Kommt auf jeden Einwohner eine Ratte?


Spielgeräte voller Rattenkot, verdächtige Löcher in Sandkästen, geschlossene Kitas und Schulen: In diesem Jahr scheinen sich auffällig viele Ratten in Deutschland zu tummeln.

Als sich die Nager Mitte Juli in einer Ludwigsburger Kita breitmachten, mussten die Kinder und Erzieherinnen vorübergehend ausziehen. Auch zwei Kölner Grundschulen wurden wegen Rattenbefalls geschlossen. Im nordrhein-westfälischen Dinslaken haben die Ratten in einer Kita sogar einen lokalen Skandal ausgelöst, weil die Stadt den Befall zunächst geheim hielt, um die „Eltern nicht unnötig zu verunsichern“, wie ein Sprecher der Stadt mitteilte.

Hat Deutschland ein Rattenproblem?

Wie viele Ratten hierzulande leben, weiß niemand. Verlässliche, bundesweite Statistiken gibt es nicht. Allerdings häufen sich in einigen Städten in diesem Jahr die Rattenmeldungen. Allein in Hamburg waren es bis Ende Juli 1050, teilte das Institut für Hygiene und Gesundheit auf Anfrage mit.

In Berlin scheint die Situation um einiges dramatischer: In der Hauptstadt sind allein im Bezirk Marzahn-Hellersdorf 1027 Rattenmeldungen eingegangen. Laut dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) haben sich die dokumentierten Einsätze zwischen 2013 und 2018 fast verdoppelt.

Von einer Plage könne trotzdem nicht die Rede sein. „Die Zahl der gemeldeten Rattensichtungen ist kein Hinweis auf die Gesamtzahl der Ratten“, sagte Dennis Krämer vom Bundesamt für Gesundheit und Verbraucherschutz in Hamburg dem SPIEGEL. Der Grund: Nicht die Anzahl der Ratten ist vielerorts gestiegen, es gibt einfach mehr Menschen, die die Tiere bei den Behörden melden.

Eine Ratte pro Einwohner?

Hartnäckig hält sich zudem das Gerücht, dass pro Einwohner eine Ratte in einer Stadt lebt. Für Berlin würde das mehr als 3,7 Millionen Ratten bedeuten, für Hamburg immerhin gut 1,8 Millionen.

Allerdings basiert diese Theorie auf einer mehr als hundert Jahre alten Untersuchung. Der britische Forscher William Richard Boelter ging im Jahr 1909 davon aus, dass pro Acre (umgerechnet 4047 Quadratmeter) eine Ratte lebt. Großbritannien war zu der Zeit 40 Millionen Acres groß und hatte zufällig 40 Millionen Einwohner. Daher stammt die These eine Ratte pro Einwohner.

Überträger von Krankheiten

Letztlich sei die genaue Anzahl der Ratten ohnehin irrelevant, sagt Erik Schmolz vom Umweltbundesamt. „Es geht darum, die Tiere loszuwerden.“ Schon wenige Exemplare können zum Problem werden, weil sie Krankheitserreger wie Viren, Pilze, Bakterien und Parasiten übertragen können.

Am bekanntesten ist das Pest-Bakterium, das in Europa allerdings kaum noch eine Rolle spielt. Weitaus häufiger sind heute Leptospiren und Seoul-Hantaviren, die ebenfalls von Ratten übertragen werden. Betroffene leiden unter grippeähnlichen Symptomen und Schmerzen in Kopf, Nacken und Rücken. In sehr seltenen Fällen kann sich durch die Infektion eine lebensgefährliche Sepsis entwickeln, auch bekannt als Blutvergiftung.

In diesem Jahren sind mindestens 46 Menschen in Deutschland an Leptospirose erkrankt, zeigen Statistiken des Robert Koch-Instituts. Mindestens 834 weitere haben sich mit dem Hanta-Virus infiziert. Allerdings ist nicht klar, ob die Erkrankungen allein auf Ratten zurückzuführen sind, außer ihnen gelten auch Mäuse als Überträger.

Die Nagetiere scheiden die Viren über den Speichel, Urin oder Kot aus. Menschen können sich beispielsweise anstecken, wenn sie gebissen werden oder Staub einatmen, der mit Ausscheidungen der Tiere kontaminiert ist. Allein wegen der Gesundheitsgefahr sollten Ratten den zuständigen Behörden gemeldet werden.

Das hilft gegen die unliebsamen Mitbewohner

Damit sich die Ratten nicht weiter ausbreiten, sollten Bürger auf ihre Müllentsorgung achten. „Nicht ordnungsgemäß entsorgte Lebensmittel sind das größte Problem“, betont Krämer. Behörden in ganz Deutschland raten deshalb davon ab, Lebensmittel an öffentlichen Plätzen liegenzulassen oder in bereits überquellende Mülleimer zu werfen. Zudem sollte niemand Lebensmittel die Toilette hinunterspülen.

Tummeln sich die Ratten auf Privatgrundstücken, ist der Eigentümer für die Schädlingsbekämpfung verantwortlich. Experten raten allerdings dazu, Kammerjäger zu beauftragen. Für öffentliche Plätze ist die Stadt zuständig.

Zur Bekämpfung setzen Kammerjäger Rattengift ein. Die in den Giftködern enthaltenen Stoffe hemmen die Blutgerinnung. Nach ein paar Tagen verbluten die Tiere innerlich. Um Haustiere und Kinder zu schützen, empfehlen Experten, die Giftfallen in speziellen Boxen auszulegen und zusätzlich zu befestigen. Außerdem muss das Gebiet, in dem Ratten bekämpft werden, mit Schildern gekennzeichnet werden.

Wichtig ist, die toten Ratten und Giftköder ordnungsgemäß zu entsorgen. Die Richtlinien der Hamburger Rattenverordnung empfehlen, diese zu verbrennen. Andernfalls schädigen die Chemikalien die Umwelt. Forscher haben Restbestände des Rattengifts unter anderem in Füchsen, Vögeln und sogar Fischen gefunden – von wo aus sie über die Nahrungskette wieder auf dem Teller landen können.

Zusammengefasst: Die Zahl der Rattenmeldungen nimmt vielerorts zu. Eine Rattenplage gibt es in Deutschland laut Experten aber nicht. Trotzdem sind Bürger dazu aufgerufen, ihren Müll sorgfältiger zu entsorgen. Für eine Schädlingsbekämpfung mit Rattengift sind Kammerjäger zuständig.

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