Immer wieder auffrischen: Über den Sinn und Unsinn einer vierten Corona-Impfung

In Israel geht die vierte Impf-Welle um, Deutschland empfiehlt den Corona-Booster schon nach drei statt nach sechs Monaten – und dann grätscht Marco Cavaleri, Leiter der EMA-Abteilung "Biologische Gesundheitsbedrohungen und Impfstrategien" mit einer irritierenden Aussage dazwischen. "Wir sollten vorsichtig sein, das Immunsystem nicht zu überfordern mit immer neuen Impfungen", sagte er auf einer Pressekonferenz im Januar. Dabei ging es um die Zahl der möglicherweise notwendigen Auffrischungsimpfungen gegen eine Infektion mit dem Coronavirus innerhalb von drei bis vier Monaten. Ist impfen so knapp hintereinander möglicherweise ungesund?

"Die anderen Impfschemata, die wir kennen, sind in der Tat anders", bestätigt Christine Falk, Immunologin und Mitglied im Corona-Expertenrat der Bundesregierung. Dem gegenüber stehen jedoch die mRNA-Impfstoffe. "Die wurden extra für Krebs-Patienten entwickelt und werden sogar mindestens alle zwei Wochen vier- oder sechsmal verimpft", erklärt sie dem stern. Für Corona sei der mRNA-Impfstoff zunächst für zwei Immunisierungen mit einem zeitlichen Abstand von acht bis zwölf Wochen entwickelt worden. Dass die Politik nun auf die dritte Impfung setzt, habe vor allem mit Pragmatismus zu tun. Daten aus Israel haben bereits gezeigt, dass der Immunschutz so noch erhöht werden könne.

Corona-Pandemie


Intelligente Abwehr: Wie unser Immunsystem dank der Booster-Impfung auch neue Varianten erkennen kann

Immunologisch gesehen sei es jedoch sinnvoller, die Auffrischung erst nach sechs statt nach drei Monaten zu verabreichen. Bei der sogenannten Affinitätsreifung werden die Antikörper angepasst. "Das ist ein Prozess und der braucht Zeit", sagt Falk.

Die Befürchtung von EMA-Chef Cavaleri ist damit durchaus berechtigt. "Geimpfte zeigen eine sehr gute Immunantwort und das sollte man nicht abschwächen, indem man zu früh nachimpft." Der häufige Kontakt mit Antigenen könnte zu einer sogenannten T-Zellen-Anergie führen, vermutet etwa Sarah Fortune, Professorin an der Harvard TH Chan School of Public Health. Um das zu verstehen, lohnt ein genauer Blick darauf, wie die Impfung im Körper wirkt.

Die zwei Abwehrfronten des Immunsystems

Die Impfung mit einem mRNA oder Vektorimpfstoff in den Arm führt dazu, dass Antikörper im Blut und in den Lymphknoten gebildet werden, erklärt Falk. Dort wird das "Team Spike" hergestellt, jene Antikörper und T-Zellen, die das Protein, mit dem das Virus in den menschlichen Zellen andockt, erkennen. "Wenn man die zu oft aktiviert, können sie tatsächlich abgeschaltet werden", sagt Falk. In der Immunologie wird dieser Vorgang als Anergie bezeichnet. Allerdings sei diese Reaktion sehr individuell. Wer wie lange Antikörper gegen das Virus bildet, hängt unter anderem vom Alter ab.

Aktuelle RKI-Daten zeigen, dass die Zahl derjenigen, die sich trotz Booster mit dem Coronavirus infiziert haben, zuletzt angestiegen ist. Das habe allerdings nichts mit der Impfung zu tun. Hier müsse man unterscheiden zwischen der Immunantwort im Blut und der Schleimhautimmunität, im Fachjargon mukosale Immunität genannt. "Die besteht hauptsächlich aus Antikörpern, die sich im Hals-Rachen-Raum anreichern", erklärt Falk. Also genau dort, wo sich das Virus zuerst absetzt. Die B-Zellen sind dafür zuständig, eine Infektion zu verhindern. Ihr Schutz ist allerdings kurzlebiger als der der T-Zellen. "Und er ist auch bei jeder Person unterschiedlich stark ausgeprägt." Laut Falk könne der Immunschutz im Hals-Rachen-Raum durch eine zeitnahe Auffrischungsimpfung erhöht werden. Daher stamme auch die Idee, den Abstand zwischen zweiter und dritter Impfung zu verkürzen.

"Immun-Update" für Geimpfte


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Dass nun vermehrt Geboosterte an Corona erkranken, habe jedoch eher mit der neuen Virusvariante Omikron als mit zu frühem Impfen zu tun. Dieses habe sich so verändert, dass die erste Abwehrfront im Nasen-Rachen-Raum das Virus nicht mehr so gut erkennt. Anders verhält es sich dagegen mit den Abwehmechanismen im Blut: "Die Abwehrfront dahinter kann schwere Krankheitsverläufe immer noch sehr gut verhindern", sagt Falk. Deshalb müsse man sich die Frage stellen, was man mit der Impfung erreichen wolle.

Bisher sei der Anspruch an den Impfstoff gewesen, schwere Erkrankungen zu verhindern. Das ist geglückt, wie unter anderem die Daten des RKI zeigen. Das Institut vermeldete zuletzt 979 Ungeimpfte im Alter von 18 bis 59 Jahren, die wegen einer Corona-Infektion im Krankenhaus gelandet waren. Unter den Geboosterten waren es 338 hospitalisierte Personen. Laut RKI-Berechnungen schützt die Impfauffrischung zu 88 Prozent vor einer Hospitalisierung, eine Grundimmunisierung dagegen zu 66 Prozent.

Impfung schützt zuverlässig vor schwerem Krankheitsverlauf

Dass der Antikörper-Spiegel einige Wochen nach der dritten Impfung wieder sinkt, ist laut Falk allerdings kein Indiz für einer verringerte Immunität. "Das ist nur logisch, weil das Immunsystem ökonomisch arbeitet", sagt die Immunologin. Werden die Antikörper nicht gebraucht, werden sie zurückgefahren – was jedoch nicht bedeutet, dass das Immungedächtnis schwindet. Bei drei Impfungen oder der Grundimmunisierung und einer zusätzlichen Corona-Infektion könne sich der Immunschutz über ein Jahr halten.

"Deswegen würden wir bei der Deutschen Gesellschaft für Immunologie keine vierte Impfung für gesunde Menschen unter 70 Jahren empfehlen." Wie Daten aus Israel zeigen, wird der Immunschutz durch eine zweite Auffrischung nicht nennswert verbessert. Mit Blick auf Omikron sei ohnehin klar, dass sich auch Viertgeimpfte mit dem Virus infizieren, weil die Variante "diese erste Abwehrfront durchschlüpft". Insofern biete eine dritte Impfung gegenwärtig den besten Schutz – zumindest vor einem schweren Verlauf.

"Besteht das Ziel aber darin, permanent die Infektionen zu drücken, muss man sich überlegen, wie man den mukosalen Immunschutz verstärken kann", sagt Falk.

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