Nach wie vor legt Long-Covid unzählige Menschen in Deutschland lahm. Vieles an den Langzeitfolgen von Corona ist noch unverstanden. Gesundheitsminister Karl Lauterbach versprach daher Finanz-Spritzen für die Forschung. Sie bleiben Großteils leer. Betroffene fühlen sich #LiegenGelassen.
„Für Menschen mit Long-Covid ist die Pandemie leider noch nicht beendet“, sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Sie litten unter den Folgen, warteten auf Forschungsergebnisse, Therapien und gute Versorgung. Dafür gehe es auch darum, Expertinnen, Experten und Betroffene zusammenzubringen, um Ideen für eine bessere Versorgung zu entwickeln. „Die Long-Covid-Kranken erwarten zu Recht, dass wir uns um sie kümmern.“ So weit sind sich der SPD-Politiker und die Leidtragenden einig. Zu dem, was Lauterbach nun konkret plant, gehen die Meinungen allerdings auseinander.
Unter Long-Covid versteht man Beschwerden, die jenseits einer akuten Krankheitsphase von vier Wochen fortbestehen oder dann neu auftreten. Post-Covid beschreibt das Krankheitsbild mehr als zwölf Wochen nach einer Corona-Infektion.
Das steckt in Lauterbachs Long-Covid-Programm
Der Gesundheitsminister stellte am Mittwoch sein Long-Covid-Programm vor: Auf einem neuen Internetportal sollen Empfehlungen zur Behandlung, Informationen zum Stand der Wissenschaft und Hinweise auf spezialisierte Ärztinnen und Ärzte abrufbar sein. Für die Forschung mit Modellprojekten zur Versorgung und Behandlung von Betroffenen will das Ministerium von 2024 an 21 Millionen Euro als Förderung bereitstellen. Im Herbst 2023 plant Lauterbach einen „Runden Tisch“ mit verschiedenen Akteuren.
Link zur Website BMG-Longcovid.de
„Wo bleibt das Geld?“, fragen angesichts dieser Zahl die an Long-Covid-Leidenden. Eine junge Frau twitterte an Karl Lauterbach und Bettina Stark-Watzinger, Bundesministerin für Bildung und Forschung: „Seit 2021 erkrankt. Seit 2022 arbeitsunfähig und ständige Zustandsverschlechterung durch fehlende Therapien. Wo bleibt das Geld? Wieso verliere ich meine 20er durch Long-Covid, ME/CFS?“
Ein weiterer Betroffener schrieb:
„Seit
1001 Tagen will ich nach Hause zu meiner Frau
24024 Std kämpfe ich nicht aufzugeben
1441440 Min fordere ich eine Versorgung der Krankheit ME/CFS
86486400 Sek suche ich Hilfe
@Karl_Lauterbach
versprach 100 Mio, aber hält es nicht ein. Wir werden weiter #LiegenGelassen“
Im Januar hatte der Gesundheitsminister verkündet: Es werde ein 100 Millionen Euro Programm geben. Das allerdings fiel Streichungen bei der Aufstellung des Haushalts 2024 zum Opfer.
Neben der Forschungsförderung des Bundes ist laut Ministerium auch beim Gemeinsamen Bundesausschuss von Ärzten, Krankenkassen und Kliniken ein Forschungsschwerpunkt Long-Covid veranlasst worden. Damit werde eine weitere Förderung von 20 Millionen Euro ermöglicht. Doch auch das ergibt noch nicht die ursprünglich angekündigten 100 Millionen.
Warum gibt es für Long-Covid doch keine 100 Millionen Euro?
Auf Nachfrage von FOCUS online lässt ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) wissen: „Der Minister hat wiederholt betont, dass er sich in den Haushaltsberatungen dafür einsetzt, 100 Millionen Euro für die Long-Covid-Initiative zu bekommen. Die hat das BMG nicht bekommen.“ Sie hätten es trotzdem geschafft, wenigstens 41 Millionen Euro zu aktivieren – über den normalen Versorgungsforschungsetat und den Innovationsfonds.
In der Pressekonferenz zum Thema erläuterte Lauterbach, die Haushaltslage sei „sehr prekär“. Die jetzt bereitgestellten Millionen seien gleichwohl eine „große Initiative“.
Der Bedarf für Long-Covid-Forschung ist enorm
Dass Long- und Post-Covid ein relevantes Thema sind und es bleiben werden, ist Lauterbach klar: „Die Zukunft von Long Covid hat leider erst begonnen.“ Auch Geimpfte und bereits Infizierte könnten bei weiteren Infektionen betroffen sein, so dass dies noch an Bedeutung gewinnen werde. Dabei sei davon auszugehen, dass zwischen sechs und 15 Prozent der Infizierten an Long-Covid erkranken.
Der Bedarf an Forschung, neuen Medikamenten und besserer Betreuung ist groß, wie Fachleute seit längerem mahnen. Krankheitsbilder nach Infektionen habe es schon vor der Pandemie gegeben – nun sei es aber eine neue Dimension, sagte die Leiterin der Immundefekt-Ambulanz an der Berliner Charité, Carmen Scheibenbogen. Momentan sei nach Zahlen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einer von 30 Europäern an Long-Covid erkrankt, auf Deutschland umgerechnet seien das 2,5 Millionen Menschen. Mit Post-Covid waren Ende vergangenen Jahres knapp 335.000 Menschen in Arztpraxen in Behandlung, teilte das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) nach Abrechnungsdaten mit.
Die Krankheitssymptome sind uneinheitlich: von anhaltender Schwäche und Erschöpfung, teils verstärkt schon bei leichten Belastungen, über Probleme beim Atmen bis zu Herz-Kreislauf-Beschwerden. Manche Betroffene können auch nicht mehr berufstätig sein. Dabei gibt es noch kein flächendeckendes Netz von Anlaufstellen. Scheibenbogen appellierte an Ärzte, sich fortzubilden und Betroffenen zumindest eine Grundversorgung zukommen zu lassen. Mit dem Behandeln von Schmerzen oder Schlafstörungen könne vielen schon geholfen werden.
„Wir brauchen eine Dekade der Long-Covid-Forschung“
Die 41-Millionen-Förderung soll nun zumindest ein Anstoß sein. Bis Modellprojekte in die reguläre Versorgung kommen, braucht es dann noch Zeit. Und nötig sind auch deutlich größere Investitionen, wie der Direktor der Kardiologie am Universitätsklinikums Marburg, Bernhard Schieffer, deutlich machte: „Wir brauchen eine Dekade der Long-Covid-Forschung.“
Da Heilung noch nicht möglich ist, stehen Entwicklung und Zulassung von Medikamenten im Fokus. Lauterbach und Scheibenberg mahnten auch mehr Aktivität der Pharmabranche an. Die Charité-Expertin warnte mit Blick auf volkswirtschaftliche Schäden von Long-Covid: „Das Teuerste wird sicher sein, nichts zu tun.“
Ähnlich sehen das die Betroffenen. Sie leiden nicht nur darunter, dass ihnen gute Versorgung fehlt, sie keine Termine bekommen, oft Falschinformationen zu ihren Beschwerden kursieren, sondern auch vor allem darunter, dass sie viele ihrer Tage im Bett liegen. Eine Twitter-Userin schreibt: „Wären ich und viele andere nicht #LiegenGelassen worden, könnten wir dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und unsere Leben leben. Wir brauchen mehr als eine Website und eine Hotline. Wir brauchen #TatenStattWorte.“
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