Corona und Energiekrise spitzt deutsches Klinik-Chaos weiter zu

Die Kliniken in Deutschland stehen vor einem harten Winter. Corona-Patienten, Personalausfall und steigende Energiekosten treffen auf ein System, das längst reformiert gehört. Was Lauterbach jetzt plant.

„Sauerei“ und „Katastrophe“ – die Bürger im oberbayerischen Haag sind entrüstet. Die Klinik vor Ort musste schließen und zwar für insgesamt drei Monate. Der Grund ist Personalmangel, nicht nur bei den Pflegekräften, auch Ärzte fehlen. Ist Haag ein Vorbote für das, was vielen Kliniken in diesem Winter bevorsteht?

Tatsächlich ächzen Krankenhäuser unter einer enormen Mehrfach-Belastung: Steigende Energiekosten und stetig mehr Corona-Patienten kommen zu den bereits länger schwelenden Problemen wie Pflegepersonalmangel und einem auf Ökonomie getrimmten System hinzu.

Wie ist die aktuelle Lage und wie will die Politik die Kliniken entlasten?

Lage in den Kliniken: Immer mehr Patienten mit Corona – über 90 Prozent auf der Normalstation

Der Klinik-Check zeigt: Seit 16. September steigt die Zahl der Krankenhaus-Patienten mit Corona-Infektion kontinuierlich an. Innerhalb eines Monats hat sie sich mehr als verdreifacht. Tendenz noch immer steigend.

 

In der Auflistung der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) werden sämtliche Patienten erfasst, die positiv getestet wurden, selbst wenn Corona nicht der Grund für den Klinikaufenthalt ist. Aber: „Tatsächlich nehmen wir derzeit sehr viele Patienten auf, die ohne Covid-Infektion nicht ins Krankenhaus müssten“, erklärt Cihan Çelik, Leiter der Corona-Station am Klinikum Darmstadt. „Vor circa drei Wochen hatten wir noch 21 Covid-Patienten im Haus. Heute sind es 119. Bei mehr als der Hälfte dieser Aufnahmen ist Covid ein mitverursachender Faktor, der diese Patienten krankenhauspflichtig gemacht hat.“

Die gute Nachricht ist, dass weniger schwere Verläufe behandelt werden müssen und damit weniger Intensivpatienten. „Die Welle spielt sich zum Großteil auf der Normalstation ab, da auch ältere Patienten mit Impfung gut vor schweren Verläufen geschützt sind“, sagt Çelik. „90 Prozent der Fälle sind auf der Normalstation.“

Der Personalmangel verschärft die Lage auch hier. „Wir rechnen damit, dass sich ein Viertel bis ein Drittel im Laufe des Herbst/Winters infizieren wird“, sagt der Arzt. Ähnliches berichtet Peter Galle, Leiter der Corona-Station am Universitätsklinikum Mainz: „Aktuell beträgt der mittlere Krankenstand bei uns rund 17 Prozent.“ In einer Infektionswelle könnten es möglicherweise 25 Prozent werden. Und der Zustand dauert an. „Wir gehen davon aus, dass unsere Personallage vermutlich noch bis April angespannt bleibt.“

Hinzu kommen Milliarden-Energiekosten

Hinzu kommen die steigenden Preise für Strom und Gas. Denn im Gegensatz zu Unternehmen in der freien Wirtschaft können die Kliniken steigende Kosten nicht einfach durch Preiserhöhungen an die Patienten weitergeben. Für die Finanzierung von Gesundheitsleistungen sind die Krankenkassen zuständig. Die Vergütung medizinischer Leistungen ist durch die vielfach kritisierten Fallpauschalen festgelegt.

Die DKG schlägt Alarm. Durch hohe Inflation und steigende Energiepreise müssten die Krankenhäuser in diesem Jahr gut drei Milliarden Euro und im nächsten Jahr über fünf Milliarden Euro an Sachkostensteigerungen verkraften. Die Energiekostensteigerungen belaufen sich nach DKG-Berechnungen im Jahr 2022 auf 1,6 Milliarden und im Jahr 2023 auf über vier Milliarden Euro.

Insgesamt ergebe sich eine Finanzierungslücke bei Sachkosten und Energie von rund 15 Milliarden Euro für 2022 und 2023, hieß es. Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat eingeräumt, dass die Krankenhäuser in den nächsten Monaten „in eine ganz drastische Liquiditätsproblematik kommen“.

Probleme treffen auf „durchökonomisiertes Kliniksystem“, das schon länger nicht mehr aufgeht

Droht Krankenhäusern in Deutschland also das gleiche Schicksal wie dem Klinikum in Haag? Müssen sie dichtmachen? Tatsächlich verschärfen Corona und die Energiekrise die Situation. Schon länger geht Deutschlands „durchökonomisiertes Kliniksystem“ nicht mehr auf. 

Zum Hintergrund: Seit 2004 werden Krankenhausleistungen nicht mehr nach Dauer der Behandlung, sondern nach einem Katalog von festgelegten Fallpauschalen abgerechnet. Für eine Behandlung gibt es also einen festen Betrag. Das führt dazu, dass sie möglichst schnell und mit möglichst geringen Kosten (auch Personalkosten) durchgeführt werden. Folge sind zu viele, auch unnötige Operationen und Personalabbau.

Lösungsansätze gibt es, etwa die Daseinsvorsorge. „Wir haben grundsätzlich im Gesundheitswesen, insbesondere in den Krankenhäusern, ein Finanzierungssystem, das sehr stark darauf beruht, dass nur dann Geld fließt, wenn eine Behandlung erbracht worden ist", sagte Intensivmediziner Christian Karagiannidis, wissenschaftlicher Leiter des DIVI-Intensivregisters, dem "ZDF" (Sonntag). "Das unterscheidet uns ja ganz grundlegend zum Beispiel von der Feuerwehr, wo auch eine Vorhaltung also einfach das Dasein eines Feuerwehrwagens und des Personals bezahlt wird.“

Daseinsvorsorge ohne Umsatzdruck und vor allem weniger stationäre Behandlungen. „Wir müssen es schaffen, dass die leichteren Fälle aus der stationären Behandlung herauskommen“, sagt Gesundheitsökonom Prof. Jonas Schreyögg dem Sender. Zum Vergleich: Deutschland hat 50 Prozent mehr stationäre Aufnahmen als die Nachbarländer. Viele Behandlungen könnten ambulant durchgeführt werden oder stationär ohne Übernachtung.

Das ist Lauterbachs Klinikplan

Lauterbach selbst hat das sogenannte Fallpauschalensystem vor zwanzig Jahren miteingeführt, nun folgt die Abkehr. Tatsächlich arbeitet Lauterbach mit einem Expertengremium seit Mai an einer großen Krankenhausreform. Gegenüber dem "heute journal" erklärte er am Sonntag die einzelnen Punkte.

Drei Reformen würden diese Woche mit den Ländern diskutiert:

  • Herausnahme der Kinderkrankenhäuser aus der Fallpauschale
  • Sicherstellung der Geburtshilfe
  • alle geeigneten Behandlungen sollen als Tagesbehandlung durchgeführt werden. So würden Nachtdienste wegfallen und Pflegekräfte entlastet, betonte Lauterbach.

In den nächsten zwei Monaten werde dann die große Reform vorgestellt. Er arbeite mit dem Expertengremium an einer „grundsätzlichen Überwindung der Fallpauschalen“, so Lauterbach. Ziel sei ein System, „wo Vorhaltekosten bezahlt werden“. Dabei soll auch die Frage beantwortet werden, ob ein Krankenhaus gebraucht wird und wie wichtig es für die Region sei. „Hier spielt die Verteilung der Krankenhäuser eine Rolle“, so Lauterbach.

Denn ein weiteres Ziel der Reform ist es, die Krankenhauslandschaft in Deutschland etwas auszudünnen. Nach Einschätzung von Experten hat Deutschland mit rund 1900 Einrichtungen eine im europäischen Vergleich zu hohe Krankenhausdichte. Darunter viele kleine Häuser, die häufig schlechter mit medizinischen Großgeräten ausgestattet sind und weniger Erfahrung mit komplizierteren medizinischen Behandlungen haben. Die Hoffnung: Eine Verringerung Krankenhäuser könnte zu weniger Personalproblemen, besseren Behandlungserfolgen und mehr Wirtschaftlichkeit führen, glauben einige Experten.

Werden kleine Kliniken also eventuell geschlossen? „Der Bund schlägt so etwas nicht vor“, sagt der Gesundheitsminister. Klinikschließungen sind Ländersache. Allerdings betont Lauterbach: „Die kleinen Kliniken werden zum Teil gebraucht. Und sie müssen dort, wo sie benötigt werden – und sie werden oft benötigt – Geld bekommen dafür, dass sie einfach da sind." Stichwort Vorhaltekosten.

Gesundheitsökonom Schreyögg erklärte dazu: „Wir haben natürlich in bestimmten Ballungszentren, zum Beispiel im Ruhrgebiet, eine deutliche Überversorgung.“ Und weiter: „Da werden wir um Schließungen nicht umhin kommen. Aber gerade im ländlichen Bereich muss man natürlich genau prüfen vor Ort, was an dieser Stelle das Beste ist.“ Einige Kliniken werden diesen Reformprozess also kaum überleben.

Reform für weniger Kliniken in Deutschland – durch Corona beschleunigt?

Auch die Personalfrage lässt sich mit diesen Maßnahmen allein wohl nicht regeln. 50.000 Stellen fehlen nach offiziellen Berechnungen. Nicht nur Pflegekräfte, auch Ärztinnen und Ärzte werden knapper.

In der Klinik-Lobby wächst zudem die Sorge, dass der Bund die Misere der Kliniken noch ein wenig laufen lassen könnte, um das Ziel – weniger Kliniken – schneller zu erreichen.

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