Warum genau wurden die Impfungen mit Astrazeneca denn nun gestoppt? Und heißt das jetzt, dass hierzulande niemand mehr damit geimpft wird? FOCUS Online klärt die wichtigsten Fragen zum Impfstoff-Chaos um das britische Vektor-Vakzin und sagt, was Geimpfte jetzt wissen müssen.
Sieben Fälle einer seltenen Erkrankung, drei Tote – alle davor mit Astrazeneca geimpft. Der mögliche Zusammenhang zwischen den Vorfällen und dem britisch-schwedischen Vakzin veranlasste das Bundesgesundheitsministerium zu einem Stopp der Impfungen in Deutschland. Ob das Aussetzen angesichts der ohnehin stockenden Impfkampagne angebracht ist, lässt sich im Augenblick noch kaum beurteilen. FOCUS Online zeigt die Hintergründe auf und erklärt, was jetzt für bereits Geimpfte wichtig ist.
Warum wurde die Impfung gestoppt?
Mehrere Fälle einer speziellen Form von Thrombose in zeitlichem Zusammenhang mit einer Astrazeneca-Impfung waren der Anlass für das zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI), das Aussetzen der Impfungen zu empfehlen. Daraufhin erklärte das Bundesgesundheitsministerium am Montag, sämtliche Erst- und Zweit-Impfungen auszusetzen.
Wie viele Menschen sind nach der Impfung erkrankt oder gestorben?
In Deutschland sind bislang sieben solcher Fälle bekannt. Drei dieser Fälle verliefen tödlich, wie Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts am Montag in den ARD-„Tagesthemen“ sagte.
Bei 1,6 Millionen Astrazeneca-Geimpften in Deutschland entsprächen sieben Fälle etwa vier Fällen pro einer Million Geimpfter seit Start der Impfungen Anfang Februar. In welchem Ausmaß es speziell solche Fälle auch in anderen Ländern gab, ist bisher unklar. Die Daten werden nun von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) analysiert und bewertet.
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Um welche Erkrankungen geht es genau?
Nach PEI-Angaben geht es um eine auffällige Häufung sogenannter Sinusvenenthrombosen in Verbindung mit einem Mangel an Blutplättchen (Thrombozytopenie) und Blutungen in zeitlicher Nähe zu Impfungen mit dem Astrazeneca-Präparat.
Dabei kommt es zu einem Verschluss bestimmter Venen im Gehirn durch Blutgerinnsel. Zentrales Symptom sind Kopfschmerzen. Daneben können Erkrankte etwa epileptische Anfälle, Lähmungen oder Sprachstörungen bekommen. Ein Mangel an Blutplättchen wiederum führt zu einer erhöhten Blutungsneigung. Als Symptome treten punktförmige Einblutungen in die Haut oder Schleimhäute auf, gelegentlich auch starkes Nasenbluten.
Dabei gilt es allerdings zu bedenken, dass diese Form der Thrombose in der Bevölkerung zwar selten, aber regelmäßig diagnostiziert wird. „Sinusvenenthrombosen treten etwa einmal pro 100.000 Einwohner und Jahr auf, das heißt die jährliche Inzidenz liegt bei rund 1 auf 100.000“, erklärte Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie.
Neben wohl vor allem hormonell bedingten Fällen – etwa bei Einnahme der Antibabypille – gebe es auch septische Sinusvenenthrombosen im Zusammenhang mit bakteriellen oder viralen Infektionen.
Wer ist von diesen möglichen schweren Nebenwirkungen betroffen?
Wer von den Thrombosen womöglich betroffen ist, ist noch Gegenstand der gegenwärtigen Untersuchungen. Auffällig ist laut Bundesgesundheitsministerium (BMG) aber, dass auch jüngere Menschen betroffen sind – besonders Frauen.
Hängen die Erkrankungen und Todesfälle sicher mit der Impfung zusammen?
Inwiefern die Probleme tatsächlich auf die Impfung zurückgehen könnten und warum sie nur das Astrazeneca-Präparat und nicht die anderen Impfstoffe betreffen sollten, ist bisher unklar. „Nebenwirkungen von Impfungen können dadurch auftreten, dass das Immunsystem zu viel oder an nicht gewünschter Stelle reagiert“, erklärte Neurologe Berlit weiter. „Einen ursächlichen Zusammenhang zwischen einem Symptom und einer Impfung herzustellen oder zu belegen, ist immer ganz, ganz schwierig.“
Festgestellt wurde ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Impfung und Thrombose bisher in keinem Fall. „Die kausale Verknüpfung ist hier völlig offen“, so der Neurologe. „Deswegen wird ja in England und Kanada auch weiterhin geimpft.“
SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach vertritt unterdessen bereits jetzt eine klare Meinung. Ihm zufolge lassen sich die nach Corona-Impfungen gemeldeten Thrombosen der Hirnvenen „mit großer Wahrscheinlichkeit“ auf das Präparat von Astrazeneca zurückführen. „Das sieht man sonst in der Bevölkerung 50 mal im ganzen Jahr in Deutschland“, sagte Lauterbach am Montagmorgen im ARD-„Morgenmagazin“. Der Zusammenhang mache seiner Ansicht nach auch physiologisch Sinn.
Weitere Experten sehen diese Aussage hingegen kritisch, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt übereilt. „Das Arzneimittel ist nach allem, was wir heute wissen, sicher“, erklärt etwa der Münchner Infektiologe Christoph Spinner. Für einen konkreten Mechanismus, der zu den Hirnvenen-Thrombosen führen solle, gebe es derzeit keine Annahme.
„Wichtig: die bisherigen klinischen Studien mit den Impfstoffen ergeben kein erhöhtes Thromboserisiko“, twittert auch die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek am Samstag.
Wie bekomme ich meine zweite Dosis, wenn die Impfungen gestoppt sind?
Bis zum Entscheid der Europäischen Arzneimittelagentur ist der Impfstoff in Deutschland weiterhin zugelassen. Demnach ist es im Augenblick noch nicht sicher, ob die Impfungen mit Astrazeneca nicht künftig einfach weiterlaufen. Termine für eine Zweitimpfung könnten dann eingehalten oder nur um ein paar Tage verschoben werden. Laut BMG sollte man die zweite Impfung in diesem Fall „auf jeden Fall machen“. Sie verstärke den Schutz um ein Vielfaches.
Der vorläufige Stopp dürfte aber zunächst kaum für Probleme bei der zweiten Dosis sorgen, so er nicht länger dauert: Zwischen Erst- und Zweitimpfung sollen bei Astrazeneca möglichst zwölf Wochen liegen, empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko).
Nach Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) von Montag haben bisher gut 1,6 Millionen Menschen in Deutschland eine Erstimpfung erhalten – bei vielen ist noch Zeit, bis die zweite Dosis ansteht. Eine Zweitimpfung mit Astrazeneca erhielten bisher erst 217 Menschen.
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Kann ich auch mit einem anderen Präparat zweitgeimpft werden?
Das ist laut Bundesgesundheitsministerium im Augenblick noch nicht klar. Allerdings ist man demnach bereits mit einer Erstimpfung gut geschützt gegen einen schweren Verlauf einer Infektion. „Eine Gefahr geht nicht davon aus, wenn man die zweite Impfung auslässt“, so das Ministerium.
Theoretisch wäre es auch möglich, bei der Zweitimpfung einen anderen Impfstoff zu spritzen. Allerdings liegen zu einer solchen Mischung keine Studiendaten vor, das müsste zunächst weiter untersucht werden.
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