der Krankenhausgewerkschaft. „Deshalb vermehren sich die Bakterien. Die Patienten kommen mit einer Krankheit in die Klinik hinein und gehen mit einer anderen wieder raus.“
Die Gesundheitskrise in Venezuela könnte sich zu einem Problem für die ganze Region ausweiten. Im vergangenen Jahr verließen pro Tag durchschnittlich rund 5500 Venezolaner ihre Heimat – nicht selten dürften sie Krankheiten in die Nachbarländer mitgenommen haben. In der brasilianischen Grenzregion Roraima beispielsweise verdoppelte sich die Zahl der eingeschleppten Malariafälle zwischen 2014 und 2017.
„Wir rufen die Mitglieder der Organisation Amerikanischer Staaten und andere internationale Institutionen dazu auf, den Druck auf die venezolanische Regierung zu erhöhen, damit sie die angebotene humanitäre Hilfe annimmt“, sagte Wissenschaftler Llewellyn. „Ohne die Bemühungen, könnten die in den vergangenen 18 Jahren erzielten Fortschritte im Bereich der öffentlichen Gesundheitsversorgung bald zunichte gemacht werden.“
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