Bei Jenny Judge begann die Krankheit im März mit Fieber, Husten, Kopfschmerzen und Atemnot. Doch nach diesen typischen Symptomen hatte die forensische Psychiaterin aus London Covid-19 noch lange nicht überstanden. Es kamen in Wellen immer neue hinzu: Herzrasen, Hautausschlag, akustische Halluzinationen und die sogenannten Covid-Zehen. „Gerade sind Verdauungsprobleme dran“, sagt die 48-Jährige – am Tag 111 ihrer Leidens-Odyssee.
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Mehr als 13 Millionen Menschen weltweit haben sich bislang mit dem Coronavirus angesteckt, die Hälfte der Erkrankten gilt als geheilt. Doch einige der Erkrankten leiden noch nach Wochen oder sogar Monaten an den Folgen der Infektion.
Längst versuchen Wissenschaftler, das Phänomen mit Studien und Daten zu untermauern. Laut einer Studie an 143 Patienten, die in Italien im Krankenhaus behandelt wurden, litten 87 Prozent von ihnen selbst 60 Tage nach Krankheitsbeginn noch an mindestens einem Symptom. Am häufigsten seien Erschöpfung (53 Prozent), Atemnot (43 Prozent), Gelenkschmerzen (27 Prozent) und Brustschmerzen (22 Prozent) genannt worden. Von zehn Patienten gab im Schnitt nur etwas mehr als eine Person an, frei von jeglichen Beschwerden zu sein. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift „Jama“ veröffentlicht.
Für eine andere Studie der US-Gesundheitsbehörde wurden 350 Menschen zwei bis drei Wochen nach dem positiven Corona-Test befragt. Dabei gaben 60 Prozent der im Krankenhaus behandelten Patienten an, noch nicht gesund zu sein. Bei den Kranken, die sich zu Hause auskurierten, fühlte sich ein Drittel noch nicht gesund.
Unverständnis vom Arbeitgeber
Viele leiden nicht nur unter den körperlichen Beschwerden, sondern auch unter dem Unverständnis, mit dem ihnen Ärzte und Arbeitgeber angesichts der anhaltenden Symptome oftmals begegnen. „Diese Menschen fühlen sich wirklich im Stich gelassen“, sagt Tim Spector, Professor für genetische Epidemiologie am King’s College in London und Initiator einer groß angelegten Studie zu den Symptomen von Covid-19.
Forschung zu Covid-19
"Möglicherweise könnte Sars-CoV-2 auch zu Schäden an anderen Organen führen"
„Viele leiden an einer lähmenden Müdigkeit“, sagt er. Spector identifizierte 19 Krankheitssymptome. Bis zu zehn Prozent der Patienten zeigten 30 Tage nach Ausbruch immer noch Krankheitszeichen. Der Mediziner hält Covid-19 für „noch merkwürdiger“ als seltene Autoimmunerkrankungen wie etwa Lupus, die sich ebenfalls auf unterschiedlichste Weise äußern.
Langzeit-Corona-Patienten haben sich in den Online-Netzwerken zu Selbsthilfegruppen zusammengeschlossen. Viele berichten von mangelndem Verständnis der Ärzte, vor allem wenn sie zu Beginn der Epidemie erkrankten und nicht getestet werden konnten. Sie können nicht belegen, dass ihre Beschwerden überhaupt etwas mit dem Coronavirus zu tun haben. Auch Jenny Judge, die selbst Medizinerin ist, stieß auf Skepsis. Ein Arzt vermutete Ängste und nicht die Corona-Infektion als Ursache ihrer Herz-Rhythmus-Störungen.
„Es war beängstigend“
Je mehr Patienten über langanhaltende Symptome berichten, desto leichter wird es für die Betroffenen, Gehör zu finden. Paul Garner, Professor für Infektionskrankheiten an der Liverpool School of Tropical Medicine schreibt in seinem Blog frustriert darüber, dass die Infektion bei ihm nach über drei Monaten immer noch nicht vorbei ist – obwohl immer von zwei Wochen Krankheitsdauer die Rede sei.
Noch ist unklar, ob das Virus selbst solche langwierigen Krankheitsverläufe verursacht oder ob es sich um eine überschießende Immunantwort des Körpers auf den Erreger handelt. Laut Spector sind bei einigen Langzeitpatienten noch immer Spuren des Virus nachweisbar. Ob sie auch noch ansteckend sind, ist aber unklar.
Garner hatte schreckliche Kopfschmerzen und Atemnot, seine Glieder kribbelten und einmal dachte er, er würde das Bewusstsein verlieren: „Ich glaubte, ich würde sterben, es war beängstigend“, schreibt er. Das Schlimmste seien die Verwirrung und die Stimmungsschwankungen gewesen, erzählt der 64-Jährige, der bisher gesund war. Nun, nach fast 100 Tagen, geht es ihm allmählich besser.
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