Am Morgen nach dem Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine poppt auf meinem Smartphone eine Nachricht meiner Mutter auf, in der sie schreibt, dass durch Putins Angriff alles andere belanglos erscheine und der Dritte Weltkrieg anklopfe. Laut einer Forsaumfrage im Auftrag von RTL und ntv eine Befürchtung, die Millionen Menschen in Deutschland teilen. Rund zwei Drittel der Deutschen haben Angst vor einem Dritten Weltkrieg. Wut, Ohnmacht und Angst sind bei vielen Menschen die beherrschenden Gefühle, wenn Nachrichten zum Krieg in der Ukraine aus dem Radio tönen, als Push-Meldung auf dem Smartphone landen oder die Social-Media-Feeds füllen. Wie können wir mit den vielen schlechten Nachrichten umgehen, uns nicht in einem Sog von negativen Gefühlen verlieren und wie gehen wir mit der Angst vor einem Dritten Weltkrieg um?
Die Psychotherapeutin Franca Cerutti hat die momentane Gefühlslage auf ihrem Instagram-Kanal zusammengefasst und gibt ihrer Community Tipps, wie sie sich in dieser Situation gesund verhalten können. Im stern-Gespräch erklärt die Psychotherapeutin, wie wir mit all den schlechten Nachrichten und der Angst umgehen können. Ihre Tipps:
Gespür für Nachrichtenkonsum entwickeln
Durch die zunehmende Digitalisierung sei die Flut an schlechten Nachrichten nicht erst durch den jetzigen Krieg aus psychotherapeutischer Sicht ein Problem, sagt Franca Cerutti. "Wir sind von der Klimakrise, über die Pandemie, mitten in ein Kriegsgeschehen gerutscht. Das ist aus meiner Sicht derart belastend, dass wir unseren Medienkonsum radikal dezimieren müssen, um da gesund herauszukommen." Die Psychotherapeutin rät: Jeder und jede müsse für sich ein gutes Mediengespür entwickeln und den Medienkonsum an die individuellen Bedürfnisse anpassen. Das gelinge mit der Beantwortung der Frage: "Wie viele Nachrichten vertrage ich überhaupt?"
Kanäle dezimieren
Wer sich beim Öffnen von Instagram, Twitter, Tik Tok, Facebook oder Nachrichtenseiten derzeit erschlagen fühle, sollte die Kanäle dezimieren und sich auf wenige seriöse Anbieter beschränken. Nutzerinnen und Nutzer sollten das sogenannte "Doomscrolling", wenn der Großteil der Mediennutzung dafür draufgeht, negative Nachrichten zu konsumieren, vermeiden, rät die Psychotherapeutin. "Wir sitzen hier dem Irrtum auf, die Situation besser kontrollieren zu können, wenn wir mehr Informationen hätten – das ist bei Nachrichten zum Ukraine-Krieg natürlich nicht der Fall." Doch der Klick von einem oberflächlichen Bild oder Statement zum nächsten treffe uns emotional. "Wir müssen uns bewusst machen, dass alle Bilder und Videos, die wir vom Krieg sehen, eine Wirkung entfalten. Wir reagieren auf diese Bilder, ob wir wollen oder nicht. Und im Moment lösen sie vor allem Angst und Stress aus." Durch die vielen Bilder vom Krieg, die wir uns in die Köpfe holen, reagiere unser ganzer Organismus so, als seien wir mittendrin in der Katastrophe, erklärt Franca Cerutti. "Wir fühlen und leiden mit. Das motiviert uns, etwas zu tun. Doch müssen Menschen aufpassen, wenn sie sich durch die Nachrichten nicht mehr motiviert fühlen, sondern in eine negative Spirale aus Hilflosigkeit, Depression und Ohnmacht geraten. Spätestens dann sollten sie dringend den Medienkonsum ändern."
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Zeiten einrichten
"Es kann helfen, wenn wir Nachrichten nur zu bestimmten Zeiten konsumieren und selbst bestimmen, was wir uns wann angucken und was nicht. Für manche Menschen kann es hilfreich sein, wenn sie Push-Mitteilungen ausstellen." Es sei wichtig, die Medienzeiten einzuschränken und bewusst Zeiten ohne Handy, Medien oder Nachrichten einzurichten – zum Beispiel direkt nach dem Aufstehen oder bevor man ins Bett geht.
Informiert sein, aber nicht belastet
Für einige ihrer Patientinnen und Patienten sei es eine gute Methode, wenn sie in dieser Krisenzeit Kindernachrichten konsumieren, berichtet die Psychotherapeutin. "Wer sich durch Kindernachrichten informiert, bekommt das Wesentliche noch mit, aber ohne allzu verstörende Bilder zu sehen."
Auszeiten nicht vergessen
Viele Menschen fühlen sich derzeit schlecht, wenn sie sich mit Freund*innen treffen, Musik hören oder lachen, weil sie sich fragen, ob sie Spaß haben dürfen, während andere Menschen vielleicht gerade um ihr Leben kämpfen, vor dem Krieg fliehen oder gar jemanden verloren haben. "Ich finde es einerseits schön, dass Menschen dazu in der Lage sind, so viel Mitgefühl aufzubringen, doch sich jetzt etwas aus Pietätsgründen zu verbieten, was einem in Wirklichkeit am besten täte und vielleicht zur Stabilisierung beitragen würde, damit ist ja niemandem geholfen." Es sei wichtig, an die eigene Selbstfürsorge zu denken.
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Kinder nicht verängstigen
"Ich bin noch mit Eindrücken des Kalten Krieges großgeworden und kann mich erinnern, wie bedrückend das ist, wenn man im Grunde als Kind schon so eine subtile Ahnung davon bekommt, dass das alles hier auf dünnem Eis steht und dass sie vielleicht gar keine Zukunft haben und diese Art Dystopie würde ich tatsächlich aus Kinderköpfen möglichst fernhalten, denn da profitiert ja niemand von, wenn auch die nächste Generation schon so verängstigt ist", meint Franca Cerutti. Besser: Eltern sollten mit Kindern altersgerechte Sendungen konsumieren und über den Konflikt sprechen, wenn die Kinder das möchten.
Mit der Angst vor einem Weltkrieg umgehen
Konkrete Handlungsempfehlungen für eine Weltkriegsangst habe sie nicht, aber eine Strategie, um mit Ängsten umzugehen, sagt die Psychotherapeutin. Sie empfiehlt die Fünf-Finger-Regel. Man stellt sich die Frage: "Kann ich das jetzt lösen?" Dabei lässt es sich Wort für Wort an einer Hand abzählen, also ein Wort pro Finger.
Franca Cerutti erklärt: "Das Sortieren im Kopf hilft einerseits dabei, sich nicht von der Angst aufsaugen zu lassen und andererseits kommt es manchmal zu guten Ideen, was ich doch tun kann. Das ist super, weil wir uns weniger ohnmächtig und hilflos fühlen."
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