Durchbruch bei der Behandlung von chronischer Migräne?
Ein neu identifizierter zellulärer Mechanismus bei Migräne eröffnet vielversprechende Ansätze zur Behandlung. Dabei spielt insbesondere die sogenannte neuronale Plastizität, eine wichtige Rolle.
Störungen in der neuronalen Zytoarchitektur sind ein Merkmal der chronischen Migräne und Wirkstoffe, welche die neuronale Plastizität wiederherstellen, könnten möglicherweise zur Migränetherapie eingesetzt werden, so das Ergebnis einer aktuellen Untersuchung unter Beteiligung von Forschenden der University of Illinois Chicago. Die Studie wurde in der englischsprachigen Fachzeitschrift „eLife“ publiziert.
Wodurch wird chronische Migräne gekennzeichnet?
Migräne ist eine häufig auftretende Erkrankung des Gehirns. Schätzungen zufolge sind etwa 14 Prozent der Menschen auf der Welt von Migräne betroffen, was ebenfalls mit immens hohen Kosten für die Gesundheitssysteme verbunden ist. Besonders stark beeinträchtigt sind Menschen mit chronischer Migräne, welche an mehr als 15 Tagen pro Monat unter Kopfschmerzen leiden. Bei diesen Personen sind Therapien oft nur teilweise wirksam oder schlecht verträglich, so dass ein Bedarf an vielfältigeren medikamentösen Therapien besteht.
In der neuen Untersuchung ist es nun gelungen, einen bisher unbekannten Mechanismus der chronischen Migräne zu identifizieren, der auch einen zellulären Weg für Migränetherapien eröffnet, so die Forschenden.
Welche Rolle spielt die neuronale Plastizität?
Der dynamische Prozess der Neu- und Umleitung von Verbindungen zwischen Nervenzellen, die sogenannte neuronale Plastizität, ist sowohl für die Ursachen als auch für die Heilung von Störungen des zentralen Nervensystems, wie beispielsweise Depression, chronischer Schmerz und Sucht entscheidend, erklärt Studienautorin Dr. Amynah Pradhan von der University of Illinois Chicago.
Was ist Tubulin?
Die Struktur von Zellen wird durch ihr Zytoskelett aufrechterhalten, welches aus einem Protein mit der Bezeichnung Tubulin besteht. Tubulin befindet sich in ständigem Fluss, es wächst und schrumpft, um die Größe und Form der Zelle zu verändern, erläutern die Fachleute. Diese dynamische Eigenschaft der Zelle ermögliche es dem Nervensystem, sich in Reaktion auf seine Umgebung zu verändern.
Tubulin wird im Körper durch einen chemischen Prozess namens Acetylierung modifiziert. Wenn Tubulin acetyliert ist, fördert es ein flexibles, stabiles Zytoskelett, während sogenannte Tubulin-Deacetylierung – induziert durch Histon-Deacetylase 6 (HDAC6) die Instabilität des Zytoskeletts begünstigt, erklären die Forschenden weiter.
Rolle von verminderter neuronaler Komplexität?
Untersuchungen an Modellen von Mäusen haben laut Aussage der Forschungsgruppe gezeigt, dass eine verminderte neuronale Komplexität ein Merkmal oder ein Mechanismus der chronischen Migräne sein könnte. Durch eine Hemmung von HDAC6 werde die Tubulin-Acetylierung und die Flexibilität des Zytoskeletts wiederhergestellt. Außerdem kehrte HDAC6 die sogenannten zellulären Korrelate der Migräne um und linderte Migräne-assoziierte Schmerzen, so die Fachleute.
HDAC6-Inhibitoren als Therapie für Migräne
„Diese Forschungsarbeit deutet darauf hin, dass der chronische Migränezustand durch eine verminderte neuronale Komplexität charakterisiert zu sein scheint und dass die Wiederherstellung dieser Komplexität ein Markenzeichen von Anti-Migräne-Behandlungen sein könnte. Dies bildet auch die Grundlage für die Entwicklung von HDAC6-Inhibitoren als neue therapeutische Strategie für Migräne”, berichten die Forschenden. Durch die Ergebnisse der Untersuchung werde ein neuer Weg aufgezeigt, um das Gehirn möglicherweise auf den Zustand vor der chronischen Migräne zurückzusetzen.
„Die Blockierung von HDAC6 würde es den Neuronen ermöglichen, ihre Flexibilität wiederherzustellen, so dass das Gehirn empfänglicher für andere Arten der Behandlung wird. In diesem Modell sagen wir, dass chronische Migränepatienten vielleicht eine verminderte neuronale Flexibilität haben. Wenn wir diese Komplexität wiederherstellen würden, können wir sie vielleicht aus diesem Kreislauf herausholen”, erklärt Studienautorin Dr. Pradhan in einer Pressemitteilung der University of Illinois Chicago.
Bessere Wirksamkeit von Schmerztherapien
Sobald die betroffenen Personen aus dem Zyklus der verminderten neuronalen Komplexität heraus sind, könnte das Gehirn besser auf Schmerztherapien ansprechen, erläutert die Expertin weiter. HDAC6-Inhibitoren werden derzeit bereits für die Behandlung von Krebs entwickelt, und außerdem wurde HDCA6 als Ziel für andere Arten von Schmerztherapien identifiziert. Laut Dr. Pradhan stellt sich angesichts der Studienergebnisse die Frage, ob die festgestellten Veränderungen vielleicht sogar ein Markenzeichen für alle Arten von chronischen Schmerzzuständen sein könnten. (as)
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