Blutdrucksenkung bei Nierenerkrankungen: Welche Werte sind anzustreben? – Heilpraxis

Neue Leitlinie zur Blutdrucksenkung hinterfragt

Hunderte Millionen Menschen weltweit leiden aufgrund unterschiedlicher Ursachen an Nierenerkrankungen. Diesen Patientinnen und Patienten wird seit einiger Zeit eine striktere Blutdrucksenkung empfohlen. Doch diese neue Empfehlung wird nun von Fachleuten hinterfragt.

Allein in Deutschland leben fünf bis zehn Millionen Menschen mit einer chronischen Nierenerkrankung, erklärt die Deutsche Nierenstiftung auf ihrer Webseite. „Mehr als die Hälfte der Menschen mit chronischer Nierenerkrankung haben Bluthochdruck. Bluthochdruck erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Verschlimmerung der Nierenerkrankung“, schreibt die National Kidney Foundation. Nierenkranken Menschen wird nun eine strengere Blutdrucksenkung empfohlen. Doch wie sinnvoll ist das?

Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen reduzieren

Die neue Leitlinie der KDIGO („Kidney Disease: Improving Global Outcomes“) enthält ein klares Plädoyer, bei Patientinnen und Patienten mit chronischen Nierenerkrankungen wenn toleriert den systolischen Blutdruck auf <120 mmHg zu senken, erklärt die Deutsche Hochdruckliga e.V. DHL® – Deutsche Gesellschaft für Hypertonie und Prävention in einer aktuellen Mitteilung.

Damit soll das bei diesen Patientinnen und Patienten stark erhöhte Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutlicher reduziert werden, als es bisher gelingt.

Basis für die Einigung der Leitlinienautorinnen und -autoren auf diesen niedrigen Wert war die SPRINT-Studie aus dem Jahr 2015, obwohl die Autorinnen und Autoren der Leitlinie selbst betonen, dass der Evidenzgrad der Empfehlung als eher schwach eingeschätzt wird, da es die einzige publizierte Studie ist, die einen niedrigeren Blutdruckzielwert als den bis dato geltenden Wert als vorteilhafter belegt hat.

Den Angaben zufolge hatte sich in der Studie gezeigt, dass eine intensivere Blutdruckkontrolle (<140 mmHg vs. <120 mmHg) in allen Altersgruppen mit einem geringeren Mortalitäts- und Morbiditätsrisiko assoziiert war.

Die Subgruppenanalyse der CKD-Teilnehmenden (CKD: Chronic Kidney Disease, Chronisches Nierenleiden) in der Studie zeigte, dass bei Patientinnen und Patienten mit einer milden Nierenfunktionsstörung durch eine intensive Blutdrucksenkung ebenfalls eine Senkung der kardiovaskulären Ereignisse und Mortalität erreicht wurde.

In der Studie wurden Erkrankte mit höheren Niereninsuffizienzstadien nicht berücksichtigt. Die Laufzeit betrug im Durchschnitt lediglich vier Jahre, so dass Langzeiteffekte kaum abzuleiten sind.

Empfehlung kaum umsetzbar

Der neue anzustrebende Blutdruckwert, so die Gesamteinschätzung der DHL, ist nach diesen Ergebnissen möglicherweise zum Schutz der Nieren und in Bezug auf die Reduktion von kardiovaskulären Ereignissen sinnvoll und insofern aus Sicht der DHL-Fachleute grundsätzlich begrüßenswert.

Eine gute Blutdruckeinstellung bei CKD-Patientinnen und -Patienten trägt nachgewiesenermaßen maßgeblich dazu bei, eine Progression der Nierenfunktionsstörung deutlich verlangsamen und „ist in der Tat essenziell für die Risikominimierung“, betont Prof. Dr. med. Markus von der Giet, Berlin, Vorstandsmitglied der DHL.

Doch sollte das wirklich für alle Patientinnen und Patienten und Nierenerkrankungen gleichermaßen gelten? Wie weit unter 120 mmHg ist sinnvoll und praktikabel? Unter solchen Aspekten sollte der in der Leitlinie festgehaltene Vorschlag differenziert überdacht werden, weil die Basis für diesen Konsens der KDIGO-Kommission nicht in allen Punkten schlüssig ist, so van der Giet.

In diesem Zusammenhang betont der Experte, dass die Blutdruckmessungen in der SPRINT-Studie mit einem automatischen oszillometrischen Blutdruckmessgerät durchgeführt wurden – diese punktgenaue standardisierte Messung ist in Deutschland nicht wirklich verbreitet und daher in der klinischen Praxis kaum umsetzbar.

Stattdessen ist die regelmäßige Selbstmessung zu Hause und auch die Kontrolle bei einer Ärztin oder beim Arzt ergänzt durch eine 24-Stunden-Blutdruckmessung wenn sinnvoll der Therapiestandard.

Insofern stellt sich die Frage, inwieweit auch etwas höhere Werte gebilligt werden können, weil die etwas ungenauere Selbstmessung einfach einen gewissen Toleranzbereich notwendig macht.

Werte zwischen 120-130 mmHg systolisch anstreben

Der DHL zufolge sollte weiterhin grundsätzlich der nach wie vor gültigen Empfehlung der Europäischen Fachgesellschaften für Hypertonie (ESH) und Kardiologie (ESC) gefolgt werden, bei nierenkranken Patientinnen und Patienten einen Blutdruck von 130 mmHg systolisch zu erreichen.

Mit Blick auf die neuen KDIGO-Leitlinien kann man sich laut dem Charité-Experten auch ehrgeizigere Ziele setzen und die 120 mmHg anstreben. „Eine praktikable Empfehlung ist, bei Nierenpatientinnen und -patienten einen Zielwertbereich zwischen 120-130 mmHg systolisch anzustreben“, sagt van der Giet.

„Damit werden mögliche Ungenauigkeiten der Selbstmessung abgefedert und es wird verhindert, dass die Betroffenen zu niedrig eingestellt werden und unter Schwindel und anderen Nebenwirkungen leidet.“

Grundsätzlich betont der Fachmann, dass die regelmäßige Blutdruckselbstmessung ein wichtiger Bestandteil bleibt, da der Praxisblutdruck auch durch etliche Faktoren beeinflusst wird, viele Menschen haben zum Beispiel eine „Weißkittelhypertonie“ haben, also dadurch werden in der Praxis immer zu hohe Werte gemessen. Dann kann die Durchführung einer 24h-Langzeitblutdruckmessung sehr sinnvoll sein.

Der Rat heißt daher: Selbst messen, und zwar so: Die Patientinnen und Patienten sollen an sieben aufeinanderfolgenden Tagen pro Monat jeden Tag zur gleichen Zeit am Morgen ihren Blutdruck messen und dokumentieren.

Die zu Hause gemessenen Werte sollten sich im Schnitt bei maximal 135/85 mmHg einpendeln. Wenn der errechnete Mittelwert der Woche kontinuierlich bei oder über 140/90 mmHg liegt, gilt das als Alarmzeichen, dann sollte eine Ärztin oder ein Arzt konsultiert werden. (ad)

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