Mein liebes Tagebuch

Mit seinem E-Rezept-Projekt macht DocMorris Druck. Das Versandhaus will mit Fachärzten und sogar Vor-Ort-Apotheken zusammenarbeiten, wie nett! Wie das gehen soll, bleibt ein Geheimnis. Was soll’s, wir haben doch die pharmazeutischen Dienstleistungen als Rettungsanker. Wie die konkret aussehen und honoriert werden? Ein Geheimnis. Doch das alles ist nichts gegen den Riesen-Tsunami, der auf uns zuzurollen droht: Die Preisbindung auf Herstellerebene könnte durch eine Entscheidung des OLG Düsseldorf in sich zusammenfallen. Im Klartext: Gleichpreisigkeit ade? Und Tschüss, liebe gute alte Arzneimittelpreisverordnung? 

27. Mai 2019

Das war zu erwarten: DocMorris kann es nicht erwarten! Das Versandhaus will sich einen großen Teil vom E-Rezeptkuchen sichern. DocMorris hat ein eigenes E-Rezept-Projekt aufgesetzt und dazu die Fachärzte mit ins Boot geholt, so ließ eine Pressemitteilung wissen. Details wurden nicht genannt. Dennoch, ein starkes Stück, mein liebes Tagebuch! Wo wird das hinführen? Das ist noch offen, aber wahnsinnig brisant. Noch vor kurzem sagte der ABDA-IT-Chef Sören Friedrich auf dem DAV-Wirtschaftsforum: „Am schlimmsten wäre es, wenn DocMorris mit einer eigenen E-Rezept-App auftaucht.“ Tja, die haben wir nun und es kommt noch schlimmer: Der Versender arbeitet bei der Umsetzung seines E-Rezept-Projekts mit dem Spitzenverband der Fachärzte (SpiFa) zusammen. Es ist der größte Fachärzteverband in Deutschland. Das Projekt soll im kommenden  Jahr starten. Seitens der Ärzte wird es über die Sanakey-Gruppe gesteuert, eine Unternehmensgruppe des SpiFA, die vom ehemaligen FDP-Bundestagsabgeordneten Lars Friedrich Lindemann geleitet wird. Mein liebes Tagebuch, mal grundsätzlich gefragt: Dürfen die das denn? Gute Frage. Wir haben in Deutschland die freie Apothekenwahl für Patienten, Ärzte dürfen ihre Patienten nicht beeinflussen, in welcher Apotheke sie ihre Rezepte einlösen. Mit dem kommenden Apotheken-Stärkungsgesetz soll das „Makeln“ mit Rezepten ausdrücklich verboten werden. Ebenso soll untersagt werden, dass Ärzte und Krankenkassen die Patienten bei ihrer Apothekenwahl beeinflussen. Das Bundesgesundheitsministerium will es den EU-Versendern außerdem verbieten, Absprachen mit Ärzten zur Weiterleitung von Rezepten zu vereinbaren. Mein liebes Tagebuch, das Gesundheitsministerium hat die Gefahren erkannt und will gegensteuern. Immerhin hat sich unsere ABDA, hier der Deutsche Apothekerverband, dieses Mal zu Wort gemeldet und den Verbraucherschutz beim E-Rezept eingefordert: „Patienten müssen volle Wahlfreiheit bei Arzt und Apotheke behalten.“ Ob das gelingen wird? In seiner Pressemitteilung lässt der Apothekerverband noch wissen, dass man derweil „mit Hochdruck“ an einer eigenen E-Rezept-Web-App arbeite. Mein liebes Tagebuch, da können wir unserem Verband nur alles Gute wünschen. Und wir fragen uns trotzdem, warum an dieser E-Rezept-App erst jetzt mit Hochdruck gearbeitet wird. Dass das E-Rezept kommt, weiß man nicht erst seit gestern.

Na ja, mein liebes Tagebuch, falls es dann doch mit der DAV-E-Rezept-App ein wenig länger dauern sollte und die DocMorris-Fachärzte derweil ihre Rezepte zum Versender in die Niederlande schicken, dann greifen wir zu unserem Kieferschen Rettungsanker, den pharmazeutischen Dienstleistungen, denn die können die Versender nicht. Mein liebes Tagebuch, wie hat der BAK-Präsident Kiefer das mit dem Rettungsanker wohl gemeint? Der Anker liegt tief im Wasser – heißt das, dass wir dann schon abgesoffen sind, wenn wir nach ihm greifen? Also, mal im Ernst: Die pharmazeutischen Dienstleistungen in allen Ehren, wie auch immer sie im Detail aussehen mögen (wir wissen es noch nicht)! Aber ob sie für die deutschen Apotheken ein Rettungsanker sein können, wagen wir mal zu bezweifeln, mein liebes Tagebuch. Um solche Dienstleistungen erbringen zu können, müssen wir uns vermutlich erst noch weiterbilden. Dann sind sie zeit- und kostenintensiv, das werden bei weitem nicht alle Apotheken stemmen können. Und am Ende wissen wird noch überhaupt nicht, was dabei finanziell überkommt – die Honorare müssten mit dem GKV-Spitzenverband ausgehandelt werden. Wie so etwas ausgehen kann, wissen wir. Und wenn wir an die Honorierung unserer Rezepturen denken, wissen wir, dass wir da mächtig drauflegen.

„Freiheit vor staatlicher Reglementierung“, das gelte auch für den Apothekenmarkt, meint der Verfassungsrichter Prof. Dr. Peter M. Huber im Gespräch mit dem politisch aktiven Pharmaziestudenten Benedikt Bühler auf dem Karlsruher Verfassungsfest. Aber dass sich EU-Versandapotheken an die Rx-Preisbindung halten müssten, sei eine zulässige Einschränkung der Berufsfreiheit, weil man kein Apothekensterben will. Mein liebes Tagebuch, wer sich jetzt schon freut, freut sich zu früh. Denn der Verfassungsrichter sagte auch, dass dies nur eine Ausnahme von der Regel sei  und eine solche Einschränkung der Berufsfreiheit gut begründet werden müsse. Genau, da liegt der Hase im Pfeffer. Man müsste da wohl erst plausibel nachweisen, dass die Menschen in ländlichen Regionen nicht mehr versorgt werden können. Dann könnte es unter europarechtlichen Gesichtspunkten ein Grund sein, die Warenverkehrsfreiheit zu beschränken, meint der Verfassungsrechtler. Freilich, die Arzneimittelversorgung fällt unter das Gesundheitswesen und das liegt eigentlich in der Entscheidungshoheit eines jeden EU-Staats. Aber die Binnenmarktfreiheiten und die Warenverkehrsfreiheit sind „Querschnittsmaterie“, sagte der Verfassungsrechtler, und fügt hinzu: „Dass Arzneimittel Waren sind, hat der EuGH wiederholt entschieden. Eine vollständige Abgrenzung gibt es da nicht.“ Und damit haben wir den Salat, mein liebes Tagebuch.

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