Lauterbach will Kliniken retten – warum Experten nicht überzeugt sind

Die Kinderkliniken stehen vor dem Kollaps – und Bundesgesundheitsminister Lauterbach hat reagiert. Ein neues Gesetz soll Entlastung bringen. Aber tut es das auch? Und was bringen die weiteren angekündigten Reformen? Wir haben bei Deutschlands Medizinern nachgefragt.

Überfüllte Notaufnahmen, Mütter, die mit ihren Babys auf dem Flur liegen: Die Lage in Deutschlands Kinderkliniken ist prekär, Mediziner und Pflegekräfte sind am Limit. Aktuell steigen vor allem die Fälle mit dem RS-Virus rasant an, ein Erreger, der besonders junge Kinder lebensgefährlich krank machen kann.

Um das Personal zu entlasten, hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach reagiert und vor wenigen Tagen seinen Plan verkündet: Das Krankenhauspflegeentlastungsgesetz, welches am Freitag auch vom Bundestag verabschiedet wurde, soll Abhilfe schaffen. Es verspricht „mehr Zeit für Patienten im Krankenhaus, Unterstützung für Geburtshilfe, Pädiatrie und Hebammen“. Aber tut das Entlastungsgesetz, was es verspricht? Und was bringen die übrigen Reformen, welche der Gesundheitsminister für die Kliniken vorgestellt hat? FOCUS online hat bei Experten nachgefragt, was diese von den zentralen Punkten halten.

  • Lesen Sie auch: Kinderkliniken wegen RS-Virus am Limit – „Mütter liegen mit ihren Babys auf dem Flur“

1. Krankenhäuser können Personal in die Kinderstationen verlagern

Lauterbach-Plan: Der Gesundheitsminister hatte dazu aufgefordert, bei Bedarf Krankenhauspersonal in die Kinderstationen zu verlegen.

Experten-Einschätzung: Der Vorschlag der Verlegung von Personal in die Kinderstationen hilft laut Jakob Maske, dem Bundessprecher des Kinderärzte-Berufsverbands „überhaupt“ nicht. Ein Erwachsenen-Pfleger könne kein Frühgeborenes mit 600 Gramm Körpergewicht pflegen. „Das ist völliger Humbug und wird auch keine Entlastung bringen“, kritisiert er scharf.

Und auch der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK), der Deutsche Pflegerat (DPR) und die Pflegegewerkschaft BochumerBund zeigen sich wenig begeistert über diesen Vorschlag. „Kinder sind keine Erwachsenen“, betonte etwa Nina Praceus, die Bundesvorsitzende des BochumerBunds gegenüber dem Portal „Bibliomed-Pflege“.

Im Rahmen dieser Maßnahme sollen die bislang geltenden Pflegepersonaluntergrenzen ausgesetzt werden. Dabei handelt es sich um die unterste Marke, ab der eine gesicherte Versorgung gewährleistet ist.

Weniger kritisch sieht diesen Vorschlag die Deutsche Krankenhausgesellschaft. Ein Sprecher sagt FOCUS online: „Die Personaluntergrenzen sind schon zu normalen Zeiten unflexibel und ungeeignet, bedarfsgerechte Pflege abzusichern. Wir unterstützen daher den Vorstoß des Gesundheitsministers.“

2. Telefonische Krankschreibung für Eltern kranker Kinder wird fortgeführt

Lauterbach-Plan: Außerdem schreibt das BMG die Möglichkeit zur telefonischen Krankschreibung auch für Kinderärzte ab heute fort. Eltern haben so die Möglichkeit, bei Erkrankung ihres Kindes zu Hause zu bleiben und trotzdem den Anspruch auf Krankengeld zu behalten.

Experten-Einschätzung: „Die telefonische Krankschreibung hat sich bereits während der Corona-Pandemie bewährt, daran sollten wir festhalten“, erklärt der DKG-Sprecher weiter. Aber auch mit konsequenter Entbürokratisierung könnten die Beschäftigten im Krankenhaus jetzt entlastet und so die Versorgung gesichert werden. „Noch immer müssen Ärzte und Pflegekräfte rund drei Stunden ihres Arbeitstages mit oft unnötiger Bürokratie verbringen.“

  • Lesen Sie auch: Britisches Gesundheitssystem steht vor dem Kollaps – droht das auch uns?

5. Erlösgarantie für Kinderkliniken wird erhöht

Lauterbach-Plan: Die Bundesreigerung plant, die Pädiatrie zu fördern. Das soll mithilfe einer Erlösgarantie geschehen.

Experten-Einschätzung: Für Kinderkliniken soll es 2023 und 2024 jeweils 300 Millionen Euro zusätzlich geben. Diese Pläne hält Maske erst einmal für in Ordnung. Insgesamt seien 300 Millionen Euro aber „nicht so wahnsinnig viel Geld“. In den Plänen werde aber auch nur die klinische Medizin bedacht und nicht die ambulante. Die ambulanten Kinder- und Jugendmediziner behandelten aber 85 bis 90 Prozent der Erkrankten.

„Die Stärkung von Pädiatrie und Geburtshilfe ist auf jeden Fall richtig“, heißt es zwar von der DKG, die aber die konkreten Pläne dennoch als „problematisch“ bewertet. Die Gelder, welche die Krankenhäuser zusätzlich bekommen sollten, seien den Kliniken an anderer Stelle schon längst weggenommen worden, kritisiert der Vorsitzende Gerald Gaß: „Wir bezahlen also diese Verbesserung selber.“

Lauterbach will „Revolution“ der deutschen Krankenhäuser

Zusätzlich stellte Lauterbach am Dienstag zahlreiche Vorschläge zur Reform der Krankenhäuser vor, sprach von einer „Revolution“ für die deutschen Kliniken. Patienten sollen demnach in Zukunft weniger nach wirtschaftlichen und stärker nach medizinischen Gesichtspunkten behandelt werden. „Die Medizin wird wieder in den Vordergrund der Therapie gestellt und folgt nicht der Ökonomie“, versprach der SPD-Politiker.

Das Hauptproblem sei aktuell die Bezahlung der Kliniken über sogenannte Fallpauschalen. Das sind pauschale Sätze für vergleichbare Behandlungen – „egal wie aufwendig der Fall behandelt wird, egal, wo er behandelt wird, ob er gut behandelt wird oder nicht so gut behandelt wird“, wie Lauterbach erläuterte. Unterm Strich lohne es sich für Kliniken, möglichst viele Behandlungen auf möglichst billige Weise durchzuführen. „Somit hat man mit diesem System eine Tendenz zu billiger Medizin.“

Krankenhausmediziner: Reformen „deutlich zu kurz gesprungen“

Nach den Vorschlägen einer Regierungskommission zur Krankenhausversorgung sollen die Kliniken stattdessen in Zukunft nach drei neuen Kriterien honoriert werden:

  • Vorhalteleistungen
  • Versorgungsstufen und
  • Leistungsgruppen.

Die geplante Reform solle in den kommenden Jahren einen Schwerpunkt seiner Arbeit bilden und stelle „eine Revolution im System“ dar, sagte Lauterbach.

Ganz zufrieden sind Deutschlands Krankenhausmediziner allerdings nicht mit den Reformen. „Unser Fazit zu den Vorschlägen der Kommission lautet: Grundsätzlich richtige Gedanken zur Novellierung der Finanzierung, aber deutlich zu kurz gesprungen“, erläutert der Vorstandsvorsitzende Gaß.

Maßgebliche Punkte, etwa die strukturelle Unterfinanzierung und die Defizite bei der Investitionsförderung würden schlicht ausgeblendet werden. „In der Krankenhausplanung verliert sich die Kommission in kleinteiligen Planungsvorgaben und Regelungen und erschwert damit die Einigung zwischen Bund und Ländern“, so Gaß weiter.

Die nächsten Monate würden von einem nicht einfachen Diskussionsprozess von Bund, Ländern und den umsetzenden Verbänden und Akteuren geprägt sein. „Wir Krankenhäuser stehen für diesen Prozess bereit. Aber uns läuft auch die Zeit davon. Krankenhäuser brauchen verlässliche Perspektiven und Planungssicherheit. Die aktuelle Lage ist eher trostlos“, resümmiert er.

Quelle: Den ganzen Artikel lesen