Das Infektionsgeschehen in Deutschland ebbt ab, der Impfprozess schreitet voran. Sollten wir deshalb nicht endlich die Maskenpflicht abschaffen? Manche Experten befürworten Lockerungen in diesem Bereich. Doch vor allem in Innenräumen halten viele eine frühzeitige Aufhebung für brandgefährlich.
Die Inzidenzen in Deutschland sinken kontinuierlich, die bundesweite 7-Tage-Inzidenz liegt mittlerweile unter 20 Fällen pro 100.000 Einwohner. Also Grund zur Freude und auch Grund, immer mehr Corona-Beschränkungen aufzuheben und endlich wieder zu einem einigermaßen normalen Leben zurückzukehren.
Auch das Rufen nach einem Ende der Maskenpflicht im öffentlichen Raum wird von vielen Seiten immer lauter. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) forderte bereits die Länder auf, die Maskenpflicht zu überprüfen. Sie müssten klären, ob und wo sie noch verhältnismäßig sei, wenn die Inzidenzzahlen niedrig sind und weiter sinken, sagte sie der "Bild am Sonntag".
Einige Bundesländer haben diesbezüglich schon Lockerungen eingeführt: In der Münchner Innenstadt sowie in Bremen ist die Maskenpflicht im Freien gefallen. In Sachsen dürfen Schüler seit dieser Woche auch ohne Maske ins Schulgebäude und am Unterricht teilnehmen – wenn die Inzidenz stabil unter 35 im Landkreis ist und die Schulen es erlauben. Sogar Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) befürwortet ein Ende der Maskenpflicht im Freien als ersten Schritt – allerdings nur wenn das Infektionsgeschehen weiter rückläufig bleibt.
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Divi-Präsident hält Lockerungen draußen für möglich, in Innenräumen dagegen nicht
Dennoch halten viele Experten und auch Politiker noch weitgehend an der Maskenpflicht als Schutzmaßnahme gegen eine Ausbreitung des Virus fest – vor allem in Innenräumen. So mahnte auch die Bundesregierung angesichts neuer Virusvarianten, die uns rasch eine vierte Welle bescheren könnten, zur Vorsicht. Auch von Ländern und Kommunen kamen Warnungen vor zu raschen Lockerungen.
Viele Mediziner sehen eine Lockerung diesbezüglich ebenfalls eher kritisch. So spricht laut Gernot Marx, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), zwar momentan nichts dagegen im Freien zu lockern, aber das gelte nicht für Innenräume. „Draußen, wo auf großer Fläche viel Abstand zwischen viele Menschen kommen kann und die Aerosole sich nicht in einem Raum sammeln, kann man durchaus die Maske einmal ablegen und ein bisschen frühere Normalität zurückgewinnen“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Bezüglich der Innenräume rät er aber weiter wegen des erhöhten Infektionsrisikos zum Tragen einer Maske. „Es gilt wachsam zu bleiben und das Erreichte nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen“, sagte er dem RND weiter.
Mutationen könnten sich sehr schnell wieder ausbreiten
Auch andere Experten halten die Maskenpflicht in Innenräumen weiter für sinnvoll und notwendig. Der Virologe Martin Stürmer etwa äußert sich zuletzt kritisch bezüglich einer generellen Abschaffung der Maskenpflicht. „Gerade die Masken tragen erheblich dazu bei, das Übertragungsrisiko zu reduzieren“, erklärt er gegenüber FOCUS Online und plädiert für eine Aufrechterhaltung der Maskenpflicht in Innenräumen. Im Freien könne man sich zwar mehr Freiheiten diesbezüglich erlauben, aber auch da befürwortet der Virologe das Tragen einer Maske, beispielsweise in Warteschlangen.
Auch der Berliner Epidemiologe Timo Ulrichs spricht sich auf Nachfrage von FOCUS Online gegen eine komplette Abschaffung der Maskenpflicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt aus. „Das wäre verfrüht. Wir haben zwar sinkende Neuinfiziertenzahlen, und auch die äußeren Bedingungen sind günstig. Aber die fittere britische Virusvariante könnte sehr schnell Gelegenheiten einer Übertragung ausnutzen, wenn wir sie ihr bieten.“
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Maskenpflicht schützt Träger und Mitmenschen
Deshalb glaubt Ulrichs auch, dass uns die Maskenpflicht noch in den Herbst hinein begleiten wird. „Wir erwarten etwa ab September noch eine vierte, aber wesentlich kleiner ausfallende Welle. Und wir müssen klären, ob sie nicht auch epidemiologisch noch bedeutsam wird – möglicherweise in Verbindung mit sich in Deutschland ausbreitenden neuen Virusvarianten“, erklärt der Mediziner. Nur wenn dieser Fall nicht eintritt, also bei einer entspannten epidemiologischen Lage im Herbst und Winter, könne dann auch das Abstandhalten und Tragen der Maske aufgehoben werden.
Ähnlich sieht es der Gießener Virologe Friedeman Weber: „Die Maskenpflicht ist eine einfache und vergleichsweise günstige Intervention. Sie schützt den Träger und die Mitmenschen. Nicht perfekt, aber ausreichend effektiv“, erläutert er seinen Standpunkt gegenüber FOCUS Online. Die Maskenpflicht sollte daher zu den Maßnahmen gehören, die als Letztes aufgehoben werden, so der Professor für Virologie.
Aufhebung der Maskenpflicht an Schulen umstritten
Auch was die Aufhebung der Maskenpflicht an Schulen anbelangt, gibt es unterschiedliche Meinungen. So warnt der Vorsitzende des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, vor einer vorschnellen Abschaffung der Maskenpflicht an Schulen: „Es ist zwar richtig, dass Masken eine Belastung für die Betroffenen sind, sowohl für Lehrkräfte als auch für Schüler. Aber in der Gesamtabwägung warnen wir vor einer vorschnellen Abschaffung.“ Es gebe erhöhte Infektionszahlen bei Kindern und Jugendlichen, die bisher kaum geimpft seien. Auch rund 50 Prozent aller Lehrkräfte hätten noch keinen vollen Impfschutz, gibt der Lehrer-Präsident zu Bedenken.
Infektiologe hält Aufhebung für Maskenpflicht für Kinder unter zehn Jahren für machbar
Nicht ganz so viele Bedenken äußert dagegen der Infektiologe Peter Walger von der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene. Er hält eine sofortige Beendigung der Maskenpflicht für Kinder unter zehn Jahren für machbar – bei älteren Kindern dagegen sei eine differenziertere Betrachtung notwendig. Daten belegten, dass die Dominanz der Übertragung des Coronavirus auf Kinder eindeutig von Erwachsenen ausgehe. "Die Schule ist insgesamt ein relativ sicherer Ort für Kinder, sicherer als das private Milieu. Und dem sollten wir endlich Rechnung tragen", sagte er im Morgenmagazin von ARD und ZDF.
Baden-Württemberg will Maskenpflicht für Schulen komplett aufheben
So will Baden-Württemberg beispielsweise die Maskenpflicht an Schulen komplett aufheben. Wie der Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) ankündigte, solle sie im Unterricht in allen Schulformen wegfallen, sofern die Inzidenz stabil unter 35 bleibt und Schulen zwei Wochen ohne Ausbruch blieben, kündigte er am Dienstag an. Bereits bei einer Inzidenz von unter 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern und Woche soll die Maskenpflicht auf den Pausenhöfen wegfallen.
Parteikollege und Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) warnte dagegen vor zu schnellen Öffnungsschritten. Man dürfe nicht vergessen, dass die Inzidenz noch 20 Mal höher sei als vor einem Jahr. „Leute, seid nicht übermütig, das bezahlen wir sonst bitter“, sagte er. Man könne nicht das Risiko einer vierten Welle eingehen.
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