Covid-19-Impfstoffe gelten als sicher und wirksam. Dennoch leidet eine Minderheit nach der Impfung an zum Teil schwerwiegenden Nebenwirkungen. Ärzte und Wissenschaftler befürchten eine Untererfassung der Fälle durch das Paul-Ehrlich-Institut. Ein MDR-Bericht lässt Betroffene zu Wort kommen.
Impfnebenwirkungen nach einer Covid-19-Impfung – sie sind sehr selten, aber oft schwerwiegend. Betroffene fühlen sich mit ihren Beschwerden häufig allein gelassen. Denn da es sich um neuartige Impfstoffe handelt, sind auch die Erfahrungen, was die Behandlung von solchen Impfschäden angeht, noch sehr begrenzt.
Der MDR hat in zwei kurzen Filmen Betroffene, Ärzte und Forschende zu Wort kommen lassen. Sie zeigen die Ängste und Sorgen von Menschen, die seit der Corona-Impfung unter den unterschiedlichsten Nebenwirkungen leiden. Sie alle wünschen sich vor allem eines: eine Anlaufstelle für ihre Probleme. Sie möchten ernst genommen werden und sie suchen nach Hilfe für ihre Beschwerden.
Muskelzuckungen, Taubheitsgefühle, Herzrhythmusstörungen als Nebenwirkungen
Die 31-jährige Lehrerin Vera Rieder leidet seit ihrer Corona-Impfung an heftigen Nebenwirkungen. In der MDR-Sendung “Umschau” schildert sie ihre Erlebnisse. Nach ihrer ersten Impfung im Oktober vergangenen Jahres bekam sie einen Hautausschlag mit Beulen. Muskelzuckungen und Taubheitsgefühle schlossen sich an. Ihre Hand entwickelte eine Spastik und sie hatte heftige Herzrhythmusstörungen.
“Dass das Herz nur noch 30-mal in der Minute geschlagen hat, dass es dann im nächsten Moment ins andere Extrem übergegangen ist, bis zu 170-mal – also einfach massive Pulsschwankungen, dass das Herz sich richtig zusammengekrampft hat – und das ging nicht nur über Stunden, das ging wirklich über ganz viele Wochen. Und man bekommt keine wirkliche Erklärung für diese Symptome. Und das macht einem wirklich Angst.”
Die Lehrerin ist mehrmals im Krankenhaus, sucht mehrere Ärzte auf. Doch seit fünf Monaten ist sie arbeitsunfähig, Diagnose: Impfkomplikationen. Die 31-Jährige meldet ihre Nebenwirkungen dem zuständigen Paul-Ehrlich-Institut, bekommt jedoch nur Standardantworten. Ihr Eindruck: Niemand interessiert sich für ihre Beschwerden.
Ein gesellschaftliches Tabu
“Die Betroffenen werden somit alleine gelassen, man hat diese gesundheitlichen Probleme, man ist hilflos, weil man eine recht unerforschte Reaktion hat, womit einfach auch viele Ärzte überfordert sind und dann kommt noch für uns Betroffene hinzu, dass es ein gesellschaftliches Tabu-Thema ist”, sagt sie.
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Im Internet findet die Lehrerin viele weitere Menschen, die von starken Nebenwirkungen betroffen sind. Sie schildern teilweise identische Komplikationen. Auch sie vermissen eine Anlaufstelle für ihre Beschwerden.
Vera Rieder sucht nach Antworten. Sie bezahlt 200 Euro für eine große Blutuntersuchung. Das Ergebnis: Sie hat sogenannte Autoantikörper im Blut, die das körpereigene Gewebe angreifen.
Autoantikörper werden häufig auch bei Long-Covid-Patienten festgestellt. Marion Bimmler, die in Berlin ein Forschungslabor leitet, kommt im MDR-Beitrag zu Wort. Sie hat Autoantikörper bei 300 Patienten nach einer Covid-19-Impfung nachgewiesen. Die Betroffenen waren schwer krank, weshalb sie die zuständigen Behörden informierte.
“Diese Patienten haben doch alles richtig gemacht”
“Ob es das Paul-Ehrlich-Institut war, ob es die Ständige Impfkommission war und Herr Lauterbach, usw. – Sie kriegen, sobald Sie das Wort ‘Impfung’ erwähnen, von niemandem ein Wort. Wobei wir doch gar keine Impfgegner hier sind, sondern im Normalfall die Impfung befürworten. Und diese Patienten haben sich doch impfen lassen. Sie haben alles gemacht: Sie haben das Gesundheitswesen schützen wollen, sie haben sich selbst schützen wollen und ihre Angehörigen. Und sie kriegen von niemandem eine Antwort. Und das ist mir in meinem langen Arbeitsleben – und das ist wirklich schon lang – noch nie passiert.”
Auf Anfrage des MDR beim Paul-Ehrlich-Institut antwortet dieses, das man bisher kein Risiko-Signal, also kein gehäuftes Auftreten in Zusammenhang mit der Impfung, erkennen könne.
Doch viele Ärzte vermuten, dass es eine deutliche Untererfassung der Nebenwirkungen beim Paul-Ehrlich-Institut geben könnte. Denn für die Meldung einer Impf-Nebenwirkung gibt es unterschiedliche Hürden. Zum Beispiel beklagen Mediziner, dass die Meldung kompliziert und zeitaufwendig sei.
Keine Antwort vom Paul-Ehrlich-Institut
Dr. Erich Freisleben hat sich in einem Video öffentlich zu Impfnebenwirkungen geäußert. Was dann folgte, überforderte den Allgemeinmediziner. Seine Praxis wurde von Patienten aus dem gesamten Bundesgebiet regelrecht überrollt. Er vermutet, dass es eine starke Untererfassung von Impfkomplikationen gibt. Denn seine Erfahrungen zeigen, dass Nebenwirkungen nach einer Corona-Impfung von Kollegen häufig nicht ernst genommen werden. Zudem sei der Zeitaufwand für die Meldung enorm. Für fünf Patienten habe er vier Stunden gebraucht. Inzwischen habe er eine Kollegin abgestellt, die diese Meldungen für ihn übernimmt.
Dem MDR sagte er, dass er inzwischen 86 Fälle dokumentiert habe – eine Reaktion vom Paul-Ehrlich-Institut habe er aber nicht bekommen.
“Ich habe den Eindruck, dass das Impf-Thema dermaßen emotional aufgeladen ist, dass man sich nicht traut, irgendetwas zu sagen, was vielleicht als Schwäche oder als Problem in diesem Zusammenhang im Raum steht, um nicht in eine bestimmte Kategorie eingeordnet zu werden. Und das finde ich, darf nicht sein. Wir sind ein wissenschaftsbasiertes und -orientiertes Land und wir können nicht nach Glaubensrichtungen gehen und sagen, ich glaube an die Impfung, oder ich glaube nicht – sondern wir müssen alles tun, um wissenschaftlich wirklich die Wahrheiten und die Kernpunkte herauszufinden”, sagte Freisleben in der MDR-Sendung.
Auch Professor Harald Matthes, ärztlicher Leiter des Gemeinschaftskrankenhauses Havelhöhe und Stiftungsprofessor am Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité – Universitätsmedizin Berlin, geht von einer Untererfassung der Impfnebenwirkungen aus. Matthes leitet die ImpfSurv-Studie zu Impfnebenwirkungen an der Charité. Dem MDR sagte er:
“Man muss davon ausgehen, dass im Paul-Ehrlich-Institut eine Untererfassung vorliegt, weil wir in unserem Register höhere Zahlen haben. Und wenn wir unsere Zahlen und Daten vergleichen mit skandinavischen, mit kanadischen und israelischen Daten, dann kommen wir etwas auf die gleichen Daten, das heißt, der Vergleich lässt den Schluss zu, dass wir hier in Deutschland eine Untererfassung durch das Paul-Ehrlich-Institut haben.”
“Schaut hin! Helft uns!”
Für die Betroffenen ist es eine unerträgliche Situation. Sie wollen ernst genommen werden, sie suchen nach Hilfe für ihre gesundheitlichen Probleme – doch oft werden sie von Arzt zu Arzt, von Klinik zu Klinik geschickt – ohne Erfolg.
Auch wenn es darum geht, für ihre Schäden nach einer Corona-Schutzimpfung entschädigt zu werden, sind die Hürden extrem hoch. Denn Impfschäden werden nur anerkannt, wenn die Symptome noch sechs Monate nach der Impfung anhalten. Und auch dann sind die Chancen schlecht – die meisten Anträge werden abgelehnt, wie der Anwalt Joachim Cäsar-Preller erklärt. Er vertritt mehrere impfgeschädigte Klienten.
“Es wird so gut wie alles abgelehnt, alles von sich gewiesen – und das passt so gar nicht dazu, dass man doch zum Impfen immer wieder auffordert und auch Druck erzeugt – aber man muss sich eben auch den Menschen annehmen, die leider mit den Nebenwirkungen zu kämpfen haben”, sagte er dem MDR.
Genau das ist es, was viele vermissen: Zwar sind die verfügbaren Corona-Impfstoffe für die allermeisten Menschen gut verträglich. Doch die wenigen, die nach der Impfung mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen haben, sollten nicht allein gelassen werden.
Das wünscht sich auch Stefanie Wietersheim. Die 51-Jährige leidet seit ihrer dritten Impfung unter massiven gesundheitlichen Einschränkungen. Vor der Booster-Impfung war sie vollkommen gesund – das weiß sie so genau, weil sie sich in Vorbereitung auf einen Marathon kurz vorher medizinisch durchchecken ließ. Jetzt kann Wietersheim kaum selbstständig laufen, zeitweise war sie sogar auf einen Rollstuhl angewiesen. Sie sagt:
“Die Impfung hat natürlich wahnsinnig viele Leben gerettet, das ist ja vollkommen klar. Aber genauso muss man sehen: Wir haben eine Minderheit, die wird sehr krank, warum auch immer. Das ist schon unangenehm und ich kann nur an die politisch Verantwortlichen appellieren: Schaut hin! Helft uns!”
Nebenwirkungen nach der Impfung: Wann braucht man ärztliche Hilfe?
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