Corona-Impfung: Welche medizinischen Gründe sprechen wirklich dagegen?

Der Impf-Fortschritt in Deutschland erlebt eine Art Sommerloch, die Nachfrage ist stark gesunken. Seit Wochen ist in vielen Impfzentren des Landes kaum noch etwas los, auch bei den niedergelassenen Ärzten wollen sich immer weniger gegen das Coronavirus immunisieren lassen. Millionen Impfstoffdosen blieben zuletzt liegen. Dabei sind in Deutschland noch lange nicht alle geimpft. Gerade mal gut die Hälfte der Bevölkerung (54,8 Prozent) ist vollständig immunisiert, 62,4 Prozent haben mindestens eine Dosis erhalten.

Viele, die sich jetzt noch nicht um eine Impfung bemüht haben, haben das laut Umfragen auch nicht mehr vor. Die einen glauben nach wie vor nicht, dass eine Infektion ihnen etwas anhaben kann, halten die Impfung für überflüssig. Andere führen Sicherheitsbedenken an, haben kein Vertrauen in die Impfstoffe. Medizinische Gründe werden immer wieder genannt. Aber wer ist von diesen überhaupt betroffen? In einem Twitter-Thread hat sich der Dortmunder Immunologe Carsten Watzl an eine Erklärung gewagt.

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Welche medizinischen Gründe sprechen gegen Corona-Impfung?

Watzl listet zwei Personengruppen auf, bei denen es medizinische Gründe gegen eine Covid-19-Impfung gibt. Kinder, die jünger als 12 Jahre sind. Für sie ist noch kein Corona-Vakzin zugelassen. Und Menschen mit bekannten Allergien gegen einen der Inhaltsstoffe. Das war's. Aber was ist mit Schwangeren, mit Autoimmunerkrankten oder Menschen mit Gerinnungsstörungen? 

  • Schwangerschaft: In Deutschland sind die Impfstoffe für Schwangere aktuell noch nicht empfohlen. Andere Länder impfen Schwangere aber schon länger, "ohne Probleme", so Watzl. Impfen lassen können sich Schwangere laut Ständige Impfkommission (Stiko) ab dem zweiten Trimester.
    Auch der Chef des Frauenärzte-Verbands, Christian Albring, empfiehlt eine solche Impfung. "Gerade, da die inzwischen verbreitete Delta-Variante nach internationalen Berichten mit einer hohen Infektiosität und mit einer erhöhten Erkrankungsrate auch bei Schwangeren einhergeht, ist nach Ansicht der Gynäkologenverbände eine Impfung vor und in der Schwangerschaft sowie im Wochenbett und in der Stillzeit sinnvoll", sagte er dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland".
  • Kapillarlecksyndrom: Für Astrazeneca und Johnson & Johnson gebe es noch den Ausschluss von Personen mit Kapillarlecksyndrom, schreibt Watzl, "diese Personen können aber mit einem mRNA Impfstoff geimpft werden". Das Kapillarlecksyndrom, auch Clarkson-Syndrom genannt, ist eine sehr seltene, aber potenziell lebensbedrohliche Erkrankung mit einem generalisierten Ödem.
  • Myokarditis: Laut Watzl seien frühere Herzmuskelentzündungen kein Grund, sich nicht impfen zu lassen. Nur wenn nach der ersten Impfung mit einem mRNA-Vakzin eine Myokarditis aufgetreten sei, sollte keine weitere mRNA-Dosis verabreicht werden. "Man könnte hier aber auf einen anderen Impfstoff ausweichen", meint der Immunologe. Solche Fälle von Myokarditis nach der Impfung seien "sehr selten", wie das Paul-Ehrlich-Institut berichtet. Demnach wurden zum 31. Mai im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) 145 Fälle von Myokarditis bei Personen, die mit dem Biontech-Vakzin und 19 Fälle bei Personen, die mit Moderna geimpft wurden, festgestellt. Schätzungen zufolge wurden bis dahin im EWR rund 197 Millionen mRNA-Impfstoffdosen verabreicht.
  • Gerinnungsstörungen/ Faktor-V-Leiden: Menschen, die an einer Gerinnungsstörung leiden, also an einer Erkrankung, bei der das Blut nicht richtig gerinnen kann, haben laut Watzl kein erhöhtes Risiko, nach einer Impfung mit den Vakzinen von Astrazeneca oder Johnson&Johnson an einer Sinusvenenthrombose (Mehr dazu hier) zu erkranken, "da der Mechanismus ein anderer ist". Gleiches gelte für Menschen mit einem Faktor-V-Leiden. Beide Erkrankungen seien kein Grund, sich nicht mit einem der Wirkstoffe impfen zu lassen.
  • Autoimmunerkrankung: Bei jeder Infektion oder Impfung bestehe das sehr seltene Risiko, dass ein Schub ausgelöst werde. Das sei auch bei der COVID-19 Impfung nicht anders, meint Watzl.  Ein "genereller Impfausschluss" sei das aber nicht. Eine Studie am Deutschen Zentrum Immuntherapie, die im "Annals of the Rheumatic Diseases" veröffentlicht wurde, kam zu dem Schluss, dass Menschen mit Autoimmunerkrankung die Impfung gut vertragen und geringere Impfreaktionen aufwiesen als Gesunde. Jedoch entwickelte laut Studie jeder zehnte mit Biontech-Geimpfte keine Antikörper. Für solche Fälle wurden schon früh Auffrischimpfungen diskutiert, beispielsweise als Kreuzimpfung. 
  • Geschwächtes Immunsystem: Für Menschen mit einem geschwächten Immunsystem stelle die Impfung "kein höheres Risiko" dar, so Watzl. Es könne jedoch sein, dass die Impfung bei ihnen nicht so gut funktioniert, sie eventuell mehrfach geimpft werden müssten, bis ein ausreichender Schutz vorhanden ist.
  • Frühere allergische Impfreaktionen:  Auch frühere schwere oder allergische Reaktion auf eine andere Impfung seien "in den meisten Fällen" kein Ausschluss. Weitere Erläuterungen dazu finden Sie im Bulletin des PEI.

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Millionen Impfstoffe bleiben liegen

Die Cosmo-Studie befragt bereits seit März 2020 alle zwei Wochen etwa 1000 Erwachsene bis 74 Jahre. Bei der Befragung Mitte Juli gaben 10 Prozent an, sich sicher nicht impfen lassen zu wollen. In der Gruppe der ungeimpften Befragten machten sie 41 Prozent aus. "Vergleicht man die Verweigerer mit dem Rest der Ungeimpften, haben die Verweigerer eher Sicherheitsbedenken und halten die Impfung für überflüssig, da Covid-19 in ihrer Wahrnehmung keine Bedrohung darstellt", so die Studie. Mangelndes Vertrauen gaben Impfverweigerer auch als Hauptgrund einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa für die "Bild am Sonntag" an. Dort lag die Zahl derer, die sich partout nicht gegen Corona impfen lassen wollen, mit 54 Prozent sogar noch höher. 

Zwischenzeitlich wurden in Deutschland am Tag mehr als 1,35 Millionen Menschen gegen das Coronavirus geimpft, derzeit sind es noch etwa 355.600. Die Kampagne hat an Schwung eingebüßt. Die Folge: Es ist mehr Impfstoff vorhanden als aktuell nachgefragt wird. Wie die "Welt am Sonntag" berichtete, planen die Bundesländer jetzt, mindestens 2,3 Millionen liegengebliebene Dosen an das zentrale Lager des Bundes zurückzusenden. Dabei handelt es sich ausschließlich um Dosen aus Impfzentren, Ärzte dürfen Liegengebliebenes nicht zurücksenden. Der Bund will die Vakzine dann neu verteilen. Offen ist noch wohin und wie. Zugesagt hat Deutschland auch, dass mindestens 30 Millionen Impfstoffdosen an Drittstaaten verschenkt werden sollen.

Quelle:RKI , PEI (1), PEI (2), RND, Welt, Berliner Zeitung, Bild am Sonntag

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