„Es gibt keinen Schutz gegen Kita-Viren“

SPIEGEL ONLINE: Frau Easwaran, wann ist ein Kind zu krank für die Kita?

Easwaran: Kinder mit Fieber oder akutem Durchfall gehören nicht in die Kita. Wenn nur die Nase läuft und das Kind hustet, kommt es auf den Allgemeinzustand an. Ist das Kind schläfrig, anhänglich und lustlos, sollte man ihm ein paar Tage Ruhe und Geborgenheit gönnen. Ist es aber gut gelaunt und fit, darf es in die Kita gehen.

SPIEGEL ONLINE: Steckt es dort nicht andere Kinder an?

Easwaran: Das könnte natürlich passieren. Aber Eltern werden scheitern, wenn sie den Anspruch haben, ihre Kinder nur völlig infektfrei in die Kita zu schicken. Jedes Kind hat mal einen Schnupfen und ist damit potenziell ansteckend. Kitas sind Viren-Zoos. Kinder haben dort täglich Kontakt mit Millionen von Erregern.

SPIEGEL ONLINE: Es gibt Kitas, die anhand der Farbe des Nasensekrets entscheiden, ob ein Kind in der Kita bleiben darf.

Easwaran: Das sehe ich kritisch. Man kann aufgrund der Farbe keine sicheren Rückschlüsse auf die Erkrankung ziehen. Ob grün, gelb oder transparent – hier darf man nicht pauschalisieren. Es gibt Kinder, die in den kalten Monaten wochenlang gelblichen Schnupfen haben, dabei aber topfit sind. Würden all diese Kinder zu Hause bleiben, wären die Kitas sehr leer.

SPIEGEL ONLINE: Bei Magen-Darm-Infekten gibt es häufig die Regel, dass Kinder erst 24 Stunden nach dem letzten Durchfall zurück in die Kita kommen dürfen. Außerdem sollte der Stuhl wieder fest sein.

Easwaran: Die Konsistenz des Stuhlgangs ist nicht aussagekräftig. Sie ist bei jedem Kind unterschiedlich und sagt nichts über die Ansteckungsgefahr aus. Ein Kind für 24 Stunden zu Hause zu behalten, finde ich hingegen sinnvoll. Das Kind braucht Zeit, um sich zu erholen. Generell ist es wichtig, dass Kita und Eltern gemeinsam Regeln aufstellen, mit denen sich alle wohl fühlen. Ob es sich um 12- oder 24-Stunden-Richtlinien handelt, ist fast nebensächlich.

SPIEGEL ONLINE: Bei welchen Krankheiten ist der Kita-Besuch offiziell verboten?

Easwaran: Das schreibt das Infektionsschutzgesetz vor. Zu den Krankheiten gehören beispielsweise Masern, Windpocken, Röteln und Ringelröteln. Diese Erkrankungen müssen von der Kita an das Gesundheitsamt gemeldet werden. Und Eltern benötigen eine Gesundschreibung vom Kinderarzt, damit das Kind wieder die Kita besuchen darf.

SPIEGEL ONLINE: Was halten Sie von solchen Gesundschreibungen?

Easwaran: Für ansteckende Krankheiten, die im Infektionsschutzgesetz aufgeführt sind, halte ich sie für absolut nötig. Fordert eine Kita eine Gesundschreibung nach einem normalen viralen Infekt, finde ich das übertrieben. Das ist keine Absicherung dafür, dass das Kind am nächsten Tag nicht schon wieder krank wird. Außerdem stresst eine solche Regelung die Eltern. Sie müssen mit ihrem gesunden Kind wieder in die Praxis kommen, versäumen damit eventuell einen weiteren Arbeitstag und müssen dann auch noch Angst haben, dass sich ihr Kind mit einem neuen Keim ansteckt. Diese Aufregung sollte man ihnen nehmen. Eltern sind gestresst genug.

SPIEGEL ONLINE: Warum?

Easwaran: Weil sie von allen Seiten Druck bekommen. Von ihrem Arbeitgeber, den Erziehern und anderen Eltern. Es herrscht leider auch der Glaube, dass berufstätige Eltern jubeln, wenn sie mit ihrem kranken Kind blaumachen können. Das Gegenteil ist der Fall. Eltern wollen sich natürlich kümmern. Es ist ihnen aber auch sehr unangenehm, deshalb nicht zur Arbeit gehen zu können.

SPIEGEL ONLINE: Was raten Sie den Eltern?


Easwaran: Gelassen zu bleiben, auch wenn es schwerfällt. Kinder machen bis zum fünften Lebensjahr die meisten Infekte durch. Das können bis zu 20 Erkältungen im Jahr sein. Davor gibt es keinen Schutz, wir müssen es einfach akzeptieren. Ich wünsche mir hier von allen Seiten mehr Einfühlungsvermögen und Solidarität. Vor allem auch zwischen den Eltern.

SPIEGEL ONLINE: Wie meinen Sie das?

Easwaran: Ich erlebe oft, dass Eltern sich untereinander am meisten stressen. Sie diskutieren in der Kita, ob ein Kind nicht doch zu krank ist, um zu bleiben. Hier rate ich, andere Eltern nicht zu verurteilen. Häufig wissen wir nicht, was hinter einer Entscheidung steckt. Vielleicht kann es sich die alleinerziehende Mutter nicht leisten, ihr verschnupftes Kind noch einen Tag länger zu Hause zu behalten. Dann wäre es hilfreicher, der Mutter Unterstützung anzubieten, anstatt ihr das Leben noch schwerer zu machen.

SPIEGEL ONLINE: Gibt es auch positive Seiten an den Kita-Viren?

Easwaran: Jede Menge! Diese intensive Krankheitsphase ist wichtig für die Entwicklung des Immunsystems. Und Eltern sollten unbedingt wissen: Es gibt keine Kindheit ohne Krankheit. Und mit Schulbeginn ist der größte Spuk vorbei.

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