Trinkwasser enthält viele Mineralien, die gesund sind. Auch das Leichtmetall Lithium, das in der Medizin gegen psychische Erkrankungen wie Depressionen zum Einsatz kommt. Wissenschaftler haben nun einen Zusammenhang zwischen Autismus und zu hohen Konzentrationen davon im Leitungswasser festgestellt.
Autismus ist eine Entwicklungsstörung des Gehirns, die in verschiedenen Formen und Ausprägungen auftritt. Auch wenn es keine genauen Zahlen gibt, geht der Bundesverband Autismus Deutschland e.V. davon aus, dass sechs bis sieben von 1000 Menschen unter einer Autismus-Spektrums-Störung (ASS) leiden.
Die schwerste Form ist dabei der frühkindliche Autismus, der sich bereits um das dritte Lebensjahr herum unter anderem durch eine fehlende oder verzögerte Sprachentwicklung bemerkbar macht. Eine leichtere Form dagegen ist der Asperger-Autismus, bei dem die sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten der Betroffenen meistens nicht eingeschränkt sind. Viele haben zudem außergewöhnliche Inselbegabungen wie beispielsweise ein extrem gutes Zahlengedächtnis oder außergewöhnliche Rechenfähigkeiten.
Bei vielen Autismus-Formen zeigen sich zudem in unterschiedlicher Prägnanz Störungen im Sozialverhalten sowie häufig stereotype, also sich wiederholende Verhaltens- und Bewegungsweisen wie beispielsweise eine Schaukelbewegung des Oberkörpers.
Genetische Faktoren und gestörter Hirnstoffwechsel – Ursachen von ASS ungeklärt
Bis heute sind die Ursachen von ASS nicht genau geklärt. Die Wissenschaft geht bisher davon aus, dass Autismus vermutlich genetisch bedingt ist. Auch eine Störung des Hirnstoffwechsel sowie Umweltgifte wie Pestizide und Phthalate stehen als mögliche Auslöser zur Diskussion.
Nun machten amerikanische Forscher eine alarmierende Entdeckung: Sie fanden heraus, dass Kinder von Müttern in Dänemark, die während der Schwangerschaft in Regionen mit einem hohen Lithium-Gehalt im Leitungswasser gelebt haben, häufiger an ASS erkrankten. Die Studie der University of California Los Angeles (UCLA) wurde Anfang April im Fachmagazin „Jama Pediatrics“ veröffentlicht. Sie ist die erste, die Lithium als mögliche Ursache für ASS untersucht.
Lithium in unterschiedlichen Konzentrationen natürlicher Bestandteil im Trinkwasser
Lithium ist ein Leichtmetall, das in Mineralien und Gestein enthalten ist und durch Regen oder Grundwasser ausgewaschen wird. Deshalb kommt es auf natürliche Weise im Trinkwasser vor, aber ebenso in Nahrungsmitteln wie Fleisch, Fisch, Eiern und Milchprodukten. In den 151 untersuchten Regionen in Dänemark variierte der Lithiumgehalt zwischen 0,6 Mikrogramm pro Liter und bis zu 30 Mikrogramm pro Liter.
Studie mit mehr als 8000 ASS-Betroffenen
Für die Studie analysierte das Forscherteam die Daten von 8842 Kindern mit ASS. Dazu zog es die Wohnortdaten ihrer Mütter während der Schwangerschaft heran, verknüpfte sie mit dem Lithiumgehalt des Wassers dort und verglich sie später mit einer Kontrollgruppe. Diese bestand aus 43.864 Müttern, deren Kinder nicht unter ASS litten.
Dabei stellte sich heraus, dass das Risiko für ASS bereits bei einer Lithiumkonzentration ab 7,36 bis 12,67 Mikrogramm pro Liter
- um bis zu 26 Prozent erhöht war.
Bei der Gruppe mit den höchsten Lithiumkonzentrationen von mehr als 16,78 Mikrogramm pro Liter war das Autismus-Risiko sogar
- um 46 Prozent erhöht.
Bei der Kontrollgruppe, in denen keine ASS-Erkrankungen vorkamen, lag der Lithiumwert im Trinkwasser unter 7,39 Mikrogramm pro Liter.
Problem könnte sich durch Entsorgung von Lithiumbatterien verstärken
Die Studienautoren gehen deshalb davon aus, dass natürlich vorkommendes Lithium im Trinkwasser als neuer Umweltrisikofaktor für autistische Störungen weiter untersucht werden sollte. „Jede Trinkwasserverunreinigung, die das sich entwickelnde menschliche Gehirn beeinträchtigen könnte, verdient eine intensive Prüfung“, sagte die Hauptautorin Beate Ritz , Professorin für Epidemiologie, Umweltgesundheit und Neurologie in einer Pressemitteilung der Universität.
Sie mutmaßt außerdem, dass sich das Problem künftig noch verstärken könnte. „In Zukunft könnten anthropogene Quellen von Lithium im Wasser aufgrund der Verwendung von Lithiumbatterien und der Entsorgung auf Deponien mit dem Potenzial für eine Grundwasserverschmutzung weiter verbreitet werden“, gibt sie zu bedenken.
Kritik an der Studie: Lithium-Konsum der Mütter unbekannt
Auch Wissenschaftler, die an der Studie nicht beteiligt waren, haben bereits auf die Untersuchung aus Dänemark reagiert. „Das ist ein interessantes Papier. Es leistet gute Arbeit bei der Anpassung an mögliche Störfaktoren wie Geschlecht und Alter des Kindes sowie sozioökonomische Maßnahmen in der Nachbarschaft“, kommentierte etwa die Forscherin Rosa Hoekstra vom King’s College in London auf Nachfrage des „Science Media Centre“.
Da sich die Studie allerdings auf Daten des nationalen Patientenregisters in Dänemark stützte, seien Kinder, die möglicherweise Autismus haben, aber keine offizielle Diagnose, gar nicht in der Studie eingeschlossen. Autismus-Diagnosen seien aufgrund der Vielschichtigkeit dieser Krankheit nicht ganz einfach und sehr stark von der Nähe zu darauf spezialisierten medizinischen Einrichtungen abhängig. Das bedeutet: Die Wahrscheinlichkeit, dass bei einem Kind überhaupt Autismus festgestellt werde, hänge stark vom Wohnort ab. Dieser Umstand könnte daher die Studienergebnisse verzerrt haben.
Als interessant und plausibel stufte auch Brian Lee von der Drexel University in Philadelphia die Studie ein. Kritisch sah er aber unter anderem den Punkt, dass es keine Daten dazu gibt, wie viel Lithium die Mütter während der Schwangerschaft wirklich aufgenommen haben: Die Genauigkeit der Quantifizierung der Lithium-Exposition sei ein Problem, schreibt er bei „Spectrum“. Denn es gäbe keinerlei Daten dazu, die genau Auskunft über die Dosis, den Ort oder den Zeitpunkt der tatsächlichen Exposition der Mütter Auskunft gäben. Die Studie beruht lediglich darauf, wie hoch die Konzentration am Wohnort der Mütter während der Schwangerschaft war.
Lithium wirksam gegen psychische Erkrankungen
Lithium wird in der Medizin seit Jahrzehnten bei psychischen Erkrankungen wie Depressionen und bipolaren Störungen eingesetzt, da es eine stimmungsstabilisierende Wirkung hat. Dass sich das Medikament auf den Hirnstoffwechsel auswirkt, ist unstrittig. Schwangere sollten es aber nicht einnehmen, da es unter anderem zu Fehlgeburten sowie zu Herzanomalien beim Kind führen kann. Die Konzentration von Lithium in Medikamenten ist um ein Vielfaches höher als im Leitungswasser.
Bezüglich Lithium im Trinkwasser gab es in der Vergangenheit bereits einige Studien, die darauf hindeuteten, dass eine höhere Konzentration zu einer Reduktion von Suiziden führen und sogar Demenz verhindern könnte. In Deutschland gibt es keine Grenzwerte von Lithium im Trinkwasser.
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