Corona-Krise wirft ein neues Licht auf die Geschlechterrollen
Die Coronavirus-Pandemie und die Maßnahmen zur Eindämmung der Infektionen mit dem neuen Coronavirus SARS-CoV-2 betreffen alle Menschen, doch Männer und Frauen oftmals in sehr unterschiedlichem Umfang. Vielfach erfolgt dabei ein Rückfall in alte Geschlechterrollen und während Mann im Homeoffice arbeitet, muss Frau nebenher einen Großteil der Kinderbetreuung übernehmen und den Haushalt im Alleingang meistern. Anderseits bringt die Corona-Krise jedoch auch Chancen für die Gleichstellung mit sich, so die Kernaussage in einem aktuelle Beitrag des Fachmagazin „BMJ“.
Für Frauen ist die Corona-Krise vielfach mit besonders hohen Belastungen verbunden und es droht ein Rückfall in alte Geschlechterrollen, der noch lange anhalten könnte. Allerdings wird im Zuge der Krise auch den Männern – und insbesondere männlichen Vorgesetzten – anschaulich vor Augen geführt, wie schwer es ist, Beruf, Kinderbetreuung und Haushalt unter einen Hut zu bekommen. Dies könnte für ein deutlich besseres Verständnis der Herausforderungen sorgen, mit denen sich viele Frauen auch schon der Krise konfrontiert sahen, berichten Clare Wenham von der London School of Economics, Julia Smith von der Simon Fraser University in British Columbia (Kanada) und Rosemary Morgan von der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health in Baltimore (USA) in einem Beitrag des „BMJ“.
Geschlechtsspezifische Auswirkung von COVID-19
Die Forscherinnen befassten sich mit den geschlechtsspezifischen Auswirkungen von COVID-19 und zeigen auf, wieso Frauen in besonderem Maße betroffen sind. Beispielsweise sei ein Großteil des Gesundheitspersonals weltweit weiblich und die Beschäftigten im Gesundheitswesen unterliegen einem deutlich erhöhten Infektionsrisiko, berichten die Forscherinnen. Hinzu kommen die psychischen Belastungen in diesem Berufsfeld.
Frauen unverhältnismäßig stark belastet
Neben den Belastungen durch die Betreuung der Infizierten lasten laut Aussage der Expertinnen jedoch auch die Einschränkungen des Alltagslebens (Schließung von Schulen, Änderungen des Arbeitsrhythmus) unverhältnismäßig stark auf Frauen. Hinzu komme, dass seit Einführung der Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung auch ein deutlicher Anstieg der Anrufe bei Hotlines für häusliche Gewalt festzustellen ist, berichten die Forscherinnen. Für viele Frauen ist die Corona-Krise auch eine extreme persönliche Krisensituation, in der zusätzliche Unterstützung dringend geboten wäre.
Einblicke in die Lebensrealität
„Wir sehen jedoch einen Hoffnungsschimmer: die Anerkennung – vor allem durch die Arbeitgeber – der informellen Pflegelast, die im häuslichen Bereich entsteht und die unverhältnismäßig, wenn auch nicht ausschließlich, auf Frauen entfällt“, schreiben Wenham, Smith und Morgan. Durch die Arbeit im Homeoffice werde auch für den Chef die häusliche Routine sichtbar. „Ob es sich dabei um das ungemachte Bett im Hintergrund, die schmutzigen Tassen auf der Anrichte oder ein Kind handelt, das den Anruf unterbricht – die Lebensrealität der Menschen wurde offengelegt“, betonen die Forscherinnen.
Bessere Möglichkeiten für flexibles Arbeiten
So seien Kleinkinder im Hintergrund einer Besprechung durchaus normal und sie können sogar die Atmosphäre etwas auflockern, doch gleichzeitig werde der Stress deutlich, den der Versuch mit sich bringt, Arbeit und Familie unter einen Hut zu bringen. „Da die Chefs in der Lage sind, in das Doppelleben der Menschen hineinzusehen, hoffen wir, dass sich dadurch die Möglichkeiten für flexibles Arbeiten verbessern“, so die Expertinnen.
Weiterhin hoffen die Forscherinnen auch „auf eine größere Anerkennung der Bedeutung einer sicheren Kinderbetreuung – einem Sektor, der fast ausschließlich von Frauen besetzt ist und häufig unterbewertet wird – sowohl für die Familien als auch für unsere Wirtschaft.“
Balanceakt zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit
Die Anerkennung des schwierigen Balanceakts zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit, und die Würdigung derer, die im Haushalt die wesentlichen Aufgaben verrichten, wäre ein erster Schritt, doch sollten daraus auch Konsequenzen folgen. Dass Frauen diese Last unverhältnismäßig stark auf sich nehmen, müsse zum Beispiel in den Volkswirtschaften auch formell anerkannt werden, betonen die Wissenschaftlerinnen.
Geteilte elterliche und häusliche Pflichten
Zudem ist es nicht mehr zeitgemäß, davon auszugehen, dass Frauen für Männer die häuslichen Aufgaben übernehmen, sondern geteilte elterliche und häusliche Pflichten werden das Modell der Zukunft sein. Diesem muss auch mit flexibleren Arbeitsmodellen Rechnung getragen. In der Praxis werden derzeit bereits erste Weg geebnet, indem beispielsweise den vielfältigen konkurrierenden Aufgaben – bezahlt und unbezahlt – Platz eingeräumt wird. Dies umfasse auch geringere Erwartungen an die Arbeit und flexible Arbeitszeiten, berichten die Forscherinnen.
Krisen können auch Chancen bergen
Es gibt keinen Grund dafür, dass diese Maßnahmen nach der Corona-Krise enden müssen und eine Krise kann auch als Chance für Veränderungen genutzt werden, so die Wissenschaftlerinnen weiter. Beispielsweise sei der Erste Weltkrieg ein Wendepunkt für die Emanzipation der Frauen gewesen, da viele neue Arbeitskräfte eingestellt und Fraueninstitute gegründet wurden, die zum Frauenwahlrecht führten. „Wir hoffen, dass COVID-19 eine weitere solche Gelegenheit für eine Gleichstellung der Geschlechter am Arbeitsplatz sein kann“, resümieren Clare Wenham, Julia Smith und Rosemary Morgan. (fp)
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