Cristiano Ronaldo soll eine spezielle Schlafmethode anwenden und fünf Mal am Tag für 90 Minuten vor sich hindösen. Das kann allerdings nicht gesund sein, erklärt Schlafprofi Hans-Günter Weeß im Gespräch. Außerdem gibt er Tipps, wie wir schneller in den Schlaf finden und erholter aufwachen.
FOCUS Online: Herr Weeß, wie haben Sie gestern Nacht geschlafen?
Hans-Günter Weeß: Ich schlafe in der Regel gut und so war es auch in der letzten Nacht. Ich weiß ja, wie es geht. Aber in Lebenskrisen oder bei besonderen Belastungen schlafe auch ich einmal schlecht. Das beunruhigt mich aber nicht, da ich weiß, dass sich nach der Belastung der normale Schlaf wieder einstellen wird. Das Buch „Schlaf wirkt Wunder: Alles über das wichtigste Drittel unseres Lebens“ von Hans Günter Weeß auf Amazon bestellen
Cristiano Ronaldo soll auch ein spezielles Schlafmodell praktizieren.
Weeß: Genau. Es gibt diese Empfehlung von Nick Littlehales. Bei dem Modell schläft man fünf mal am Tag 90 Minuten lang, möglichst immer in einem frisch bezogenen Bett. Ich bin fest davon überzeugt, dass sich Ronaldo nicht daran hält. Würde er das tatsächlich durchziehen, wäre er sportlich nicht mehr so erfolgreich, wie er es jetzt ist.
Wieso das?
Weeß: Das liegt auch daran, dass Schlafen und Wach-Sein an den Hell-Dunkel-Rhythmus gekoppelt sind, mit all unseren anderen Körperfunktionen. Zum Beispiel werden Wachstumshormone im ersten Drittel des Schlafes während des Tiefschlafs ausgeschüttet. Auch Kortison oder Testosteron sind beispielsweise an den Hell-Dunkel bzw. Schlaf-Wach-Rhythmus gekoppelt und üben wichtige Funktionen für die Fortpflanzungsfähigkeit, den Muskelaufbau beim Mann und das Leistungsniveau aus.
Dazu kommt, dass dieser propagierte 90-minütige Zyklus ein statistischer Durchschnittswert für einen Schlafzyklus über alle Menschen dargestellt ist. Allein bei zwei Dritteln davon liegt der Zyklus statistisch gesehen tatsächlich zwischen 70 und 110 Minuten. Man kann sich also nicht starr an diese 90 Minuten halten. Ronaldos Schlafzyklus könnte ebenso auch 70 Minuten dauern, oder 110. Die Länge eines individuellen Schlafzyklus lässt sich eigentlich nur im Schlaflabor bestimmen. Diese starre Empfehlung ist in den meisten Fällen also unpassend, ungesund und führt an der Realität des Einzelnen – und höchstwahrscheinlich auch der von Ronaldo – vorbei.
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Es gibt für Smartphones verschiedene Apps, die mit Hilfe von Fitnesstrackern oder ähnlichem den Schlaf analysieren und schließlich automatisch Wecker danach stellen, wie der Schlafzyklus gerade verläuft. Was halten sie davon?
Weeß: Mit diesen Apps können Sie die Schlafqualität und den Schlaf nicht valide messen. Man kann einigermaßen den Einschlaf- und Aufwachzeitpunkt bestimmen. Wenn es um die Qualität geht, sind solche Systeme aber unbrauchbar, da die Messung in der Regel nur auf der Bewegungshäufigkeit und dem Puls beruht. Im Labor messen wir die elektrische Aktivität des Gehirns, Augenbewegungen, Muskelentspannung, Atemparameter, Herztätigkeit, Sauerstoffsättigung im Blut und vieles mehr, um die Schlafstadien bestimmen zu können. Würde das so einfach per App gehen, würden wir unser ganzes Equipment rausschmeißen.
Dann hat der Wecker als solcher aber auch eher negative Folgen für unsere Schlafqualität, oder?
Weeß: Bei 80 Prozent der Deutschen beendet der Wecker am Morgen vorzeitig das wichtigste Regenerations- und Reparaturprogramm, welches der Mensch überhaupt hat, bevor dieses alle seine Aufgaben erfüllt hat. Ganz nach dem Motto „Morgenstund hat Gold im Mund“. Das ist aber eine falsche Haltung und Schlafkultur. 55 Prozent der Bevölkerung leiden jede Nacht an einem Schlafdefizit. Dies führt zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Schläfrigkeit am Tag. Das Leistungsvermögen ist eingeschränkt und wir machen mehr Fehler und verursachen mehr Unfälle.
Weiterhin versuchen viele Menschen mit Hilfsmitteln den optimalen Aufwachzeitpunkt zu finden, um rasch fit und munter zu sein und den morgendlichen Hangover, das große Gähnen, zu vermeiden. Dieser optimale Zeitpunkt zum Aufwachen ist Ende einer REM-Phase, in der unser Gehirn sowieso schon hochaktiv ist. In dieser REM-Phase ist es ähnlich aktiv wie im Wachzustand. Das bedeutet, wir sind beim Aufwachen aus diesem Schlafstadium tendenziell weniger schlaftrunken und schneller fit und munter.
Was raten sie Menschen, denen es schwerfällt, einzuschlafen oder die generell an schlechtem Schlaf leiden?
Weeß: Hätte ich diesen einen Tipp, der allen hilft, gäbe es nicht diese sechs Prozent in unserer Bevölkerung, die an einer behandlungsbedürftigen Ein- und Durchschlafstörung leiden. Es gibt keinen universellen Tipp. Schlafen zu lernen ist häufig ein therapeutischer Prozess. Wir empfehlen kognitiv-verhaltenstherapeutische Techniken, um die schlafförderliche Entspannung herzustellen und um wieder zu einem tiefen und festen Schlaf zurückzufinden. Es geht darum, abzuschalten, loszulassen und sich schöne Gedanken zu machen, die in uns Gefühle von Sicherheit und Geborgenheit hervorrufen. Denken Sie auch niemals an den Schlaf selber und nehmen Sie sich den Druck schlafen zu müssen. Schlaftabletten sind nur für eine kurzzeitige Anwendung geeignet, da Sie zu Gewöhnung und Abhängigkeit führen können. Sie stellen keine kausale Therapie dar, da sie keine heilende Wirkung haben.
Von Vorteil ist es, wenn man eine oder eine halbe Stunde, bevor man ins Bett geht, ein Schlafritual durchführt. Der erste Teil des Rituals dient der Distanzierung vom Alltag. Hier darf man nochmals richtig über die Dinge nachgrübeln, welche als belastend erlebt werden. Man kann sich die Dinge von der Seele schreiben oder mit dem Partner von der Seele reden oder auch eine To-Do-Liste erstellen.
Ziel ist es, bis zum Klingeln des Weckers am nächsten Morgen den Tag abzuschließen. Im zweiten Teil des Zubettgeh-Rituals wendet man sich den schönen und entspannenden Dingen des Lebens zu. Ein gutes Buch, ein entspannendes Hobby oder Musik können helfen, die schlafförderliche Entspannung zu finden. Dies sind alles Methoden, welche unseren Körper, unser Gehirn und die Psyche zur Ruhe bringen. Sobald dies passiert und wir entspannt sind, kommt der Schlaf von ganz allein.
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