Bewegung wirkt sich positiv auf das Wohlbefinden und die geistigen Fähigkeiten aus, das ist bekannt. Eine Studie aus England zeigt nun, dass allein neun Minuten mehr Bewegung am Tag die kognitiven Reserven langfristig auffüllen können.
Demenz ist unberechenbar und kann jeden treffen. Der kontinuierliche Abbau von geistigen und kognitiven Fähigkeiten, der zum Verlust von Merkfähigkeit, Sprache, Erinnerung und zu einer Wesensänderung führen kann, betrifft immer mehr Menschen.
Zahl der Demenzfälle wird um 40 Prozent steigen
Allein in Deutschland leiden 1,8 Millionen Menschen an Demenz, jährlich nehmen die Fallzahlen um etwa 440.000 zu – mit steigender Tendenz. Laut einer Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird sich die Zahl der weltweiten Demenzfälle bis 2030 um rund 40 Prozent erhöhen. Der Grund dafür: der demografische Wandel und die sich verändernden Lebensstilfaktoren der modernen Gesellschaft.
Es zeigen jedoch immer mehr Studien, dass jeder sein eigenes Krankheitsrisiko senken kann. Neben einer ausgewogenen Ernährung, einem allgemein gesunden Lebensstil und Gedächtnistraining gilt vor allem regelmäßige Bewegung als elementare Vorbeugungsmaßnahme. Doch wie viel Bewegung sollte es sein? Diese Frage haben sich Forscher des UCL Institute of Epidemiology and Health Care in London gestellt – und sind zu einem erstaunlichen Ergebnis gekommen.
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Demenz-Studie untersucht 4500 Probanden
In ihrer Übersichtsstudie untersuchten die Wissenschaftler Daten von rund 4500 Probanden mit einem durchschnittlichen Alter von 47 Jahren. Bei der Analyse berücksichtigten sie demografische Daten, Bildungsstand, mögliche Vorerkrankungen sowie Lebensstil inklusive Alkohol- und Zigarettenkonsum.
Alle Probanden kamen 1970 in England, Schottland oder Wales zur Welt. Die Forschenden beobachteten sie während ihrer gesamten Kindheit und im Erwachsenenalter nach.
Während des Untersuchungszeitraums von sieben Tagen statteten sie die Teilnehmenden mit einem Accelerometer aus, einem Beschleunigungssensor, der das tägliche Bewegungsverhalten dieser erfassen sollte. Daneben durchliefen die Untersuchungspersonen verschiedene kognitive Tests, die der Erfassung der Erinnerung und sprachlichen Fähigkeiten dienten.
Zur Erfassung des Bewegungsverhaltens differenzierten die Forschenden zwischen
- sitzenden und liegenden Tätigkeiten,
- leichten körperliche Aktivitäten (etwa Gehen und normale Tätigkeiten im Haus oder im Büro),
- moderaten oder intensiven körperliche Aktivitäten (etwa zügiges Gehen oder Laufen) sowie
- der Schlafenszeit.
Wer sich intensiv bewegt, ist fit im Kopf
Das Ergebnis: Moderate und intensive körperliche Betätigung weist einen positiven Zusammenhang mit der kognitiven Leistungsfähigkeit auf. Die Probanden, die sich häufiger intensiv körperlich betätigten, wiesen deutlich bessere Ergebnisse bei den kognitiven Tests auf als Vergleichspersonen, die sich weniger intensiv bewegten.
Wie Studienautor John Mitchell erläutert, trugen selbst kleine Zeitspannen an intensiver Bewegung von circa sechs bis neun Minuten zu signifikant besseren Testergebnissen bei – unabhängig von demografischen Faktoren und üblichen Lebensstilfaktoren der Probanden wie Alkoholkonsum oder Rauchen.
So viel Zeit verbrachten die Probanden an einem durchschnittlichen Tag mit den unterschiedlichen Bewegungsintensitäten:
- moderate oder intensive körperliche Aktivitäten: 51 Minuten
- leichte körperliche Aktivitäten: 5 Stunden 42 Minuten
- sitzende Tätigkeiten: 9 Stunden 16 Minuten
- Schlafenszeit: 8 Stunden und 11 Minuten
9 Minuten Bewegung steigern kognitive Leistung signifikant
Das Ziel der Forschenden war es, herauszufinden, welche Auswirkungen es hat, die Zeitanteile der unterschiedlichen Kategorien zu verschieben. Die Erkenntnisse:
- Ersetzt man pro Tag allein neun Minuten der sitzenden Tätigkeiten mit neun Minuten moderater oder intensiver körperlicher Aktivität, kann eine signifikante Steigerung der kognitiven Leistungsfähigkeit erzielt werden.
- Eine Reduktion der moderaten oder intensiven körperlichen Aktivität führte dagegen zu einer sofortigen Abnahme der kognitiven Leistung. Wurden allein acht Minuten der körperlichen Aktivitäten mit sitzenden, sechs Minuten leichter körperlicher Tätigkeiten oder sieben Minuten mit Schlaf ersetzt, zeigte sich eine signifikante Abnahme der kognitiven Fähigkeiten.
Die Forschenden betonen jedoch auch, dass die Auswirkung der jeweiligen Aktivität in Zusammenhang mit den damit verbundenen Beschäftigungen betrachtet werden muss. Sitzende Tätigkeiten müssen sich nicht unbedingt kognitiv negativ auswirken, wenn während des Sitzens gelernt oder gelesen wird – anders sehe es beim Fernsehen aus.
In einem Kommentar für das Fachportal „Medscape“ sagte Jennifer J. Heisz, außerordentliche Professorin und Inhaberin des Canada Research Chair in Brain Health and Aging, Department of Kinesiology, McMaster University Hamilton, Kanada, dass die Ergebnisse der Studie wichtig seien. „Durch die statistische Modellierung zeigen die Autoren, dass der Austausch von nur neun Minuten sitzender Tätigkeit gegen mäßige bis starke körperliche Aktivität, etwa einen zügigen Spaziergang oder eine Fahrradfahrt, mit einer Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten verbunden war.“ Dies scheine vor allem für Menschen mit sitzenden Tätigkeiten zu gelten.
Sie rät: Mediziner sollten ihre Patienten demnach ermutigen, einen zügigen zehnminütigen Spaziergang in ihre tägliche Routine aufzunehmen und langes Sitzen mit kurzen Bewegungspausen zu unterbrechen.
Doch was genau versteht man unter moderater und intensiver Bewegung?
Folgende Sportarten entsprechen nach den Kriterien der World Health Organisation (WHO) moderaten Bewegungsformen:
- schnelles Gehen oder Nordic Walking
- Radfahren
- Schwimmen
- Ergometertraining
- Tanzen
Zu den intensiven Bewegungsformen zählen hingegen:
- Joggen
- schnelles Radfahren
- schnelles Schwimmen
Bessere Versorgung des Gehirns mit sauerstoffreichem Blut
Die positiven Auswirkungen der Bewegung auf die kognitiven Reserven begründen die Wissenschaftler mit den generell positiven Effekten regelmäßiger körperlicher Aktivität auf die Gesundheit. Gerade intensive Bewegungsformen, die den Puls hochtreiben, tragen dazu bei, dass mehr sauerstoffreiches Blut zu den lebenswichtigen Organen – allen voran ins Gehirn – transportiert wird. Nervenzellen können sich so dichter vernetzen und Informationen besser ausgetauschen.
Daneben wirkt sich Sport positiv auf zahlreiche weitere Risikofaktoren aus, die in Verbindung mit Demenz stehen. Dazu zählen:
- Bluthochdruck
- Übergewicht
- Diabetes
- Depression
Regelmäßige, moderate oder intensive Ausdauereinheiten
- senken den Blutdruck und Cholesterinspiegel
- wirken Übergewicht entgegen,
- senken das Risiko für die Entstehung von Diabetes mellitus, Herzinfarkten und Schlaganfällen,
- schützen vor Gefäßverkalkungen und damit vor vaskulärer Demenz und
- beugen depressiven Verstimmungen vor.
Weitere beeinflussbare Risikofaktoren
Neben den genannten Risikofaktoren gibt es weitere, denen sie teils aktiv vorbeugen können. Dazu zählen:
- Schwerhörigkeit: Bereits leichte Hörminderung kann das Demenzrisiko verdoppeln.
- Ein geringer Bildungsgrad: Alzheimer und ähnliche Krankheiten treffen vor allem Menschen mit niedrigerem Bildungsabschluss. Es liegt zwar nicht vollständig in der eigenen Hand, einen hohen Bildungsgrad zu erreichen, aber Sie können sich selbst regelmäßig kognitiv fordern. Lernen Sie eine neue Sprache, ein Musikinstrument, tanzen Sie, spielen Sie Memories oder bilden Sie sich anderweitig weiter.
- Kopfverletzungen: Tatsächlich kann bereits eine kleine Gehirnerschütterung viele Jahre später das Risiko für eine Demenz verdoppeln. Noch höher steigt das Risiko, wenn es sich um eine richtige Kopfverletzung handelt, und/oder wenn dabei Bewusstlosigkeit eingetreten ist.
- Alkohol: Alkohol schädigt nicht nur die Nervenzellen, sondern löst auch ihre Verbindungen. Die Grenze, ab wann Alkohol dem Gehirn schadet, liegt bei etwa einem halben Liter Bier pro Tag bei Männern, Frauen sollten nicht mehr als einen Viertelliter trinken.
- Rauchen: Wer mehr als 20 Jahre lang raucht, hat ein doppelt so hohes Demenzrisiko wie Nichtraucher, was verschiedene Studien belegen. Ursache sind die Inhaltsstoffe im Rauch, die Arteriosklerose begünstigen. Verstopfte, geschädigte Gefäße können Gewebe nicht mehr ausreichend versorgen, Abbau von Nervenzellen ist die Folge.
- Einsamkeit: Wer allein lebt oder verwitwet ist, hat ein erhöhtes Risiko für Demenzerkrankungen, da die Gehirnfunktion auch von sozialen Kontakten abhängig ist.
- Luftverschmutzung und Feinstaub: Stickoxide und Feinstaub, dabei vor allem Ultrafeinstaub aus Verbrenner-KFZs schaden dem Gehirn nachweislich.
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