Hohe Sterberate bei Beatmungspatienten lässt Ärzte rätseln

Zu viele Corona-Patienten, aber zu wenige Beatmungsgeräte: Diese Angst trieb Klinikchefs und Regierungen in den vergangenen Wochen um. Um sich für eine mögliche Welle an Covid-19-Patienten zu rüsten, erhöhten viele Krankenhäuser die Zahl der Intensivbetten und Beatmungsgeräte. Denn besonders schwere Fälle seien auf eine mechanische Beatmung angewiesen, so lautet bislang der Konsens unter Ärzten.

Damit ausreichend Geräte verfügbar sind, stellten einige Unternehmen – darunter E-Auto-Pionier Tesla und Staubsauger-Gigant Dyson – sogar ihre Produktion in der Corona-Krise um. Hierzulande wurde die Kapazität innerhalb weniger Wochen von 20.000 auf 30.000 Betten mit Beatmungsgerät erhöht.

Doch nun stellen einige internationale Studien den Nutzen von Beatmungsgeräten zur Behandlung von Covid-19-Patienten infrage. Einige Ärzte gehen sogar so weit, die Geräte nicht mehr zu benutzen, solange es sich vermeiden lässt.

Hohe Todeszahl bei Corona-Patienten

Mechanische Beatmungsgeräte pumpen Sauerstoff in Patienten, deren Lungen versagen. Bei der Anwendung der Geräte wird der Patient zunächst sediert, anschließend wird ihm ein Schlauch in den Rachen gesteckt. Todesfälle bei solch kranken Patienten sind häufig, egal aus welchem Grund sie die Atemhilfe benötigen, schreibt die Nachrichtenagentur „Associated Press“ (AP). Im Allgemeinen sterben 40 bis 50 Prozent der Patienten mit schweren Atembeschwerden, während sie an Beatmungsgeräten angeschlossen sind, so die Experten.

Bei den Coronavirus-Patienten, die in New York City an solche Geräte angeschlossen wurden, liegt die Rate jedoch bei 80 Prozent und mehr, so die offiziellen Angaben. Diese Beobachtung ist kein New Yorker Phänomen. Auch in anderen Teilen der Vereinigten Staaten wurden höhere als die normalen Sterberaten gemeldet, sagte Albert Rizzo, der leitende Arzt der American Lung Association, gegenüber „AP“.

Ähnliche Größenordnungen wurden auch aus China und dem Vereinigten Königreich berichtet. Ein britischer Bericht beziffert die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit Beatmungsgeräten auf 66 Prozent. Einer vergleichsweise kleinen Studie aus Wuhan – jener chinesischen Stadt, in der das Virus und die Krankheit Covid-19 erstmals auftrat – zufolge seien sogar 86 Prozent gestorben. Die Fallzahl betrug jedoch nur 22 Patienten, insofern ist die Aussagekraft gering. 

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Schaden die Geräte in Einzelfällen sogar?

Über die Hintergründe können die Wissenschaftler bislang nur spekulieren. Womöglich hänge es stark vom Zustand des jeweiligen Patienten ab, bevor er mit dem Coronavirus infiziert wurde. Eventuell sei aber auch entscheidend, wie krank die Patienten zu dem Zeitpunkt, als sie an die Maschinen angeschlossen wurden, schon waren.

Immer mehr Ärzte stellen jedoch eine grundsätzliche Frage: Was, wenn die Maschinen, die eigentlich helfen sollen, einigen Patienten sogar schaden? Das ist bislang reine Spekulation, doch es mehren sich kritische Stimmen, vor allem aus den USA – mittlerweile das Epizentrum der Corona-Pandemie.

Man wisse, dass mechanische Beatmung nicht positiv sei, sagt Dr. Eddy Fan, ein Experte für Atembehandlung am Toronto General Hospital, im Gespräch mit „Associated“ Press. „Eine der wichtigsten Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte ist, dass die medizinische Beatmung Lungenverletzungen verschlimmern kann – wir müssen also vorsichtig sein, wie wir sie einsetzen“. Man könne mögliche Schäden jedoch mildern, indem man die Druckmenge und die Größe der von der Maschine abgegebenen Atemzüge begrenzt, so Fan.

Alternativen zur künstlichen Beatmung

Einige Ärzte versuchen auch, den Einsatz der Beatmungsmaschinen herauszuzögern, sehen sie eher als letztes Mittel im Kampf gegen das Virus. Bislang wurden Covid-19-Patienten mit schwerem Verlauf in den USA standardmäßig an solche Geräte angeschlossen. Nun werden vermehrt Alternativen ausprobiert: Eine besteht darin, die Patienten in verschiedenen Positionen – auch auf dem Bauch – liegen zu lassen, um Teile der Lunge besser zu belüften. Andere versuchen, den Patienten durch Nasenschläuche oder andere Geräte mehr Sauerstoff zu geben oder durch Zugabe von Stickstoffmonoxid den Blutfluss der am wenigsten geschädigten Teile der Lunge zu verbessern.

Dadurch erhofft man sich auch, die Dauer zu reduzieren, die ein Patient an Beatmungsmaschinen angeschlossen ist. Die ist bei Covid-19-Patienten ohnehin ungewöhnlich hoch: Es sei üblich, dass Coronavirus-Patienten „sieben Tage, zehn Tage, 15 Tage an einem Beatmungsgerät waren, und sie sterben“, sagte New Yorks Gouverneur Andrew Cuomo, als er bei einer Pressekonferenz am Mittwoch zu den Todesraten von Beatmungsgeräten befragt wurde. Zum Vergleich: Patienten mit bakterieller Lungenentzündung bleiben in der Regel nicht länger als ein oder zwei Tage am Beatmungsgerät. 

„Es ist eine unterstützende Maßnahme“

„Das Beatmungsgerät ist nicht therapeutisch. Es ist eine unterstützende Maßnahme, während wir darauf warten, dass sich der Körper des Patienten erholt“, sagte Dr. Roger Alvarez, ein Lungenspezialist der University of Miami Health System in Florida. Er setzt in der Behandlung von Covid-19-Patienten ebenfalls auf die Zugabe von Stickstoffmonoxid, um Patienten so lange wie möglich vom Beatmungsgerät fernzuhalten.

Doch wie immer in der Medizin kommt es auf den Einzelfall an. Als Zachary Shemtobs Mann vergangenen Monat an ein Beatmungsgerät angeschlossen wurde, sei er „absolut verängstigt“ gewesen. „Beatmungsbedürftig zu sein, könnte bedeuten, dass er das Beatmungsgerät nie wieder verlassen kann“, sagte er.

Doch sechs Tage später konnte sein Mann wieder selbstständig atmen. Sei Mann sei der lebende Beweis, dass diese Maschinen Leben retten können.

Quelle: Associated Press, Studie aus Wuhan, Studie aus UK, law.com

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