Tausende Paare in Deutschland haben Schwierigkeiten, auf natürlichem Weg Kinder zu zeugen. Ein Teil löst das Problem schon heute im Kinderwunschzentrum.
Etwa drei Prozent der in Deutschland geborenen Kinder kommen jährlich nach künstlicher Befruchtung zur Welt. Bei einem Teil der Paare, die gern ein Baby hätten, sind jedoch auch diese Versuche vergeblich – dann bleibt noch ein letzter Schritt.
Nach Schätzungen von Experten besuchen mehrere Tausend deutsche Paare mit Kinderwunsch jedes Jahr Kliniken im Ausland. Dort sind Methoden möglich, die das Embryonenschutzgesetz in Deutschland seit 1990 verbietet: Paare können etwa auf gespendete Eizellen zurückgreifen oder eine Leihmutter engagieren. Auch für homosexuelle Paare eröffnen sich im Ausland Optionen, Kinder zu bekommen.
Im Vergleich zu anderen Ländern sei die Situation in Deutschland besonders repressiv, sagt Ulrich Hilland, Vorstand des Bundesverbands Reproduktionsmedizinischer Zentren. Auch Claudia Wiesemann, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, hält die aktuelle rechtliche Regelung für unzureichend und zu restriktiv ausgerichtet auf den Schutz befruchteter Eizellen außerhalb des Körpers der Frau.
Vor diesem Hintergrund hat eine Arbeitsgruppe der Nationalen Akademie der Wissenschaften (Leopoldina) und der Akademieunion Empfehlungen für eine neue Regulierung vorgestellt. Dabei stützen sich die Wissenschaftler auf die Weiterentwicklung der diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen seit der Einführung des Embryonenschutzgesetzes vor mehr als 25 Jahren.
Eine Auswahl der Empfehlungen:
Kostenübernahme: Geht es nach den Experten, sollten Krankenkassen die Kosten von Kinderwunschbehandlungen in Zukunft komplett tragen, wenn diese medizinisch notwendig sind und es Erfolgsaussichten gibt. So ließe sich einer bestehenden sozialen Ungleichheit beim Zugang entgegenwirken, heißt es in der Stellungnahme.
Bislang übernehmen Krankenkassen die Kosten nur unter bestimmten Umständen, etwa wenn das Paar verheiratet ist, und dann auch nur anteilig. Der unerfüllte Kinderwunsch werde bei der Frage der Kostenerstattung wie eine private Lifestyleangelegenheit angesehen – und nicht „als Ausdruck von Krankheit oder vielleicht sogar von körperlicher Behinderung“, kritisiert Wiesemann von der Unimedizin Göttingen, die an den Empfehlungen mitgearbeitet hat.
Zahl der Zwillinge senken: Bisher werden Frauen in Deutschland häufig zwei oder drei Embryonen in die Gebärmutter eingesetzt, damit werden Mehrlingsgeburten wahrscheinlicher. „Wir haben derzeit ungefähr 20 Prozent Zwillinge bei künstlicher Befruchtung“, sagte Hilland, der nicht an den Empfehlungen beteiligt war. Dies gehe mit Gesundheitsrisiken für Mutter und Kind einher.
In anderen Ländern wählen Ärzte aus mehreren Embryonen nur denjenigen mit den größten Entwicklungschancen aus und transferieren dafür auch nur einen Embryo. Die Autoren plädieren dafür, dieses Verfahren – elective Single-Embryo-Transfer genannt – auch in Deutschland zu erlauben.
Eizellspenden ermöglichen: „Es ist ein drängendes Problem, dass die Samenspende in Deutschland erlaubt ist, die Eizellspende aber nicht. Das erzeugt Ungerechtigkeiten bei der Behandlung von Frauen“, sagte Wiesemann. Während Paare, bei denen der Mann etwa nach einer Krebsbehandlung unfruchtbar ist, mit gespendeten Spermien eine Familie gründen könnten, bleibe Paaren, bei denen die Frauen betroffen ist, diese Option verwehrt.
Die Gesundheitsrisiken für Spenderinnen seien mittlerweile gering, so Wiesemann. Für Spenden soll den Empfehlungen zufolge lediglich eine angemessene Aufwandsentschädigung gezahlt werden, um eine „unangemessene Kommerzialisierung“ zu verhindern.
Bei Embryospenden Klarheit schaffen: Mediziner erzeugen zum Teil mehr Embryonen, als sie für die Behandlung benötigen. Die Zahl dieser sogenannten überzähligen Embryonen soll auch in Zukunft möglichst gering gehalten werden. Schon heute ist es rechtlich zulässig, sie zu spenden. Bislang läuft der Prozess über einen privaten Verein. Die Autoren der Stellungnahme fordern, die Vermittlung nach transparenten und sachgerechten Kriterien gesetzlich zu regeln.
Außerdem sollte nach Willen der Autoren zusätzlich eine Spende von Vorkernstadien legalisiert werden. Dabei handelt es sich um Eizellen, in die eine Samenzelle eingedrungen ist oder eingebracht wurde, bei denen das Erbgut von Mutter und Vater aber noch nicht verschmolzen ist. Im Gegensatz zu überzähligen Embryonen ist eine solche Spende aktuell verboten. Diese Ungleichbehandlung sei weder aus ethischer Sicht noch aus der Perspektive vieler betroffener Paare überzeugend, heißt es in der Stellungnahme.
Leihmutterschaft: Das Thema Leihmutterschaft sei stark umstritten, heißt es in der Stellungnahme. Unabhängig von der Diskussion um eine Zulassung sollte jedoch geklärt werden, wie mit Kindern umgegangen wird, die im Ausland legalerweise von einer Leihmutter geboren wurden und in Deutschland aufwachsen.
„Im Sinne des Kindeswohls sollte für diese Kinder eine rechtlich sichere Zuordnung des Kindes zu den Wunscheltern ermöglicht werden, da von ihr zahlreiche Rechtsfolgen wie die elterliche Sorge, Unterhaltsansprüche und die Staatsangehörigkeit abhängen“, heißt es in der Stellungnahme.
Fazit: Dringend Zeit für ein neues Gesetz
„Die Komplexität der Materie ist kein Grund, eine gesetzliche Neuregelung weiter aufzuschieben“, schreiben die Wissenschaftler. Man erhoffe sich, zumindest eine Diskussion über Fortpflanzungsmedizin in den Parteien anzustoßen, sagte Wiesemann. Ob das am Ende zu Mehrheiten für ein neues Gesetz führe, sei offen. „Aber dieser Diskussion weiterhin aus dem Weg zu gehen, das fände ich sehr problematisch.“
Das Bundesgesundheitsministerium reagierte auf Anfrage mit einer allgemein gehaltenen Stellungnahme. „Der Bundesregierung ist es ein großes Anliegen, dass alle ungewollt kinderlosen Paare gleichermaßen bei der Inanspruchnahme von Kinderwunschbehandlungen unterstützt werden“, teilte ein Sprecher mit. So strebe der Bund etwa an, dass betroffenen Paaren die im Rahmen des Bundesprogramms gewährte finanzielle Unterstützung „bundesweit und einheitlich“ zur Verfügung stehe.
Keine Antworten gab es auf die Fragen, wie das Ministerium die aktuell zur Verfügung stehenden Maßnahmen für Kinderwunschpaare bewertet und ob diese als ausreichend und zeitgemäß angesehen werden.
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