Corinne weint. Es sind Abschiedstränen. Die 23-Jährige verlässt ihre Wahlheimat Fuerteventura und sitzt in einem Bus. Soeben hat sie sich von ihren Freunden verabschiedet. Sie starrt aus dem Fenster, während dicke Tränen über ihre Wangen laufen. Der Abschied fällt ihr schwer. Nach dem Abitur hat sie vier Jahre lang auf der spanischen Insel gelebt und in einem Ferienclub gearbeitet – erst in der Kinderbetreuung, dann im Büro. Sie hat neue Freunde kennengelernt und ihre erste große Liebe. Doch nun will sie sich neu positionieren – beruflich wie privat. Corinne ergeht es wie so vielen jungen Menschen in ihrem Alter, die erst lernen müssen, ihren eigenen Weg zu finden.
Doch Corinne ist anders – zumindest ein kleines bisschen. Die 23-Jährige ist HIV-positiv. Wahrscheinlich hat sie sich schon bei ihrer Geburt mit dem Erreger angesteckt. Als Corinne sechs Jahre alt ist, stirbt ihre Mutter an Aids. Das junge Mädchen wandert von Pflegefamilie zu Pflegefamilie, ehe sie schließlich in Bayern in der Nähe des Chiemsees ein liebevolles Zuhause findet. Dort wächst Corinne auf, behütet, beschützt. Doch niemand soll von den Viren in ihrem Körper erfahren – zu groß ist die Angst vor Ausgrenzung. Mit 18 Jahren entschließt sich die junge Frau, an die Öffentlichkeit zu gehen. In der ZDF-Doku „Niemand darf es wissen“ bricht sie 2015 ihr Schweigen. (Der stern berichtete)
Angst vor dem Alleinsein
Damals sagte Corinne: „Das Schlimmste an der Krankheit ist eigentlich nicht die Tatsache, dass ich eventuell sterben könnte, sondern einfach die Tatsache, dass wenn ich es jemandem sage, dann irgendwann alleine bin.“
Fünf Jahre sind seit ihrem Outing vergangen. Hier setzt die aktuelle Doku „Ich lebe positiv – Corinne und ihr Schicksal HIV“ an, die das ZDF heute Abend ausstrahlt. Haben sich Corinnes Ängste bewahrheitet? Und wie reagieren Freunde, Arbeitskollegen und später auch ihr Freund auf die Nachricht, dass sie HIV-positiv ist?
Nach dem Abitur zieht Corinne nach Fuerteventura und beginnt, in einem Ferienclub zu arbeiten. Sie geht nun offener mit ihrem einstigen Geheimnis um und erzählt ihrem Arbeitgeber von der Krankheit, auch wenn sie dazu eigentlich nicht verpflichtet ist. Der Leiter des Clubs steht hinter Corinne, informiert seine Mitarbeiter und richtet eine Hotline für besorgte Gäste ein – eine reine Sicherheitsmaßnahme. Corinne nimmt Medikamente, die die Virenlast in ihrem Blut so stark drücken, dass keine Ansteckungsgefahr besteht. Die Therapie von HIV hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Zum Ausbruch von Aids, den Endstadium der Krankheit, muss es nicht mehr kommen.
Doch das Outing löst nicht alle Probleme: Einige Mitarbeiter fremdeln mit Corinnes Art. Zeitweise fühlt sich die junge Frau wie eine Außenseiterin. Das ändert sich, als Corinne Alexis kennenlernt, ihre erste große Liebe. Der junge Spanier arbeitet als Barkeeper. „Ich mag an ihr, dass sie ein guter Mensch ist“, sagt der 25-Jährige. „Sie ist immer ganz sie selbst.“
Vertrauen und Verantwortung
Die Kamera ist dabei, als die beiden sich küssen, am Strand herumalbern und im Bett kuscheln. Corinne schätzt an Alexis, dass er ihr vertraut und keine Angst vor einer Ansteckung hat. „Das ist natürlich ein schönes Gefühl“, sagt Corinne. Eine Ansteckungsgefahr besteht nur, wenn die Viren in ihrem Blut Überhand nehmen und die beiden ungeschützten Sex oder Blutkontakt haben.
Die junge Frau weiß auch, welche Verantwortung sie für die Gesundheit ihres Freundes hat. Sie muss ihre Medikamente regelmäßig einnehmen. Die beiden schlafen miteinander. Beim Safer Sex kann Corinne Alexis nicht anstecken.
Auf Fuerteventura hat Corinne den jungen spanischen Barkeeper Alexis kennengelernt und sich in ihn verliebt. Alexis ist ihre erste große Liebe.
Es gibt diese Momente in der Doku, die fast vergessen lassen, dass Corinne krank ist. Filmemacherin Maike Conway zeigt eine junge Frau, die gerne feiert, auf der Tanzfläche mitsingt und vielleicht ein bisschen zu viel Cola trinkt. HIV – war da was?
Es sind Momente, die diese Dokumentation zeigen muss. Denn sie entsprechen der Lebensrealität vieler HIV-Infizierter und beugen Vorurteilen vor. „Ich lebe positiv“ setzt ein wichtiges Zeichen gegen Stigmatisierung und unrationale Ängste. Moderne Medikamente ermöglichen HIV-positiven Menschen ein fast normales Leben, auch wenn die Krankheit bis heute nicht heilbar ist.
Corinnes lässt sich ihr Leben nicht von den Viren in ihrem Körper diktieren. Sie macht Zukunftspläne und beginnt kurz nach ihrer Abreise in Fuerteventura eine Ausbildung zur Hotelfachfrau in Deutschland. Rückblickend, so sagt sie, habe sie „alles richtig gemacht“.
„Ich lebe positiv – Corinne und ihr Schicksal HIV“ läuft heute Abend um 22.15 Uhr im ZDF. Die Folge gibt es auch bereits in der ZDF-Mediathek. Hier geht es zu der Sendung.
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