Wegen einer seltenen Krankheit lässt Lino sich sein gesundes Bein amputieren

Lino leidet unter Body-Integrität-Dysphorie. Er will sein linkes Bein amputieren. Es gehört nicht zu seinem Körper, denkt er. Tausende Menschen sind weltweit davon betroffen. Um sein Bein loszuwerden, greift Lino sogar zum Hammer. 

Schon seit Lino (Name wurde von der Redaktion geändert) ein Kind ist, fühlt sich sein linkes Bein fremd an. Als ob es nicht zu seinem Körper gehört. Als ob es entfernt werden müsse. 

„Ich habe mir damals als Kind, da war ich zehn oder elf Jahre alt, schon das Bein hinten hochgebunden“, erklärt Lino dem TerraX-Moderator und Psychologen Dr. Leon Windscheid. Er wollte fühlen, wie es ist, nur ein Bein zu haben. Mit einem Besen als Krücke imitierte er ein Leben mit nur einem Bein. 

Heute fühlt er sich normal in seinem Körper. Denn von seinem linken Bein ist nur noch ein kurzer Stummel am Oberschenkel übrig. 

Tausende leiden unter Body-Integritäts-Dysphorie

Lino leidet unter einer Body-Integritäts-Dysphorie (BID). Die Betroffenen, die unter dieser anerkannten Krankheit leiden, wollen unbedingt querschnittsgelähmt sein, erblinden oder sich gesunde Körperteile amputieren lassen. Genau wie bei Lino entwickelt sich die BID meist schon in der Kindheit oder Jugend. Schätzungen zufolge leiden weltweit mehrere Tausend Menschen unter der Krankheit. 

Auch Lino leidet jahrelang. „Ich dachte immer, ich sei bekloppt oder ticke nicht richtig“, erklärt er dem ZDF-Moderator. Mit Anfang 20 wusste Lino dann ganz sicher, dass sein linkes Bein amputiert werden muss – und dass er nicht alleine mit dem Gefühl und der Krankheit ist. 

Lino malträtierte sein Bein mit einem Hammer

„Ich habe vorab mein Bein schon ein wenig malträtiert. Viele Jahre habe ich mit einem Hammer auf meinem Knie draufgehauen – in der Hoffnung, dass eine bösartige Geschwulst entsteht und das Bein amputiert werden muss“, gesteht Lino. 

Im Gespräch mit Dr. Windscheid offenbart Lino, dass sich damals tatsächlich eine Geschwulst gebildet hat. „Ich musste operiert werden, es war aber nichts Weltbewegendes“, erklärt Lino dem Psychologen. 

Der reagiert erstaunt: „Das heißt, es hat sich das ganze Gesundheitssystem um dich gekümmert, das kaputtgeschlagene Bein wieder hinzukriegen und sagen dir dann ‚Herzlichen Glückwunsch, wir haben es geschafft‘ und du sitzt da und sagst ‚Scheiße‘.“ Lino stimmt ihm zu. 

Irgendwann sind seine Gedanken extremer geworden. Er hat darüber nachgedacht, sein Bein mit der Kettensäge abzuschneiden. Oder das Bein von einem LKW oder Zug überrollen zu lassen. 

Therapie hilft kaum – es handelt sich um neurologische Fehlschalte im Hirn

Dass der Druck für BID-Betroffene immer größer wird, bestätigt auch Professor Dr. Erich Kasten . Er ist einer der wenigen Psychologen, die sich mit BID ganzheitlich beschäftigen. „Die Menschen sind nicht krank. Sie haben eine neurologische Fehlschalte im Gehirn“, so Kasten gegenüber TerraX. Ihr mentales Körperbild entspreche nicht der Realität. Wegen der Fehlschalte im Gehirn können die Betroffenen den Teil ihres Körpers schlichtweg nicht akzeptieren. 

Therapie helfe kaum, so Kasten. Er helfe zwar, dass die Betroffenen damit klarkommen, aber letztlich sei der Druck so groß, dass er irgendwann Gutachten schreibt, damit die gewünschte Amputation erfolgen kann. 

Wissenschaftlich ist es bisher nicht vollkommen geklärt, wie und warum BID entsteht. Eine jüngste Studie aus der Schweiz konnte jedoch feststellen, dass Menschen mit BID im Parietallappen-Bereich weniger graue Materie haben als in anderen Teilen ihres Gehirns. 

Im Ausland lässt sich Lino sein gesundes Bein amputieren

Um sich endlich in seinem Körper wohlzufühlen, muss Lino ins Ausland reisen. In Deutschland ist die gesundheitlich nicht nötige Amputation von Körperteilen nämlich verboten. Er reist ins Ausland und unterzieht sich der OP. Auf dem Tisch liegend, mit der Spinal-Anästhesie im Rücken diskutiert Lino noch mit dem Chirurgen, er möge sein Bein doch ein Stück weiter oben amputieren. 

Heute ist von seinem einst gesundem linken Bein nur noch ein Stummel übrig. In seinem Umfeld kann niemand seine Entscheidung verstehen. „Ich muss oft lügen. Das ist für die Gesellschaft viel zu krass, das Ganze“, erklärt Lino. Er hat es mal einer Freundin erzählt. Seine Frau weiß auch Bescheid. Aber keine von ihnen kann es nachvollziehen. Seine Entscheidung belastet sogar seine Beziehung. 

Lino aber akzeptiert sich endlich und ist glücklich mit nur einem Bein. „Ich fühle mich so. Ich bin so und ich kann nichts dagegen tun. Ich dachte jahrelang, ich bin psychisch krank. Jetzt liebe ich meinen Körper endlich.“

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