"BHs mit Gewichten": Ein Ex-Model berichtet über den krankhaften Magerwahn in der Modewelt

Die Geschichte von Jessica Bergs liest sich zunächst wie ein wahr gewordenes modernes Märchen. Mit 17 Jahren wird die junge Frau aus der Nähe von Frankfurt am Main auf einem Weinfest entdeckt. Sie hat ein markantes Gesicht, eines mit Wiedererkennungswert. Dazu einen grazilen, schlanken Körper. Schnell wird Bergs ein gefragtes Model. Sie läuft für Top-Marken wie Dior, Calvin Klein und Valentino über den Laufsteg, modelt für den Online-Versandhändler Zalando, lebt zeitweise in Singapur und New York.

Abnehmen trotz Untergewicht

Die Kehrseite: Jessica Bergs steht ständig unter Druck. Um als Topmodel arbeiten zu können, braucht sie ein Hüftmaß von 87 Zentimetern. Das entspricht einer Kleidergröße 32 oder 34, was deutlich unter dem Durchschnitt gleichaltriger Frauen liegt (36/38). Bergs kann das vorgegebene Maß nicht halten. „Ich hatte dann so um die 90 um die Hüfte herum, manchmal 91, und vielleicht 53, 54 Kilo, was bei meiner Größe ja trotzdem immer noch Untergewicht ist“, verrät Bergs im Gespräch mit „Frontal 21“. Der jungen Frau wird dennoch geraten, abzunehmen. Sie soll den Umfang ihrer Oberschenkel reduzieren.

In dem ZDF-Beitrag wird auch ein anderes Model zitiert. Sie berichtet, sie sei in einer New Yorker Agentur mit den Worten „Hi Fatty“, begrüßt worden. „Alle lachten. Dann wurde ich gemessen. 93. Immer noch zu viel. Mir wurde empfohlen, nach Brasilien zu fliegen, um meinen „Hüftspeck“ abzusaugen…“ (Quelle: FAZ)

Was entgegnen Modelagenturen auf solche Aussagen? Die ZDF-Reporter haken bei einer Hamburger Agentur nach. Chanel und Co. seien „Leistungssport“ lautet die Antwort. Man müsse bereit sein, bestimmte Dinge zu leisten.

Die Designerin Jette Joop berichtet gegenüber den Reportern von ähnlichen Szenen, die sie aus ihrer Jugendzeit an der Seite ihres berühmten Vaters Wolfgang Joop kennt: „Bei Fotoshootings wurde da oft gesagt: ‚Die ist viel zu fett, die hat zu kurze Beine, die hat einen Pickel. Das geht gar nicht.‘ Ich dachte immer: Die sind alle so schön. Was geht denn an der nicht?“

Jette Joop sieht auch die Designer in der Pflicht

Joop sieht es kritisch, dass Designer zu dünne Models als Kunst verklären: „Wenn ich ein schlechter Designer bin und einfach ein ganz langweiliges Kleid gemacht habe in Grau und mir nicht viel eingefallen ist, dann nehme ich einfach ein total großes dünnes Mädchen was überhaupt keine Kurven hat“, sagt Joop im Interview. Das sehe dann plötzlich „cool“ aus. „Packe ich jetzt jemanden rein, der 40 hat, ist das Statement irgendwie ganz schnell vorbei.“ Leider sei es auch so, dass sich „der Endkonsument und auch gerade die jungen Leute an diese Bilder gewöhnt“ hätten. Ihrer Meinung nach müsse es einen langsamen Entzug geben – „zurück zur Normalität“. 

Neues Gesetz

Mager-Models dürfen in Frankreich nicht mehr auf den Laufsteg

Das Mager-Problem zeigt sich nicht nur auf den Laufstegen. Fotos für Werbeanzeigen oder Magazine werden oft am PC bearbeitet, um die Models besonders schlank wirken zu lassen. „Nicht jeder, der solche Bilder anschaut, entwickelt ein Störungsbild, was das Ausmaß einer Anorexie hat“, sagt Wally Wünsch-Leiteritz, Ärztin in einem Kompetenzzentrum für Essstörungen. Die Ärztin gibt aber zu bedenken: „Diese Bilder können etwas auslösen, was in den falschen Händen zur falschen Zeit gefährlich sein kann.“

Studien zeigen, dass viele Frauen mit ihrem Körper unzufrieden sind. Mindestens jede zweite Frau gibt an, sich schon einmal zu dick gefühlt zu haben. Nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) gelten mehr als 20 von 100 Kindern und Jugendlichen als auffällig bezüglich ihres Essverhaltens. Sie zeigen also Symptome einer Essstörung, sind unzufrieden mit ihrer Figur oder leiden unter Heißhungerattacken. Mädchen sind fast doppelt so oft betroffen wie Jungen. Als einer der Gründe gilt das unrealistische Körperbild, das jungen Menschen auf Instagram und in der Werbung vermittelt wird.

Models tragen BHs mit Gewichten

Zwar existieren Schutzmaßnahmen, um zu verhindern, dass Designer viel zu dünne Models auf den Laufsteg schicken. In Spanien müssen Mannequins vor jeder Modenschau gewogen werden, um das Mindestgewicht zu überprüfen. Doch in der Realität lassen sich diese Vorgaben leicht umgehen. In anderen Ländern, darunter auch Deutschland,existieren entsprechende Kontrollen erst gar nicht. Von einer spanischen Agentur sei ihr geraten worden, vor dem Wiegen viel Wasser zu trinken und ausgiebig zu frühstücken, so Jessica Bergs. Reichte das nicht, gab es einen weiteren Trick: Büstenhalter, die mit Gewichten präpariert waren. „Dann wurde eben geschummelt.“

„Das sind Kindergrößen, die da geschneidert werden“

„Verarscht“ habe sie sich in solchen Situationen gefühlt, so Bergs. „Am nächsten Morgen sitzt dann einer von der Agentur neben dir und dann ist es eben nicht mehr so dass wir das üppige Frühstück haben dürfen. Sondern dann wird wieder geguckt: ‚Oh was isst du denn?'“

Vor zwei Jahren beendete Jessica Bergs ihre Karriere. Doch der Druck hat Spuren hinterlassen, mit denen sie bis heute zu kämpfen hat. Wenn sie etwas isst, erwischt sie sich manchmal dabei, dass sie ein schlechtes Gewissen bekommt. „Was ja völliger Wahnsinn ist, weil das sind Kindergrößen, die da geschneidert werden.“

Mehr zum Thema sehen Sie heute Abend um 21 Uhr im ZDF bei „Frontal 21“. 

Quelle: Den ganzen Artikel lesen