Covid-19 gilt in Dänemark nicht länger als „für die Gesellschaft kritische Krankheit“. Seit heute gehören die Corona-Beschränkungen der Vergangenheit an. Ein Grund: die hohe Impfrate. Inwiefern taugt das als Vorbild für Deutschland? Ein Check.
Corona-Pandemie abgehakt. Dänemark feiert heute gewissermaßen seinen Freedom Day. Die letzten Beschränkungen fallen. Eindrucksvolle 83 Prozent Impfquote notiert die dänische Gesundheitsbehörde Statens Serum Institut (SSI) in ihrer Statistik. 132 Corona-Patienten werden in dänischen Krankenhäusern behandelt, 28 davon auf der Intensivstation (Stand: 9. September 2021).
Vorbild in Sachen frühe und strenge Maßnahmen
Zu Beginn der Pandemie reagierte Dänemark besonders früh und drastisch auf die ersten Corona-Fälle. Mit seinen 5,8 Millionen Einwohnern und lediglich einer Landesgrenze tat es sich dabei auch leichter als Deutschland mit 83 Millionen Einwohnern und neun Nachbarstaaten.
Genau anderthalb Jahre nach der Einführung von ersten weitreichenden Corona-Maßnahmen werden nun auch die letzten bestehenden Restriktionen aufgehoben – und das EU-Land hofft, sich von diesen ein für alle Mal zu verabschieden.
„Die Pandemie ist nicht ganz überstanden, aber wir haben ihr den Zahn gezogen“, sagt Lone Simonsen, Pandemieforscherin an der Universität Roskilde. „Wir haben die Verbreitung des Virus noch nicht gestoppt, aber die Hospitalisierung und die Todesfälle.“
Vorbildlich hohe Impfquote in Risikogruppe
Hauptgrund für diesen Erfolg gegen Corona sei die hohe Impfrate. Mehr als 96 Prozent aller Menschen über 60 Jahren in Dänemark seien fertig geimpft – und das seien diejenigen mit dem größten Risiko für eine schwere Erkrankung.
Unter anderem deshalb wird Covid-19 ab dem 10. September nicht mehr länger als „gesellschaftskritische Krankheit“ kategorisiert. Das mag nach einer drögen Formalie klingen, hat aber ganz konkrete Auswirkungen für die Menschen: Die Einstufung machte die Einführung bestimmter Regeln erst möglich, etwa ein Versammlungsverbot, die Maskenpflicht oder die Vorgabe, mit dem Corona-Pass zum Beispiel im Restaurant oder Fitnessstudio vorzeigen zu müssen, dass man geimpft, genesen oder getestet ist.
„Die Epidemie ist unter Kontrolle. Wir haben rekordhohe Impfraten“, jubelte Gesundheitsminister Magnus Heunicke bei der Ankündigung Ende August. Seine Regierung habe versprochen, an den Maßnahmen nicht länger als notwendig festzuhalten – und an diesem Punkt sei man nun angelangt.
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Solche Jubelmeldungen werden vom deutschen Gesundheitsminister Jens Spahn vermutlich nicht mehr zu hören sein. In Deutschland stehen den 96 Prozent aus Dänemark (laut SSI-Dashboard) 83 Prozent vollständig Geimpfte über 60 Jahre gegenüber. Das fällt insofern besonders ins Gewicht, als dass Deutschland die zweitälteste Bevölkerung der EU hat: Median von 45,9 Jahren, Italien ist mit 47,2 Jahren noch älter, Dänemark hat einen Altersmedian von 42,1 (Quelle: Statista).
In der Bundesrepublik sind knapp 24,1 Millionen Menschen älter als 60 Jahre. Sprich, etwa vier Millionen Menschen in Deutschland aus der Altersrisikogruppe sind aktuell nicht gegen Corona geimpft.
Dennoch ist die Gruppe der über 60-Jährigen diejenige, die als erstes das Impfquoten-Ziel des Robert-Koch-Instituts (RKI) erreichen könnte. 90 Prozent haben die Experten für sie ausgegeben. Einfach geimpft sind in dieser Altersgruppe sogar schon 85,5 Prozent, also knapp 20,6 Millionen.
Um die 90 Prozent zu erreichen, müssten sich insgesamt 21,6 Millionen Personen vollständig impfen lassen. Bei den Über-60-Jährigen fehlen also noch 1,0 Million Erst-, beziehungsweise noch 1,5 Millionen Zweitimpfungen.
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Bevor nun die Drittimpfungen vorangetrieben werden, die bisher nicht von der Ständigen Impfkommission (Stiko) empfohlen werden, gibt es hier eine durchaus relevante Impflücke zu schließen.
Wie hat Dänemark so eine hohe Impfquote erreicht?
Mit seiner relativ hohen Impfquote hat Dänemark durchaus Vorbildfunktion für Deutschland. Zwei Faktoren spielen hierbei eine entscheidende Rolle für die Pandemie.
1. Dänemark impft große Risikogruppe und gewinnt Vertrauen
Erstens erreichte das skandinavische Land die erwähnten Risikogruppen. Einen besonderen Impfsprint legte Dänemark etwa in den Alten- und Pflegeheimen hin. Schon Anfang Januar wurden die Bewohner aller 900 Betreuungseinrichtungen durchgeimpft.
Im Lauf der Impfkampagne kam ein weiterer Aspekt hinzu: der bewusste Verzicht auf Astrazeneca und Johnson & Johnson. Schon bald im Frühjahr hatten sich die Dänen gegen die Vektorimpfstoffe entschieden. Damals hatten sich Hinweise auf schwere Nebenwirkungen gehäuft.
„Ich denke, dass diese Entscheidung zu einem noch größeren Vertrauen geführt hat“, sagte Simonsen dem „Spiegel“. „Die Dänen glauben, dass wir vor solchen Nebenwirkungen geschützt sind. Das schlägt sich in den hohen Impfraten der über 60-Jährigen nieder.“ Das ersparte viel Hin und Her in der Kommunikation. In Deutschland haben wechselnde Empfehlungen zu Astrazeneca und den Altersgruppen viele Menschen verwirrt.
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2. Dänemark kontaktierte jeden Einzelnen
Wichtig war zweitens wohl auch die Kommunikation. Um alle Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen, verschickte das skandinavische Land einen Brief an alle über 18-Jährigen, um über das Impfprogramm zu informieren.
Das hätte Deutschland ebenso helfen können. Denn „viele Menschen wollen aktiv informiert werden, anstatt sich selbst kümmern und im Netz suchen zu müssen“, sagte Cornelia Betsch „Zeit Online“. Sie ist Professorin für Gesundheitskommunikation an der Universität Erfurt und Leiterin der „Cosmo“-Studie, die während der Corona-Krise unter anderem untersuchte, wie es um die Impfbereitschaft steht.
Entscheidende zehn Prozent
Aktuell stockt die Impfkampagne in Deutschland. Knapp 62 Prozent der Gesamtbevölkerung sind vollständig geimpft (Stand: 10. September 2021, 09:06). Will man den Vergleich zum nordischen Nachbarn ziehen, gilt es die genannten 83 Prozent Impfquote zu relativieren. Diese bezieht sich auf die Impfberechtigten. Solche Zahlen gibt es hierzulande nicht. Gerechnet auf die Gesamtbevölkerung sind rund 73 Prozent der Dänen vollständig geimpft.
Gute zehn Prozent trennen Deutschland und Dänemark also – ein großer Unterschied, wenn es um die Patienten in den Krankenhäusern geht. Das rechnete der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin, Christian Karagiannidis, der „Augsburger Allgemeinen“ vor.
Bereits ein Anstieg der Impfquote um zehn Prozentpunkte würde einen enormen Unterschied bei der Belegung der Intensivstationen machen: „Das ist eine sehr einfache Rechnung: Bei einer Impfquote von 80 Prozent gibt es doppelt so viele Gefährdete wie bei einer Impfquote von 90 Prozent, denn dann gäbe es nur zehn Prozent Ungeimpfte statt 20 Prozent. Bei einer Impfquote von 70 Prozent ist die Zahl dreimal so hoch.“
Fokus auf die Krankenhauspatienten
Ähnlich wie in der Bundesrepublik wenden sich die Skandinavier nun von den Inzidenzen ab. Die Neuinfektionszahlen pro Einwohner sind seit längerem höher als in Deutschland. In den Vergleichszahlen der EU-Gesundheitsbehörde ECDC lag Dänemark bei der 14-Tages-Inzidenz der vergangenen beiden Wochen weiter leicht vor der Bundesrepublik.
Forscherin Lone Simonsen hält die Öffnung dennoch für richtig. „Wir müssen nicht mehr auf die Infektionszahlen schauen, sondern auf die Anzahl der Krankenhauspatienten“, sagt sie. Dieser Wert ist mit derzeit rund 130 Patienten verhältnismäßig niedrig. Doch für die, die nicht geimpft sind, sehe es schlimm aus, sagt sie. „Wenn du nicht geimpft bist, wirst du dem Virus im Herbst oder Winter begegnen.“
Und auch wenn die Dänen nun optimistisch in die Zukunft blicken, ist ein neuer Lockdown nicht ausgeschlossen. „Wenn wir Virus-Mutationen bekommen, gegen die die Impfstoffe nicht helfen, können wir so nicht weitermachen“, warnt Simonsen. Die Aufhebung der Beschränkungen und der Massentests werde vermutlich dazu führen, dass man in Zukunft weniger über den Verlauf der Pandemie weiß. „Jetzt müssen wir die neuen Krankenhauseinweisungen genau beobachten. Die zeigen, ob sich die Epidemie-Intensität ändert und ob es Hinweise auf ein Versagen des Impfstoffs gibt.“
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