Es könnte der erste Sommer in Rheinland-Pfalz seit Jahren werden, in dem Corona kaum eine Rolle spielt: Keine Masken müssen mehr getragen werden, es gibt keine Einschränkungen. Post Covid-Betroffene erleben zum Teil eine andere Realität.
Sie sind zwei von zigtausenden Betroffenen in Deutschland, die nach einer Corona-Infektion immer noch unter den Spätfolgen leiden: Christina Pleitz (46) aus Traisen im Landkreis Bad Kreuznach und Sandra Greco (47) aus Köln. „Für mich ist nichts wieder normal“, sagt Sandra Greco. Menschenmassen meidet sie weiterhin, auf einen Urlaub verzichtet sie. Und Christina Pleitz streckt konsequent zur Begrüßung weiter ihren Ellenbogen entgegen, egal wie komisch sie angeschaut wird. Viele Menschen auf einem Haufen sind auch ihr unheimlich.
Nach ihren Covid-Erkrankungen 2021 waren beide Anfang 2022 zur Rehabilitation, Greco in der Hufeland-Klinik in Bad Ems im Rhein-Lahn-Kreis, Pleitz in der Drei-Burgen-Klinik in Bad Kreuznach. Eine der Diagnosen der beiden Frauen: Post Covid.
Nach ihrer Reha versucht Sandra Greco zunächst, wieder arbeiten zu gehen. Doch sechs Wochen später war sie erneut krank zuhause. „Mein Immunsystem ist derart geschwächt, dass ich mir jegliche Krankheiten einfange“, erzählt sie. Hinzu kam noch eine weitere Corona-Infektion im März dieses Jahres mit hohem Fieber.
Christina Pleitz geht mittlerweile wieder Vollzeit arbeiten und bildet Menschen für Pflegeberufe aus. Auch sie erkrankte im Oktober 2022 noch einmal an Corona. „Erstaunlicherweise geht es mir seither wirklich besser“, sagt sie.
80.000 Betroffene allein in Rheinland-Pfalz
In Rheinland-Pfalz haben nach Erkenntnissen des Gesundheitsministeriums rund 80.000 Menschen Long- oder Post-Covid-Symptome. Etwa 1500 bis 2000 Personen leiden demnach am Chronischen Fatigue-Syndrom (CFS), wie auch Christina Pleitz es Monate nach ihrer ersten Infektion tat. „Man ist einfach nur froh, einigermaßen den Alltag zu schaffen“, schildert sie. „Alles Außergewöhnliche erfordert große Planung und große Willensanstrengung.“
Unnormale Müdigkeit, Fatigue genannt, sei eines der Kernsymptome von Post- und Long Covid, sagt Matthias Rudolph, Ärztlicher Direktor der Mittelrhein-Klinik in Bad Salzig im Rhein-Hunsrück-Kreis. Die große Erschöpfung gehe in der Regel mit Kopf-, Hals- und Muskelschmerzen, geschwollenen Lymphknoten sowie Gedächtnis- und Konzentrationsproblemen einher.
Rudolph war nach eigenen Angaben einer der ersten, der 2021 zur psychosomatischen Rehabilitation von Long- und Post-Covid-Betroffenen für die Mittelrhein-Klinik ein spezielles Programm entwickelte. „Dabei heißt psychosomatisch nicht, dass man sich die Krankheit einbildet oder dass sie rein psychisch bedingt ist“, erklärt der Arzt. Vielmehr gehe es um die Wechselwirkungen zwischen Leib und Seele. „Und genau das ist Post Covid.“
Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte in Rheinland-Pfalz diagnostizierten nach Angaben der Kassenärztliche Vereinigung (KV) im vergangenen Jahr bei 62 622 gesetzlich Versicherten einen sogenannten Post-Covid-19-Zustand nach einer überstandenen Infektion. Und die Deutsche Rentenversicherung in Rheinland-Pfalz genehmigte im vergangenen Jahr 796 Rehabilitationen wegen Post Covid, mehr als doppelt so viele wie 2021.
Zwei Kategorien von Post-Covid-Betroffenen
Sandra Greco war seit gut einem halben Jahr nicht mehr arbeiten. Sie bekommt nicht genug Luft, kann sich nicht konzentrieren, hat Depressionen. Derzeit wartet die 47-Jährige darauf, erneut eine Rehabilitation bewilligt zu bekommen. Einmal in der Woche geht sie zum Reha-Sport.
Christina Pleitz besucht regelmäßig ein Fitness-Studio oder genießt lange Spaziergänge rund um den Rotenfels in der Nähe ihres Wohnortes. Geblieben sind ihr Gedächtnisstörungen, auch eines der typischen Long- und Post Covid-Symptome. „Ich hatte vorher ein supergutes Gedächtnis“, sagt die 46-Jährige. „Jetzt ist es so, dass ich weiß, mir liegt diese Information vor, aber ich kann nicht darauf zugreifen.“
„Wir verstehen immer noch nicht, warum die Reaktionen auf eine Infektion so unterschiedlich ausfallen“, sagt Mediziner Rudolph. Das sei Gegenstand intensiver Forschung auf allen Ebenen.
Der Experte teilt Post-Covid-Betroffene in zwei Kategorien ein:
- Diejenigen, die nie eine Infektion hatten, aber dennoch an Pandemiefolgestörungen litten, verursacht durch einen hohen Stresslevel aufgrund der Dauerbelastung.
- Und diejenigen, die eine Infektion durchgemacht haben und an einer verlängerten Infektion leiden. „Das ist eine Art Autoimmunerkrankung, von der mehr Frauen als Männer betroffen sind.“
Acht Selbsthilfegruppen gibt es nach Angaben von Angela Lohoff in Rheinland-Pfalz zu der Erkrankung, vier davon betreut sie selbst mit, eine weitere alleine. Die 65-Jährige ist nicht nur von Post Covid betroffen, sie ist so etwas wie eine Sprecherin der Selbsthilfegruppen in Rheinland-Pfalz geworden. Anlaufstellen gebe es viel zu wenige und bislang nur eine einzige Ambulanz für Long Covid in Koblenz. „Das ist ein Drama“, findet Lohoff. „Aber es ist momentan unser Rettungsanker.“
Kassenärzte sehen Behandlungsbedarf
Jetzt will das Land reagieren und bis zum Sommer in Kaiserslautern, Ludwigshafen, Mainz, Koblenz und Trier Anlaufstellen für Betroffene von Long und Post Covid mit insgesamt 250 000 Euro fördern. Ein fächerübergreifender runder Tisch hat die Arbeit aufgenommen. Für die geplanten interdisziplinären Anlaufstellen oder Ankerzentren sollen Hausärztinnen und Hausärzte als Lotsen fungieren.
Auch die Kassenärztliche Vereinigung sieht einen Behandlungsbedarf von Post-Covid-Patientinnen und -Patienten in Rheinland-Pfalz gegeben. Nächster Schritt sei es nun, mit den Krankenkassen die Chancen und Möglichkeiten einer strukturierten Versorgung sowie die Finanzierung der ärztlichen Leistungen zu erörtern, teilte die KV mit.
Und die beiden Betroffenen? Sandra Greco will einfach nur in einen normalen Alltag zurückfinden. Spazieren, im Garten arbeiten, sich mit Freunden treffen. „Vor allem aber möchte ich wieder arbeiten gehen.“ Und Christina Pleitz will weiterhin jeden Tag bewusst genießen und ihre Fitness verbessern. Die ersten Schritte hat sie bereits unternommen: Für Schlechtwetter-Perioden, in denen sie es nicht zum Rotenfels schafft, steht ein Laufband im Keller bereit.
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