Nur mal schnell den Darm checken


Der Magen hängt durch. Gequält schaut er aus auf der Anzeige in einer Frauenzeitschrift. Die Angreifer – fiese grüne Keime mit fadenförmigen Schwänzen – setzen ihm zu. Darüber die Zeile: „Ein Schmerz, der Deinen Magen quält?“

Die Werbung preist einen Schnelltest für zu Hause an, mit dem Verbraucher ganz leicht abklären können, ob sie unter dem Magenkeim Helicobacter pylori leiden. Und ob dieser hinter Magenschmerzen, Sodbrennen und Stress steckt. „Einfach“, „schnell“, „sicher“, das verspricht die Anzeige. Erhältlich ist der Test über die Website eines bekannten Drogeriemarktes.

Test kann Arzt nicht ersetzen

Andere, ähnliche Tests desselben Anbieters stehen mittlerweile auch in den Regalen von Drogerien. So gibt es etwa einen Schnelltest „Gesunder Darm“, einen „Eisen Test“ und einen Test, der dabei helfen soll, eine „Glutenallergie“ nachzuweisen. Sie alle kosten um die zehn Euro.

Die NanoRepro AG, Hersteller der Heimtests, teilt auf Anfrage mit, dass die Schnelltests „dem Anwender einen ersten qualitativen Nachweis“ geben sollen – „diskret und ohne lange zu warten“. Sie könnten allerdings genauere Tests beim Arzt nicht ersetzen. „Die gezeigten Testergebnisse stellen keine Diagnose und keinen Therapieansatz dar, sondern sind nur ein erster Hinweis.“ Auch der Darmtest sei lediglich ein „unterstützendes Hilfsmittel“. Eine Diagnose dürfe nur ein Arzt stellen.

Wie sinnvoll sind die Heimtests überhaupt? SPIEGEL ONLINE hat drei ausprobiert und Fachleute gebeten, sie einzuschätzen.


Der „Eisen Test“: Worum geht es?

Auf der Verpackung gähnt eine Frau. „Müde? Kopfschmerzen? Infektanfällig?“ steht daneben. Weitere typische Anzeichen eines Eisenmangels sind laut Packungsbeilage etwa Blässe oder starkes Herzklopfen. Der Test wird als „Hilfsmittel zur Diagnose“ beworben. Er misst das sogenannte Ferritin, einen Proteinkomplex, in dem Eisen gespeichert wird.

Wie funktioniert der Test?

Wer als Kind schon gern mit dem Chemiekasten experimentiert hat, dürfte sich freuen. Pipette, Glas-Kapillarröhrchen und eine Testkassette stecken in der Packung, daneben ein Gefäß mit einem Probenverdünnungspuffer, eine automatische Stechhilfe, Alkoholtupfer und Pflaster. Dazu eine ausführliche Gebrauchsanweisung mit Bildern.

Zuerst wird die Kappe von der Stechhilfe gedreht. Wer zu neugierig ist und gleich den Auslöser drückt, hat’s erst mal vergeigt. Die Nadel schnellt mit einem lauten Klacken nach vorne, erneuter Einsatz unmöglich. Da hilft nur: Nadel vom Plastikgehäuse befreien oder gleich eine andere Piekshilfe für die Fingerspitze desinfizieren. Glasröhrchen horizontal an den Blutstropfen halten, sodass Blut reingezogen wird. Ganz gefüllt, wie vorgesehen, ist das Röhrchen allerdings nicht. Nach dem ersten Pieks ist höchstens ein Zehntel erreicht. Ein bisschen quetschen und nachbohren muss sein, auch dann wird es nur dreiviertel voll.

Danach Röhrchen in die Testlösung geben, schütteln und drei Tropfen der Mischung auf die Testkassette geben. Nach zehn Minuten lässt sich das Ergebnis ablesen – anhand von Strichen, ähnlich wie bei einem Schwangerschaftstest. Ein Rest Unsicherheit bleibt: Habe ich wirklich alles richtig gemacht? Oder war es doch zu wenig Blut?

Was sagen Experten zu dem Test?

„Ferritin ist ein sehr guter Marker für den Eisenhaushalt“, sagt Thomas Frieling, Direktor der Medizinischen Klinik II mit Gastroenterologie am Helios Klinikum Krefeld und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten. Der Test an sich sei in Ordnung. Aber, darauf weist auch das Labor hin, mit dem die Klinik zusammenarbeitet, erscheine bei allen Tests die „Handhabung für zu Hause doch relativ kompliziert und deshalb fehlerbehaftet“.

Frieling gibt zudem zu bedenken: Warum für etwas zahlen, was bei einem begründeten Verdacht von der Krankenkasse übernommen wird? Noch dazu, wenn letztlich doch ein Arzt die Diagnose endgültig abklären muss. In der Praxis erfährt der Patient zudem den genauen Eisenwert.


Der „Glutenallergie Test“: Worum geht es?

Auch dieser Test wird als „Hilfsmittel zur Diagnose einer Glutenunverträglichkeit“ beworben. Bei Zöliakie, so der Fachbegriff, verträgt der Körper das Klebereiweiß Gluten nicht, was zu einer chronisch-entzündlichen Erkrankung des Dünndarms führt. Eine Allergie ist es allerdings nicht, auch wenn die Immunreaktion des Betroffenen eine wichtige Rolle spielt. Gluten kommt etwa in Weizen, Dinkel, Roggen oder Gerste vor.

Die Angaben zur Häufigkeit der Zöliakie schwanken, sie liegen zwischen 0,3 und bis zu einem Prozent der Bevölkerung. Nur bei 10 bis 20 Prozent von ihnen liegt allerdings das Vollbild der Erkrankung vor, schreibt die Deutsche Zöliakie Gesellschaft auf ihrer Homepage. 80 bis 90 Prozent haben demnach untypische oder keine Symptome und wissen daher oft nichts von der Erkrankung.

Essen Betroffene glutenhaltige Speisen, leiden sie oft unter Durchfall, Übelkeit oder Blähungen. Auch Müdigkeit, Antriebsschwäche oder ein Nährstoffmangel können Anzeichen sein. Um eine Glutenunverträglichkeit festzustellen, misst der Test spezielle Antikörper im Blut.

Wie funktioniert der Test?

Das Equipment gleicht dem des Eisen-Tests, der Ablauf ist derselbe.

Was sagen Experten zu dem Test?

Gastroenterologe Frieling ist skeptisch: Zwar würden auch niedergelassene Ärzte bei einem Verdacht oft erst einmal einen Antikörpertest machen. Aber: „Es ist ein Hinweis, aber noch lange kein Beweis. Es gibt auch Patienten, die ein positives Ergebnis haben, aber keine Zöliakie.“ Bei anderen ist der Test negativ, und sie reagieren dennoch auf das Klebereiweiß.

Sicher feststellen lässt sich eine Glutenunveträglichkeit nur mit Dünndarmbiopsien. Dazu rät Frieling bei einem begründeten Verdacht. Denn wer tatsächlich erkrankt ist, muss sich lebenslang glutenfrei ernähren, und das schränkt ein. Zudem ist bei Betroffenen das Risiko erhöht, einen Tumor im Darm zu entwickeln.

In der Leitlinie, einer Art Handlungsempfehlung, wird von Schnelltests abgeraten. Der vom Labor übermittelte Befund sollte nicht nur die Bewertung „positiv“ oder „negativ“ enthalten, sondern etwa auch Angaben über die Konzentration der Antikörper, den Grenzwert und den Testhersteller, heißt es dort. Auch die Güte der Tests ist wichtig. „Labore müssen belegen, dass sie wirklich messen, was sie messen sollen“, sagt Frieling. Bei dem Schnelltest muss der Verbraucher den Angaben im Beipackzettel vertrauen.

Gesundheitswissenschaftlerin und Ärztin Ingrid Mühlhauser von der Universität Hamburg ist genau in dem Punkt skeptisch. Ihr fehlen Informationen, andere findet sie irreführend. So werden in dem Beipackzettel zwar die Leistungsdaten des Testes aufgeführt, der mit einem Referenztest verglichen wurde. Aber: „Ich weiß als Verbraucher nicht, welcher Referenztest es war und wer die Tests durchgeführt hat, Laien oder Profis.“

Zudem: Bei der kleinen Untersuchung mit 80 Teilnehmern wies der Test bei 50 eine Glutenunverträglichkeit nach, einmal lag er falsch. „Da Zöliakie viel seltener auftritt, hat man den Test wohl schon an einer vorbelasteten Gruppe getestet“, sagt Mühlhauser. Anders gesagt: In der Untersuchung ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ein positives Ergebnis tatsächlich eine Zöliakie bedeutet. „Als Nutzer möchte ich aber wissen, wie gut der Test vorhersagen kann, dass ich wirklich eine Glutenunverträglichkeit habe. Für diese Info fehlen Quellen.“ Kann ich mir also nach einem positiven Ergebnis sicher sein, dass ich betroffen bin? „Nein“, sagt Mühlhauser.

Die Deutsche Zöliakie-Gesellschaft stuft den Erkenntniswert solcher Tests als „äußerst gering“ ein. Wer nach einer derart wackeligen Einschätzung beginnt, sich glutenfrei zu ernähren, erschwert zudem die ärztliche Diagnose – da dies das Ergebnis verfälschen kann.


Der „Gesunder Darm Test“: Um was geht es?

„Blut im Stuhl? Durchfall? Darmkrämpfe? Verstopfung“, steht auf der Verpackung. Darunter: „Früherkennung kann schützen“. Der Test soll verborgenes, menschliches Blut im Stuhl nachweisen, ein „erstes Anzeichen für Erkrankungen wie Polypen oder Darmkrebs“.

Wie funktioniert der Test?

Auch hier gibt es ein Röhrchen für die Probe. Aus dem Stuhl sollen an verschiedenen Stellen Proben gesammelt werden. Diese löst man in einer Flüssigkeit auf und tröpfelt etwas davon auf das Testkit, bis wieder Striche erscheinen. Der Test ist allerdings weder schön, noch einfach: Toilettenwasser, Blut im Urin oder Magenirritationen können das Ergebnis verfälschen. Bei positivem Ergebnis wird geraten, sofort zum Arzt zu gehen.

Was sagen Experten zu dem Test?

Ingrid Mühlhauser fehlen auch hier die Quellen, um die Güte des Tests zu überprüfen. „Aus Untersuchungen mit ähnlichen Tests wissen wir zudem, dass ein Großteil der Verbraucher das Ergebnis falsch interpretiert“, sagt sie. „Mit dem Test lässt sich Darmkrebs weder nachweisen noch ausschließen. Ein positiver Befund bedeutet nicht, dass ich erkrankt bin.“

Das steht zwar auch so im Beipackzettel. Doch der Hinweis fehlt, dass eine Blutung oft auch harmlose Ursachen hat. Nur bei einem kleinen Teil derer, bei denen Tests auf verborgenes Blut angeschlagen haben, finden die Ärzte durch weitere Untersuchungen tatsächlich einen bösartigen Tumor, schreibt etwa der Krebsinformationsdienst. Andererseits blutet nicht jeder Tumor oder Polyp. Solche Tests übersehen daher auch Krebsfälle.

Vor allem die alten Tests, die verborgenes Blut im Stuhl biochemisch nachweisen, sind störanfällig. Seit 2017 zahlt die Kasse für neuere, zuverlässigere Verfahren, sogenannte immunologische Stuhltests. Sie weisen das Blut mithilfe von Antikörpern nach. Aber auch sie sind fehleranfällig.

Die Alternativen

Frieling befürchtet, dass der kommerziell erhältliche Test ohne einordnendes Gespräch eher für Verunsicherung sorgt – und das, obwohl die Darmkrebsvorsorge durchaus nutzt. Ab 50 Jahren hat jeder Versicherte Anspruch auf regelmäßige Untersuchungen zur Früherkennung von Darmkrebs. Dazu zählen jährliche Tests auf verborgenes Blut im Stuhl und ab 55 Jahren die Darmspiegelung. Wer sich gegen die Spiegelung entscheidet, kann stattdessen alle zwei Jahre den Test machen. Die Kassen zahlen für die Untersuchungen.

Die Darmspiegelung ist die zuverlässigste Methode zur Früherkennung, Männern soll sie zukünftig schon ab 50 empfohlen werden. Wer zu einer Risikogruppe zählt, etwa weil in der Familie schon Darmkrebs aufgetreten ist, kann die Vorsorge auch früher in Anspruch nehmen.

Gastroenterologe Frieling sieht die Gefahr, dass der frei erhältliche, kommerzielle Schnelltest zu früh und zu oft verwendet wird. „Dann treten auch falsch positive Befunde häufiger auf“, sagt er. „Als Folge muss ich unnötige Untersuchungen über mich ergehen lassen.“ Denn ein auffälliges Ergebnis muss mit einer Darmspiegelung abgeklärt werden.


Zusammengefasst: Selbsttests auf Blut im Stuhl, Eisen oder Gluten gibt es freiverkäuflich im Handel. Doch die Handhabung ist schwierig, die Aussagekraft der Tests eingeschränkt und die Interpretation fehleranfällig. Die Gesundheitswissenschaftlerin Ingrid Mühlhauser sagt daher: „Alles, was nötig ist, bekomme ich kostenlos und genauer beim Hausarzt, Beratung inklusive.“ Der Gastroenterologe Thomas Frieling betont: „Es besteht die Gefahr, dass solche Tests zu unkritisch eingesetzt werden.“ Und dass der Verbraucher danach letztlich nicht viel schlauer ist – aber um einige Euro ärmer.

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