Bisher gibt es gegen die Alzheimer-Demenz kein Heilmittel, neue Wirkstoffe wie die Antikörper-Präparate Donanemab oder Lecanemab können die fortschreitende Zerstörung von Gehirnzellen allenfalls bremsen. Sie setzen an den Plaques aus fehlgefalteten Beta-Amyloid-Proteinen an, die als ein Leitsymptom der Demenz gelten. Ebenfalls am Abbau beteiligt sind jedoch auch Fibrillen aus fehlgefalteten Tau-Proteinen in den Gehirnzellen – auch sie beschleunigen den geistigen Abbau.
Symptomfrei trotz Alzheimer-Mutation
Jetzt könnte eine seltene Genmutation einen möglichen Therapieansatz gegen die Tau-Proteine liefern. Entdeckt wurde diese Genvariante bei einem Patienten, der an einer früh ausbrechenden, erblichen Form der Alzheimer-Demenz litt – eigentlich. Denn obwohl dieser Mann die krankmachende Paisa-Mutation im Erbgut trug, wurde er nicht krank. Statt wie für diese Alzheimerform üblich schon mit Mitte 40 erste Demenzsymptome zu entwickeln, blieb er bis Anfang 70 symptomfrei.
Aber warum? Um das herauszufinden, hat ein internationales Team um Francisco Lopera von der Universität von Antioquia in Kolumbien das Erbgut des mit 74 Jahren verstorbenen Mannes näher untersucht. Dabei stießen sie nicht nur auf die krankmachende Paisa-Mutation, sondern auch auf eine weitere, sehr seltene Genveränderung. Es ist weltweit erst der zweite Fall eines Menschen, der durch eine Genmutation vor Alzheimer bewahrt wurde. Die Forscher veröffentlichten den Fall im Fachblatt „Nature“.
Schützende Mutation im Reelin-Gen
„Es ist aufregend, dass Mutter Natur uns hier sowohl den Auslöser für Alzheimer als auch die Kur dafür in einem liefert“, sagt Lopera. „Diese beiden Patienten tragen ein Gen, das Alzheimer verursacht und gleichzeitig ein anderes Gen, das sie über Jahrzehnte hinweg vor den Symptomen der Demenz bewahrt.“ Nähere Analysen ergaben, dass die neuentdeckte Schutzmutation nicht wie beim ersten Fall im APOE3-Gen lang, sondern im sogenannten Reelin-Gen. Dieses spielt eine wichtige Rolle für die Funktion und Entwicklung von Hirnzellen.
Bei dem Mann mit dem veränderten Reelin-Gen bewirkte die Genvariante, dass besonders viel von vom Reelin-Protein produziert wurde. Dies sorgte dafür, dass sich bei diesem Patienten weniger schädliche Tau-Fibrillen in den Gehirnzellen anreicherten. Denn das Protein bremst die Phosphorylierung des Tau-Proteins, wie Studien belegen. Besonders stark war diese Schutzwirkung im entorhinalen Kortex, einer meist als erstes von Alzheimer betroffenen Schlüsselregion des Gehirns für Lernprozesse und das Gedächtnis, wie die Forschenden feststellten.
Potenzieller Ansatzpunkt für Therapien
„Die schützende Genvariante, die in dieser Studie beschrieben wird, eröffnet eine neue Sichtweise auf das Reelin-Protein und die Entstehung von Alzheimer“, sagt Koautor Diego Sepulveda-Falla vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). „Die Tatsache, dass ein Gen der Entwicklung der Alzheimer-Krankheit schützend entgegenwirkt, kann eine wichtige Grundlage für zukünftige Therapiestudien bilden.“
Das Forschungsteam plant nun, in den Familien der beiden bisher bekannten Patienten nach weiteren möglichen Trägern schützender Mutationen zu suchen. Parallel dazu wollen sie erforschen, ob und wie sich das Wissen um die Reelin-Mutation für einen therapeutischen Ansatz gegen Alzheimer nutzen lässt. Sollte dies gelingen, könnte diese Therapie dann auch Alzheimer-Betroffenen ohne die krankmachende Paisa-Mutation helfen.
Quelle: Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Massachusetts General Brigham
Von Nadja Podbregar
Das Original zu diesem Beitrag „Pantient hat seltene Genmutation – die könnte andere vor Alzheimer schützen“ stammt von scinexx.
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