Wie stört Hitze unsere Gesundheit, wen trifft sie am härtesten und welche Arzneimittel verhindern physiologische Abkühlungsmechanismen im Körper? Was Sie bei „Jetzt wird’s heiß“ bei der INTERPHARM 2023 in Göttingen erwartet – Apothekerin und Referentin Dr. Verena Stahl gibt einen Vorgeschmack.
Im Jahrhundert-Sommer 2003 kam es europaweit zu 50.000 bis 70.000 hitzebedingten Todesfällen. Auch 2018 war ein Rekordsommer und 2022 erlebte Europa den heißesten Sommer, der je aufgezeichnet wurde mit Temperaturrekorden und Extremwetterlagen. Mit Blick auf den Klimawandel dürfte 2022 keine Ausnahme bleiben: wenige Niederschläge, Dürren und Waldbrände werden uns wohl auch künftig begleiten – wie auch vermehrt hitzebedingte Gesundheitsschäden bis hin zum Tod.
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Auch Apotheken können Risikopatient:innen identifizieren, ihnen Tipps zu Symptomen geben und die Arzneimittel kritisch prüfen, die hitzebedingte Gesundheitsschäden verstärken oder deren Anzeichen verschleieren können. Grund für den Deutschen Apotheker Verlag, sich bei der INTERPHARM 2023 in Göttingen der Arzneimittel- und Patientenversorgung bei Hitzewellen zu widmen: „Jetzt wird’s heiß“ mit der DAZ-Leser:innen wohlvertrauten Apothekerin Dr. Verena Stahl. DAZ.online hat vorab mit ihr gesprochen. Worauf können sich Besucher:innen der diesjährigen INTERPHARM jetzt schon freuen?
DAZ: Ab welchen Temperaturen sollten wir an hitzebedingte Gesundheitsschäden denken und wessen Gesundheit trifft die Hitze am härtesten?
Stahl: Noch können wir es uns nicht vorstellen, aber es wird bestimmt auch diesen Sommer wieder die Zeit kommen, in der es richtig heiß werden wird. Das wird bekanntlich von Mensch zu Mensch unterschiedlich gut vertragen, aber was heißt erstmal „heiß“? Für die Beurteilung der Hitze ist nämlich die sogenannte gefühlte Temperatur entscheidend. Hier geht es nicht nur um die auf dem Thermometer angezeigte Lufttemperatur, sondern darum, wie man die weiteren Umstände empfindet.
Ist es beispielsweise recht schwül und weht gar kein Lüftchen, dann kommt es uns heißer und unangenehmer vor. Daher müssen Luftfeuchtigkeit und Windgeschwindigkeit, aber auch Sonneneinstrahlung immer mit einbezogen werden. Liegt dann diese gefühlte Temperatur an mindestens zwei aufeinander folgenden Tagen über 32 °C und stellt sich nachts keine ersehnte Abkühlung ein oder klettert die gefühlte Temperatur an einem Tag gar über 38 °C, können je nach gesundheitlicher Verfassung Schäden oder Beeinträchtigungen auftreten.
Übrigens spricht der Deutsche Wetterdienst eine amtliche Hitzewarnung aus, wenn das Überschreiten dieser Schwellenwerte für den aktuellen Tag und/oder den Folgetag prognostiziert wird. Daran kann und sollte man sich orientieren. Dabei werden gefühlte Temperaturen ab 32 °C als heiß und Situation starker Wärmebelastung bewertet, Ab 38 °C redet man von „sehr heiß“ und es besteht eine extreme Wärmebelastung. Hierunter leiden besonders die klassischen Risikogruppen: Senioren über 75 Jahre, die vielleicht Vorerkrankungen haben, alleinstehend oder pflegebedürftig sind, aber auch Schwangere, Säuglinge und Kleinkinder.
Neben diesen besonders vulnerablen Personen sollte man natürlich noch an Menschen denken, die körperlich hart arbeiten und zum Beispiel draußen der prallen Sonne ausgesetzt sind oder sich in stickigen Räumen aufhalten. Erwähnen möchte ich auch, dass Städter eher Gefahr laufen, einen hitzebedingten Gesundheitsschaden zu erleiden als jemand, der auf dem Land lebt. Auch wer trotz entsprechender Warnungen an heißen Tagen – womöglich in der Mittagshitze oder am Nachmittag – Sport treibt, riskiert negative Auswirkungen auf seine Gesundheit.
Bei welchen Arzneimitteln sollten Apotheker – neben Diuretika – alert sein?
Da gibt es viele, und ich möchte natürlich dem INTERPHARM-Vortrag nicht allzu sehr vorweg greifen. Aber im Grunde genommen kann alles, was unsere körpereigenen Abkühlungsmechanismen stört, problematisch sein. Ist zum Beispiel das Schwitzen beeinträchtigt, wie durch manche Antiepileptika, aber vor allem durch Anticholinergika, kann der Organismus gar nicht gut gegenregulieren und man dörrt regelrecht aus.
Oft besteht hier kein Gefahrenbewusstsein und es herrscht aufgrund der großen Vielfalt der anticholinerg wirksamen Substanzen Unklarheit, dass der Patient mitunter eine hohe anticholinerge Last mit sich herumträgt. Dann sollten Apotheker auch bei Personen aufmerksam sein, die zwar schwitzen können, aber durch die extreme Hitze, körperliche Belastung oder in Kombination mit den von Ihnen angesprochenen Diuretika viel Flüssigkeit verloren haben und zugleich ein Schmerzmittel vom Typ der NSAR wünschen oder bereits anwenden. Das machen die Nieren nicht gut mit, weshalb entsprechende Aufklärarbeit gefordert ist sowie das Aufzeigen von Alternativen und Verhaltenstipps.
Kann die Hitze auch die Pharmakokinetik von Arzneimitteln beeinflussen und so zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen führen?
In der Tat sind es nicht nur bestimmte Arzneistoffgruppen, die bei Hitzeperioden kritisch sind und unerwünschte Arzneimittelereignisse provozieren können. Man nimmt an, dass bei extremen Temperaturen und entsprechend vulnerablen Personen auch Veränderungen im pharmakokinetischen Profil scheinbar unbeteiligter Wirkstoffe resultieren können. Ich möchte das gerne an einem Beispiel illustrieren.
Hitze, vor allem anhaltende Hitze, ist eine ernstzunehmende Belastung für den Körper. Der Organismus versucht alles, um eine Überhitzung zu verhindern, kurbelt dazu Mechanismen zur Temperaturregulation hoch und schaltet dafür andere Prozesse auf Sparflamme. Dem Schongang fallen beispielsweise die Leber- und Nierenperfusion zum Opfer. Das sind aber wichtige Stellschrauben bei der Verstoffwechslung und Ausscheidung von Arzneistoffen! Bei einer hitzebedingt reduzierten Durchblutung der Leber können beispielsweise Wirkstoffe, die normalerweise einen hohen First-Pass-Effekt aufweisen, also präsystemisch effektiv metabolisiert werden, stärker bioverfügbar sein. Man hat diese spannenden Zusammenhänge übrigens am Beispiel von Propranolol, einem Wirkstoff mit hoher Extraktionsrate, unter extremen Bedingungen getestet: in pharmakokinetischen Untersuchungen in der finnischen Sauna. Schaut man sich die Verteilung von Wirkstoffen an, kann es auch hier theoretisch zu Veränderungen kommen. Die Reduktion des Verteilungsvolumens ist eine direkte Auswirkung der Dehydrierung. Es ist aber nicht klar, ob hierdurch klinische Konsequenzen zu befürchten sind.
Aber nehmen wir noch einen anderen pharmakokinetischen Prozess, den der Resorption. Wir lösen uns einmal von der klassischen Aufnahme eines Wirkstoffs aus dem Gastrointestinaltrakt und betrachten den transdermalen Applikationsweg. Hier erhöht sich bei einer hitzedingt gesteigerten Hautdurchblutung oder wenn die Haut direkter Sonneneinstrahlung ausgesetzt ist die Permeabilität, sodass Wirkstoffe aus einem transdermalen therapeutischen System schneller und umfangreicher durch die Epidermis diffundieren können. Somit nimmt die Resorptionsrate und damit der Plasmaspiegel zu. Bei Fentanyl- und Buprenorphinpflastern ist das besonders heikel und nicht gut kalkulierbar, weshalb Patienten und Pflegekräfte intensiv auf Zeichen einer möglichen Überdosierung achten sollten. Aber auch übermäßiges Schwitzen ist bei diesen Arzneiformen störend, man denke nur an die Schwierigkeit, eine trockene Hautstelle zu finden oder ein unerwünschtes, vorzeitiges Ablösen, wenn das Pflaster nicht richtig klebt.
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