Keine Stiko-Empfehlung? Hausärzte fürchten Chaos wegen Omikron-Booster

Die neuen Omikron-Impfstoffe stehen kurz vor der Zulassung. Bei den Hausärzten herrscht Alarmstimmung deswegen. Denn wen sie damit impfen sollen und wer davon profitiert, darüber herrscht nach wie vor Unklarheit. Auch ob die Stiko sie empfiehlt, steht noch in den Sternen.

Noch diese Woche will die Europäische Arzneimittelagentur EMA über die Zulassung der neuen Omikron-Impfstoffe entscheiden. Nach Angabe von Gesundheitsminister Karl Lauterbach könnten bereits ab dem 5. September erste Chargen ausgeliefert werden. Bereits Anfang September werden von Biontech/Pfizer circa 10 Millionen Dosen und von Moderna über zwei Millionen erwartet.

Der Haken an der Sache: Die neuen Impfstoffe der beiden Hersteller wurden für die zuerst kursierende Omikron-Variante B.1 entwickelt. Mittlerweile dominiert aber BA.5 bei uns, BA.1 spielt gar keine Rolle mehr. Dennoch sollen die BA.1 angepassten Impfstoffe besser als Booster gegen die bei uns vorherrschende BA.5-Variante wirken als die bereits zugelassenen Impfstoffe, heißt es. Biontech/Pfizer hat aber bereits ein auf BA.4/BA.5 angepasstes Vakzin am Start. Die EMA will über die Zulassung bereits Ende September abstimmen.

Verunsicherung wegen der neuem Omikron-Booster

Für Patienten ist die aktuelle Situation maximal verwirrend. Wer soll sich überhaupt mit den neuen Impfstoffen boostern lassen? Und wäre es nicht besser auf den BA.5 angepassten Impfstoff zu warten, der schon im Oktober verfügbar sein könnte?

All das beschäftigt auch die Hausärzte, die die meisten Corona-Impfungen durchführen und ihre Patienten aufklären müssen. Bisher gibt es aber noch keine Empfehlung seitens der Stiko zu den neuen Omikron-Impfstoffen, die sowohl für Ärzte als auch für Patienten als Leitlinie dient. 

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Hausärztechef Weigeldt: Mediale Impfkampagne hätte längst starten sollen

Ulrich Weigeldt, der Vorsitzenden des Deutschen Hausärzteverbandes, ist von dieser unklaren Situation alles andere als begeistert. „Für die Hausärztinnen und Hausärzte sind es gute Nachrichten, dass nun nicht nur die angepassten Impfstoffe zugelassen sind, sondern auch direkt in ausreichender Menge zur Verfügung stehen sollen. Da kennen wir noch ganz andere Zeiten!“, sagt er auf Anfrage von FOCUS online.

Weniger schön sei aber das kommunikative Chaos rundherum. Denn Patienten würden sich fragen, ob es sinnvoll sei, sich gleich Anfang September mit dem BA.1 angepassten Impfstoff impfen zu lassen oder ob man auf den BA.4/BA.5 angepassten Impfstoff warten solle. „Eine angepasste, mediale Impfkampagne hätte längst breitflächig starten müssen. Das haben wir bereits mehrfach kritisiert“, führt der Verbandschef weiter aus.

„Die Praxen tun alles, um ihre Patientinnen und Patienten über die Notwendigkeit der Impfung aufzuklären, das kann aber nicht nur auf unsere Schultern abgewälzt werden“, mahnt Weigeldt. „Die Politik hat die Mittel, eine großflächige Kampagne umzusetzen, und auch die Tatsache über deren Notwendigkeit kommt nicht überraschend – warum ist dann noch nichts in Sicht?“, fragt er.

Weigeldt: Stiko-Empfehlung dringend erforderlich

Weigeldt sieht dringenden Handlungsbedarf: „Hier braucht es dringend eine klare Empfehlung der Stiko und das schnellstmöglich. Ansonsten sei zu befürchten, dass sich in der Bevölkerung Verunsicherung breit mache und dies würde nur der Impfkampagne schaden, erläutert der Verbandschef weiter.

All jenen, die sich impfen lassen wollen bzw. ein weitere Impfung ansteht, rät Weigeldt, nicht zu warten: „Wichtig bleibt dabei weiterhin zu betonen, dass auch die bereits vorhandenen Impfstoffe gegen schwere Verläufe schützen und all diejenigen, deren Impfung ansteht oder längst fällig ist, diese nicht hinauszögern sollten“, betont Weigeldt.

Zu wenig Daten – Stiko-Chef äußert Bedenken wegen Omikron-Booster

Ob und wann eine Empfehlung der Stiko für die neuen Omikron-Impfstoffe kommt, ist fraglich. Denn auch Stiko-Chef Mertens riet erst vor knapp zwei Wochen, dass gerade Menschen, die einer Risikogruppe angehören, nicht auf die angepassten Omikron-Impfstoffe warten sollten. Zu diesen kenne man leider keine klinischen Daten, sagte er im Interview mit „ BR24 “.

„Wir wissen aus Laboruntersuchungen, wie die Menschen auf diesen Impfstoff reagieren, wie viele Antikörper sie machen, aber es gibt keine Untersuchung zur tatsächlichen Schutzwirkung“, so Mertens weiter.

Stiko empfiehlt zweiten Booster für Menschen ab 60 Jahren

Erst Mitte August hatte die Stiko ihre Empfehlung für den zweiten Booster angepasst. Zuvor galt sie nur für Menschen

  • ab 70 Jahren
  • Patienten mit unterdrücktem Immunsystem
  • Pflegeheimbewohner und
  • Personal medizinischer Einrichtungen.

In der Aktualisierung empfiehlt sie nun auch, dass sich Menschen von 60 bis 69 Jahren mit einen zweiten Booster impfen lassen sowie Menschen ab fünf Jahren mit einem erhöhten Risiko für einen schweren Covid-Verlauf.

Nur 24 Prozent bei Menschen über 60 Jahren zweifach geboostert

Ob sich tatsächlich viele Menschen in den kommenden Wochen ein zweites Mal boostern lassen, ist fraglich. Denn die Impfbereitschaft der Deutschen ist nicht allzu groß. Grundimmunsiert sind zwar mittlerweile 76,3 Prozent der Bevölkerung. Aber was die Boosterung anbelangt, nimmt die Quote deutlich ab.

Bisher haben lediglich 62 Prozent der Bevölkerung sich überhaupt ein drittes Mal impfen lassen. Zweifach geboostert sind lediglich 8,7 Prozent laut aktuellen Daten des Impfdashboards des Bundesgesundheitsministeriums. In der Altersgruppe ab 60 Jahren, für die ein zweiter Booster laut Stiko empfohlen wird, sind es nur 24 Prozent.

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Zweiter Booster für Menschen unter 60 Jahren nicht sinnvoll

Ob sich jüngere Menschen, also unter 60 Jahren ein zweites Mal boostern lassen sollen, wie Lauterbach das gerne hätte, ist ohnehin fraglich. Auch unter Experten herrscht hier Uneinigkeit. Stiko-Chef Mertens widersprach jedenfalls Lauterbachs Forderung. Es gebe keine Daten, die Lauterbachs Impfratschlag rechtfertigten. Empfehlungen nach dem Motto „viel hilft viel“ seien schlecht, zitiert das „ ZDF “ Mertens.

Auch der Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Reinhold Förster, sieht das ähnlich. Es gebe dazu derzeit noch zu wenige Daten, die zeigen, ob jüngere Menschen derartig von einer vierten Impfung profitieren. Zudem müsse man auch mögliche Nebenwirkungen abwiegen, auch wenn diese bei den Corona-Impfstoffen „extrem gering“ wären, sagte der Experte jüngst beim „ZDF“. Viele Mediziner sind aus diesem Grund alles andere als überzeugt, dass Menschen außerhalb der Risikogruppe von dem zweiten Booster profitieren.

Natürliche Infektion wirkt bei Dreifach-Geimpften wie vierter Booster

Hinzu kommt noch, dass durch die Sommerwelle viele Menschen trotz Impfung und Boosterung eine Infektion durchgemacht haben. Die Aufhebung der Corona-Maßnahmen sowie die hochansteckende Omikron-Variante BA.5 haben die Infektionszahlen in den letzten Monaten in die Höhe getrieben.

Das Gute daran: Eine natürliche Infektion wirkt wie ein Booster. „Wenn man sich einige Zeit nach der dritten Impfung infiziert hat, dann steigen die Antikörper und T-Zellen wieder auf das Level an, auf dem sie nach der dritten Impfung waren“, sagt Reinhold Förster weiter beim „ZDF“. Gerade für dreifach Geimpfte stellt eine natürliche Infektion den vierten Booster dar. Eine zusätzliche Impfung wäre daher sinnlos.

Das bestätigt auch Immunologe Carsten Watzl. „Bei immun-gesunden Personen unter 60 sehe ich aktuell keine Veranlassung zu einer vierten Impfung“, zitiert ihn das „ZDF“. Diese Personen seien durch die Dreifachimpfung gut vor einer schweren Covid-Erkrankung geschützt. Durch eine Durchbruchsinfektion, die zu einer sogenannten hybriden Immunität führt, würden sie daher weiter immunisiert.

Risikogruppe kann sich auch ein drittes Mal mit neuen Impfstoffen boostern lassen

Wer zur Risikogruppe zählt und sich bereits hat ein zweites Mal boostern lassen, kann sich aber dennoch erneut mit einem der angepassten Impfstoffe boostern lassen. Allerdings nur mit einem zeitlichen Abstand.

„Dann sollte man mindestens drei Monate warten und kann sich dann den an Omikron angepassten Impfstoff geben lassen“, sagte Watzl im Interview mit der „ Augsburger Allgemeinen “ . Eine fünfte Impfung sei immunologisch kein Problem, wenn man den empfohlenen Abstand von drei Monaten einhalte, erklärte der Immunforscher weiter. „Da gibt es kein Überimpfen oder einen negativen Effekt, dass man nach einer neuen Impfung schlechter geschützt wäre als vorher, wenn man die Abstände einhält.“

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