Entlassrezepte entwickeln sich für Apotheken zunehmend zum Retax-Risiko. Dem DAV reicht es jetzt: Er hat eine Änderungsvereinbarung zum Umgang mit Entlassverordnungen mit dem GKV-Spitzenverband abgelehnt, denn diese hätte für die Apotheken weitere bürokratische Hürden mit sich gebracht. Seit 1. Juli passen in der Folge nun jedoch die Vorschriften für ausstellende Klinikärztinnen und -ärzte nicht mehr zu denen für die beliefernden Apotheken – es gilt also, besondere Vorsicht walten zu lassen.
Etwa 2,2 Millionen Entlassrezepte erreichten laut Deutschem Apothekerverband (DAV) im Jahr 2022 die Apotheken – viele von ihnen fehlerhaft ausgestellt. Auch wenn das Volumen im Vergleich zu den rund 450 Millionen GKV-Rezepten, die Apotheken hierzulande insgesamt jährlich bearbeiten, gering ist, dürfte der dadurch entstehende Arbeitsaufwand enorm sein. Denn zum einen haben Apotheken bei Entlassrezepten nur wenige Heilungsmöglichkeiten, zum anderen sind die Verordner für eine Rücksprache oft nicht erreichbar. Zudem ist die betroffene Patientengruppe besonders vulnerabel: Frisch aus dem Krankenhaus entlassen, benötigen die Versicherten ihre Arzneimittel meist sofort. Je nach gesundheitlichem Zustand ist es ihnen überdies oft nicht zuzumuten, den Weg zurück in die Klinik oder in ihre Hausarztpraxis auf sich zu nehmen.
Mehr zum Thema
Vorschriften zu kompliziert
DAV fordert Retax-Verzicht bei fehlerhaften Entlassrezepten
DAZ-Fresh-Up – Was Apotheker wissen müssen
Entlassrezepte – was bei den Krankenhausverordnungen wichtig ist
Den Apotheken kommt beim Entlassmanagement also eine besondere Verantwortung zu, gleichzeitig verfügen sie über wenig Handlungsspielraum. Das führt zu Problemen, wenn das Entlassrezept einen formalen Fehler aufweist – und wegen der komplizierten Vorschriften kommen solche Fälle leider recht häufig vor, wie mehrere Apothekerverbände gegenüber der DAZ bestätigen. Retaxationen sind die Folge, zum Beispiel, weil die Krankenhausärztin oder der Krankenhausarzt ein Muster-16-Formular ohne Entlassrezept-Balken verwendet oder weil aufgrund eines Lieferengpasses und der zeitaufwendigen Bemühungen um ein passendes Ausweichpräparat die Belieferungsfrist von drei Tagen überschritten ist. Beides ist vonseiten der Apotheke nicht heilbar.
Entlassmanagement verfehlt das Ziel
Das Ziel des Entlassmanagements – nämlich eine schnelle und unkomplizierte Versorgung der Menschen, die soeben aus dem Krankenhaus entlassen wurden – werde somit verfehlt, bemängeln Verbände. Doch statt die Belieferung von Entlassrezepten zu erleichtern, wollte der GKV-Spitzenverband mit der 10. Änderungsvereinbarung zur Anlage 8 zum Rahmenvertrag die Vorgaben sogar noch ausweiten: Unter anderem war vorgesehen, künftig zwischen Entlassrezepten aus Krankenhäusern und Reha-Einrichtungen zu unterscheiden. Mit Krankenhäusern und Kassenärzten hat der GKV-Spitzenverband allerdings offenbar entsprechende Neuerungen vereinbart.
Die vonseiten der Apothekerschaft abgelehnte Änderung, die der DAZ vorliegt, enthält folgende Regelungen: Während Reha-Einrichtungen weiterhin die Betriebsstättennummer, beginnend mit den Ziffern 75, verwenden sollen, müssen Krankenhäuser demnach ab 1. Januar 2024 verpflichtend ein Standortkennzeichen, beginnend mit den Ziffern 77, aufdrucken. Überdies haben Klinikärztinnen und -ärzte zwingend die Lebenslange Arztnummer (LANR) anzugeben, während Ärztinnen und Ärzte in Reha-Einrichtungen weiterhin die Pseudo-Arztnummer 4444444 plus zweistelligen Fachgruppencode nutzen dürfen. Für die Zeit zwischen Juli 2023 und Jahreswechsel ist eine Übergangszeit vorgesehen, in der für Krankenhäuser sowohl Betriebsstättennummer als auch Standortkennzeichen zulässig sind.
DAV lehnt Änderungen ab
Für Apotheken ist jedoch oftmals nicht erkennbar, ob der oder die Verordnende einem Krankenhaus oder einer Reha-Einrichtung zuzuordnen ist. Mit Blick auf das zu erwartende Chaos beim Beliefern von Entlassrezepten zogen die Apothekerverbände die Notbremse: Sie verweigerten nach DAZ-Information bereits im April bei einer DAV-Mitgliederversammlung die Zustimmung – geschlossen, wie es heißt. Denn das resultierende Retax-Risiko sei den Apotheken schlichtweg nicht mehr zuzumuten. Auch in den darauffolgenden Gesprächen hat man dem Vernehmen nach keine Einigung mit dem GKV-Spitzenverband erzielen können. In einer am vergangenen Dienstag veröffentlichten Pressemitteilung fordert der DAV stattdessen die Kassen auf, generell auf Retaxationen bei Entlassrezepten zu verzichten. Denn momentan „müssen wir den Apotheken empfehlen, die Entlassrezepte bei unheilbaren Formfehlern als Privatrezepte mit ihren Patientinnen und Patienten abzurechnen“, sagt DAV-Chef Hans-Peter Hubmann.
Zu betonen ist, dass diese Möglichkeit nur dann besteht, wenn ein Entlassrezept tatsächlich unheilbar fehlerhaft ist und keine neue Verordnung beschaffbar ist. Das gilt etwa, wenn das Rezept einen formalen Mangel aufweist, den die Apotheke nicht eigenständig beheben darf, oder wenn die Apotheke das Problem nur nach Rücksprache mit der verordnenden Person lösen kann und diese Person nicht erreichbar ist. Das sei die aktuelle Rechtsauffassung des DAV, informiert ein Verband. Bei ordnungsgemäß ausgestellten Entlassrezepten greife das Sachleistungsprinzip, bei heilbaren Mängeln seien die Art der Verordnung, die Art des formalen Mangels und der Aufwand zur Behebung gegeneinander abzuwägen.
Die Folgen für die Apotheken: nicht überschaubar
In Kraft treten sollte die Änderungsvereinbarung bereits zum 1. Juli 2023 – was hat das Nein des DAV nun für Folgen für die Apotheken? Das ist noch nicht abzusehen, wie es vonseiten eines Verbands heißt: Die Vorgaben für Apotheken zum Umgang mit Entlassrezepten sind in Anlage 8 zum Rahmenvertrag mit dem GKV-Spitzenverband geregelt. Da diese Anlage nicht separat kündbar ist, gelten weiterhin die bekannten Vorschriften. Allerdings ist Anfang Juli eine Änderung des sogenannten Rahmenvertrags Entlassmanagement zwischen GKV-Spitzenverband, Deutscher Krankenhausgesellschaft (DKG) und Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) wirksam geworden, die unter anderem die oben genannten Punkte enthält – nun passen Teile der Vereinbarung aufseiten der Ärzte, Krankenhäuser und Kassen nicht mehr zu jener zwischen GKV-Spitzenverband und DAV. Mit der Ablehnung hat der DAV das Risiko für die Apotheken also keineswegs gebannt.
Im Klartext: Für Ärztinnen und Ärzte in Krankenhäusern und Reha-Einrichtungen gelten beim Ausstellen von Entlassrezepten andere Vorgaben als für die beliefernden Apotheken. Vereinzelt sollen bereits Entlassrezepte im Umlauf sein, auf denen statt der Betriebsstättennummer (75) das Standortkennzeichen (77) aufgedruckt ist – aus Apothekensicht könnte es sich dabei um einen nicht heilbaren formalen Fehler handeln, der aus Kliniksicht keiner ist. Wie die Krankenkassen damit umgehen werden, bleibt abzuwarten. Vor diesem Hintergrund erschließt sich auch, weshalb der DAV die Apotheken jetzt auf die Möglichkeit hinweist, Entlassrezepte unter bestimmten Umständen als Privatrezepte behandeln zu können.
Quelle: Den ganzen Artikel lesen