Corona-Krise: Bewegungs-Tipps für jedes Alter – Naturheilkunde & Naturheilverfahren Fachportal

Soziale Isolation: Bewegen kann man sich auch zuhause
Soziale Distanzierung ist während der Corona-Krise von enormer Bedeutung, um die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen. Doch viele Menschen, die zuhause bleiben, bewegen sich oft nicht ausreichend. Das gefährdet die Gesundheit. Eine Expertin hat einige Tipps, wie Menschen jeglichen Alters auch daheim in Bewegung bleiben können.

Um während der Corona-Krise das beste aus der Situation zu machen, ist es wichtig, auf einen gesunden Lebensstil zu achten. Das geht auch, wenn man in den eigenen vier Wänden bleibt. Prof. Dr. Susanne Tittlbach von der Universität Bayreuth erklärt, wie das funktioniert.

Alltag gesünder und bewegter gestalten

Prof. Dr. Susanne Tittlbach hat an der Universität Bayreuth den Lehrstuhl Sportwissenschaft III – Sozial- und Gesundheitswissenschaften des Sports inne. Laut einer Mitteilung ist die Wissenschaftlerin maßgeblich an der Entwicklung des Programms „Smart Moving“ beteiligt, das den Studienalltag bewegter und gesünder gestaltet.

Im Interview analysiert die Expertin, welche Folgen die soziale Isolation zuhause auf die Gesundheit haben kann und gibt Tipps, wie Menschen jeden Alters dennoch auch im Zuhause in Bewegung bleiben können.

Schülerinnen und Schüler bleiben bis zum Ende der Osterferien zuhause, für viele fühlt sich die Situation wie eine „Ausgangssperre“ an. Wie bekommt man sein Kind dann weg vom Handy?

„Jede noch so kleine Bewegung ist gut und sinnvoll! Die Wohngegebenheiten und das Alter der Kinder spielen natürlich eine große Rolle. Wenn ein Garten vorhanden ist, sollten die Kinder möglichst viel im Garten sein, da dort mehr Platz ist, um sich wirklich auszutoben, zum Rennen, Hüpfen und Ballspielen“, so Dr. Tittlbach.

Wenn kein Garten da ist, gilt es, in der Wohnung erfinderisch und kreativ werden. Und immer wieder aufstehen und sich Vorgaben dazu machen: beispielsweise Schularbeiten im Sitzen, Lesen im Stehen in einem anderen Raum, beim Fernsehen hüpfen etc., sagt die Expertin.

Dies lässt sich auch mit digitalen Medien verknüpfen. „Eltern sollten diese Medien nicht als „Feind“ sehen, sondern auch dafür nutzen, um die Attraktivität von Bewegung mit Medien zu erhöhen. Also, dem Kind vielleicht den eigenen Fitness-Tracker umbinden und die Aufgabe stellen, auf 1.000 Schritte zu kommen“, erläutert die Wissenschaftlerin.

Eine weitere Möglichkeit ist, eine Challenge dazu zu veranstalten: „Schafft der Papa oder das Kind den Tag über mehr Schritte in der Wohnung? Ein Wochenplan am Kühlschrank, um jeden Tag die Schritte zu dokumentieren, motiviert zusätzlich. Für jüngere Kinder eignen sich Tanzspiele und Apps mit Spielideen. Insgesamt gilt bei jüngeren Kindern, dass der Spielcharakter möglichst hoch sein sollte.“

Ältere Kinder und Teenager, deren Bewegungsmotiv oft auf Figurformung und Muskelzuwachs liegt, kann man laut Dr. Tittlbach mit einem funktionalen Training via App motivieren. „Für ein solches Programm zuhause gibt es hervorragende Übungen mit dem eigenen Körpergewicht. Ansonsten brauche ich eigentlich nur eine Matte oder einen Teppich und Übungsanleitungen, die sich in einer Vielzahl im Netz finden.“

Sitzzeiten minimieren

Schülerinnen, Schülern und Studierenden, die derzeit zwangsweise mehr zuhause lernen müssen, empfiehlt Dr. Tittlbach Videos, die im Rahmen des Projekts „Smart Moving“ entstanden sind. Diese können helfen, sich mehr zu bewegen und weniger zu sitzen.

Älteren Personen rät sie: „Solange Spaziergänge, die Menschen alleine durchführen, noch zulässig sind, sollten ältere Menschen diese Möglichkeit auch nutzen. Spaziergehen stellt quasi ein Ganzkörpertraining dar, das sowohl Ausdauer, Kraft als auch Koordination anspricht. Das ist sehr sinnvoll.“

Und weiter: „Wenn Spaziergänge nicht mehr erlaubt sein sollten oder die ältere Person unter Quarantäne steht: Frischluft auf dem Balkon oder am offenen Fenster genießen. Und auch hier gibt es Übungen: Wer noch gut stehen kann, kann sich am Fensterrahmen festhalten und kleinere gymnastische Übungen durchführen, z.B. Gewichtsverlagerung von einem Bein auf das andere, leichte Kniebeugen, ein Bein abspreizen und hochziehen mit Beinwechsel, beide Beine fest auf dem Boden und den Oberkörper langsam nach rechts und links rotieren.“

Die Wissenschaftlerin weist darauf hin, dass jeder so viel machen soll, wie die eigenen Kräfte erlauben, schon kleinste Bewegungen sind sinnvoll! Diese sind selbst im Sitzen möglich: „Fahrradfahren oder gestreckte Beine überkreuzen. Möglichst oft die Position ändern, auch mal stehen, beim Telefonieren auf und ab gehen, etc. Auch das bringt den Kreislauf in Schwung und aktiviert!“

Schon jetzt gibt es zu viele Übergewichtige

Auf die Frage, ob sie eine „Adipositas-Epidemie“ befürchtet, wenn die Menschen nun wochenlang zuhause bleiben, sagt Dr. Tittlbach: „Eigentlich haben wir schon eine „Adipositas-Epidemie“ in unserer Gesellschaft bzw. eine „Adipositas-Pandemie“ weltweit. Der Unterschied zur aktuellen Pandemie ist nur, dass die Erkrankung nicht übertragbar im Sinne einer Virusinfektion ist.“

Fettleibigkeit, Diabetes und Co sind zwar nicht ansteckend, dennoch sind sie für eine Vielzahl an Todesfällen weltweit verantwortlich. Das geht laut der Expertin häufig etwas unter, weil es im ersten Moment nicht so bedrohlich wirkt, wie das nun beim Virus der Fall ist.

Allerdings ist für die Adipositas-Rate in der Gesellschaft das Bewegungsverhalten nicht alleine ausschlaggebend, sondern ebenso das Ernährungsverhalten. „Wichtig wäre daher aus meiner Sicht, dass den Menschen auch klargemacht wird, wie wichtig gerade jetzt ausgewogene, gesunde Ernährung ist, um gesundheitliche Folgen des Lock-Ins möglichst zu verringern“, so die Wissenschaftlerin.

„Je länger der Lock-In dauert, desto größer wird die Gefahr, dass sich die Verhaltensweisen von Personen (noch mehr) in die inaktive Richtung verändern. Wir wissen aus Studien, dass der Aufbau einer Verhaltensänderung zu mehr Bewegung, zu gesünderem Essen, Raucherentwöhnung etc. ein sehr langer, intensiver Prozess ist und dass die schwierigen Phasen (auch psychologisch gesehen) am Anfang der Verhaltensumstellung liegen“, erklärt Dr. Tittlbach.

Wer „es gerade erst geschafft hat, das wöchentliche Fitness-Training fest in ihren Wochenablauf zu integrieren, eine soziale Gruppe gefunden hat, in der sie sich beim Training wohlfühlt, wird große Mühe haben, das Ganze nach dem Lock-In zu reaktivieren. Zu befürchten ist daher eine noch größere Drop-Out Rate aus Bewegungsprogrammen (z.B. von den Krankenkassen, Fitness-Studios, Sportvereinen), auch nach Wiederöffnung unseres sozialen Lebens.“

Soziale Auswirkungen

Auf die Frage, was ein „Lock-In“ sozial bedeuten kann, sagt die Expertin: „Interessant ist ja, dass man erst dann bemerkt, was man an einer Sache hat, was diese Sache einem gibt, wenn man sie plötzlich nicht mehr hat. So wird das den Menschen auch bezüglich des Aussetzens der Spitzensportwettkämpfe, aber auch der breitensportlichen Trainingsgruppen gehen.“

Laut der Wissenschaftlerin gehen die sozialen Funktionen des Sports, auch im Hinblick auf Integration und Inklusion, für die Zeit des Lock-Ins verloren. „Soziale Kontakte werden daher fehlen – insbesondere für die Personen, die alleine leben und keine familiären Kontaktmöglichkeiten haben. Sport ist für viele Menschen, ob aktiv oder inaktiv als Zuschauer, ein Ort sozialer Beziehungen“, so Dr. Tittlbach.

„Die identitätsstiftenden Prozesse für Aktive oder für inaktive Zuschauer und Fans des Sports sind immens, das fehlt nun. Sich als Teil der Trainingsgruppe zu fühlen, geht nur so richtig beim Training. Sich als Teil der Fangruppe einer bekannten Fußballmannschaft zu fühlen, geht am besten als Zuschauer im Stadion, im Vereinsheim oder beim Public Viewing – immer im sozialen Kontext. Meiner Ansicht nach wird der Sport diese Bedeutung aber auch angesichts COVID19 nicht verlieren. Das wird sich wieder reaktivieren lassen“, macht die Expertin Hoffnung. (ad)

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