Nikotin in Beuteln – ein neuartiges Lebensmittel

Zu den berühmtesten Vorsätzen für das neue Jahr zählen Diäten, der Verzicht auf Alkohol und vor allem der Verzicht auf Zigaretten. Dabei kann die Apotheke mit verschiedenen Präparaten unterstützen. Sogenannte Nikotinbeutel gehören jedoch nicht dazu. Sie sind als „neuartige Lebensmittel“ angesichts einer fehlenden Zulassung nicht verkehrsfähig – und ihr Risiko ist noch unklar. Und auch sie können tabakspezifische Nitrosamine enthalten.

Bereits im Sommer vergangenen Jahres berichtete die Zeitschrift „Gute Pillen – Schlechte Pillen“ darüber, wie „Big Tobacco“ versucht, sich mit neuen Produkten wie den E-Zigaretten eine weiße Weste zu waschen. Während E-Zigaretten mittlerweile bekannt und verbreitet sind, dürfte „Nikotin im Lutschbeutel“ auch für Apotheker:innen noch eher eine Neuheit sein. „Die ‚Pouches‘, wie sie im Marketing-Sprech auch genannt werden, sind kleine Beutelchen aus Zellulose, die mit Fasern, Aromastoffen und Nikotin gefüllt sind, aber keinen Tabak enthalten. Die Nutzer:innen sollen sich die Beutelchen hinter die Lippen klemmen, das freigesetzte Nikotin wird dann über die Mundschleimhaut aufgenommen“, erklärt „Gute Pillen – Schlechte Pillen“ das Konzept des Produkts. Doch wie sind solche Produkte hinsichtlich ihres Risikos einzustufen? Im Sommer 2021 hieß es, die Bundesregierung habe das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) mit umfassenden Untersuchungen der gesundheitlichen Auswirkungen beauftragt.

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Nun liegt zwar kein abschließendes Ergebnis vor, aber eine erste „gesundheitliche Bewertung von Nikotinbeuteln (Nikotinpouches)“ durch das BfR. Sie werden dort als „neue, tabakfreie Produkte“ beschrieben, die ein Pulver „aus Nikotinsalzen und Trägerstoffen“ enthalten. Das BfR hat selbst experimentelle Untersuchungen mit ihnen durchgeführt, diese sind aber noch nicht abgeschlossen. Eine umfassende Bewertung sei damit zurzeit noch nicht möglich. 

Dass die Länderbehörden die Nikotinbeutel rechtlich als „neuartige Lebensmittel“ (Novel Food) einstufen, dürfte manchen überraschen. Dies bietet aber die Möglichkeit, solche Produkte wegen einer fehlenden Zulassung als neuartiges Lebensmittel derzeit vom Markt zu nehmen.

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Denn auch wenn kein Tabak enthalten ist: „Nikotin ist eine gefährliche Verbindung“, erklärt das BfR. Für die orale Exposition sei ein Schätzwert für die Akute Toxizität von 5 mg/kg Körpergewicht definiert worden. Die höchste Nikotinmenge solcher „Pouches“, die dem BfR bekannt ist, soll bei 47,5 mg Nikotin/Beutel liegen. Es seien einige Vergiftungsfälle mit Nikotinbeuteln beobachtet worden, die jedoch keine schweren Verläufe nahmen. Nikotin könne aber zu einer Steigerung von Totgeburten führen und starke Effekte auf das Herz-Kreislauf-System haben. Gesundheitliche Risiken sieht das BfR insbesondere für Personen mit Herz-Kreislauferkrankungen, Kinder, Jugendliche, Schwangere und Stillende sowie Nichtraucher.

Tabakspezifische Nitrosamine nachgewiesen

Untersuchungen des BfR haben zudem in einem Teil der Nikotinbeutel tabakspezifische Nitrosamine (TSNA) nachgewiesen. Dass in mehreren Produkten keine TSNA nachgewiesen wurden, verdeutliche, dass es technologisch möglich sei, diese Stoffe zu vermeiden, so das BfR. Weiterhin könnten die in Nikotinbeuteln enthaltenen Stoffe zum Teil auch verschluckt werden und damit den Wechselwirkungen mit Nahrungsbestandteilen, Speichel, Magen- und Darmsaft unterliegen. Die Bildung von Nitrosaminen erfolge währenddessen unter Einwirkung nitrosierender Agenzien, wie z. B. Nitritsalzen, bevorzugt im sauren Milieu. „So kommt z. B. eine endogene Bildung karzinogener TSNA im menschlichen Verdauungstrakt in Betracht“, heißt es.

Unter tabakspezifische Nitrosamine (TSNA) fallen die vier Substanzen 

  • N´-Nitrosonornikotin (NNN),
  • 4-(Methylnitrosamino)-1-(3-pyridyl)-1-butanon (NNK),
  • N´-Nitrosoanatabin (NAT) und
  • N´-Nitrosoanabasin (NAB).

Nikotinbeutel enthalten zwar keinen Tabak, das zugesetzte Nikotin kann aber durch Extraktion von Tabakblättern gewonnen worden sein und damit Spuren von TSNA enthalten, erklärt das BfR.

„Tabakrauch enthält über 4.800 Substanzen, darunter sind mehr als 90 gesichert oder mutmaßlich mutagen oder carcinogen. Der Tabakkonsum hat aufgrund der im Tabakrauch enthaltenen Schadstoffe (u. a. CO, Stickstoffoxide, Wasserstoffcyanide, Kadmium, Zink, Kohlenstoffdisulfide, flüchtige Aldehyde, Stickstoffoxide, Benzole, N-Nitrosamine, Vinylchlorid, polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe, Polonium – 210, Cadmium, Blei, Nickel, Chrom, Aluminium) weitreichende Konsequenzen in Form gesundheitlicher Folgeschäden. Der Tabakkonsum stellt eine anhaltende, ernstzunehmende Bedrohung der Gesundheit der Bevölkerung dar.“ 

Quelle: S3-Leitlinie „Rauchen und Tabakabhängigkeit: Screening, Diagnostik und Behandlung“ (Gültig bis 31.12.2025)

Pharmakokinetische Untersuchungen zeigen, dass mindestens die Hälfte des Nikotins aus solchen Beuteln aufgenommen werden kann. Dabei stützt sich das BfR auf Untersuchungen, die mit Nikotindosierungen von maximal 8 mg Nikotin/Beutel durchgeführt wurden: „Es werden relevante Blutspiegel erreicht, d. h. die Nikotinspiegel liegen in einem Bereich, der auch nach Konsum von herkömmlichen Zigaretten und manchen E-Zigaretten erreicht wird.“

Nichtsdestotrotz könnte laut BfR „der Wechsel von Zigaretten zu Nikotinbeuteln eine Reduktion des Risikos für eine rauchende Person darstellen. Allerdings bestehen derzeit noch erhebliche Unsicherheiten.“

Was sind neuartige Lebensmittel?

„Unter neuartigen Lebensmitteln werden gemäß der Verordnung (EU) 2015/2283 über neuartige Lebensmittel (Novel Food-Verordnung) solche Lebensmittel verstanden, die vor dem Stichtag 15. Mai 1997 noch nicht in nennenswertem Umfang in der EU für den menschlichen Verzehr verwendet worden sind und bestimmten, in der genannten Verordnung aufgeführten Lebensmittelgruppen zugeordnet werden können. […] Neuartige Lebensmittel dürfen in der EU nur dann in den Verkehr gebracht werden, wenn sie zugelassen worden sind.“ 

(Quelle: Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, 19. Oktober 2020)

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