Leistungsfähige Rechenzentren sind eine existenzielle Voraussetzung für die Arbeit der Apotheken. Darum sehen Apotheker bei Meldungen über Rechenzentren sehr genau hin – auch jetzt bei den Vorwürfen gegen eine Tochtergesellschaft des ARZ Haan. Doch der angeblich drohende Schaden wäre locker durch Gewinnvorträge gedeckt, stellt DAZ-Redakteur Dr. Thomas Müller-Bohn in einer ersten Einordnung fest.
Nach den Erfahrungen mit der AvP-Insolvenz reagiert die Apothekenwelt empfindlich auf jede negative Nachricht zu einem Rechenzentrum. Darum sorgt die Meldung über einen mutmaßlichen Betrugsfall bei der RZH, einem Tochterunternehmen des ARZ Haan, für viel Aufmerksamkeit. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (F.A.Z.) hatte über mutmaßliche Scheinrechnungen berichtet, die von der RZH im Rahmen von Factoringfinanzierungen übernommen worden seien. Nach Angaben der F.A.Z. soll es dazu eine Anzeige und ein Ermittlungsverfahren geben. Das ARZ Haan hat die gegen die RZH gerichteten Vorwürfe in Bezug auf Abrechnungsbetrug zurückgewiesen.
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Mögliche Schäden in Relation zur Bilanz sehen
Es verbietet sich in diesem Stadium, solche Vorwürfe zu kommentieren. Doch eine Frage muss gestellt werden: Was kann das für die Apotheken bedeuten? Das ist keine juristische Frage, sondern eine nötige wirtschaftliche Einordnung. Es geht nicht um die Vorwürfe, sondern um den möglichen Schaden, also um Zahlen und Bilanzen. Dabei können selbstverständlich nur die Zahlen berücksichtigt werden, die in der bisherigen Veröffentlichung behauptet werden. Bei diesen Zahlen fällt vor allem eines auf: Der genannte Betrag ist für die Arbeit eines großen Rechenzentrums nicht entscheidend und für das System nicht relevant. Nach Angaben der F.A.Z. geht es um Rechnungen über insgesamt 15,16 Millionen Euro, die sich auf zwei Jahre verteilen sollen. Ob jetzt überhaupt noch ein Schaden besteht, bleibt offen. Doch selbst wenn bei der RZH eine Wertberichtigung in dieser Höhe nötig werden sollte, wäre das aus den bestehenden Gewinnvorträgen locker zu finanzieren. Der ARZ-Haan-Konzern weist zum Jahresende 2022 in seinem Eigenkapital Gewinnvorträge von 53 Millionen Euro aus. Dann gäbe auch eine einmalige Abschreibung von 15 Millionen Euro keinen Anlass für irgendwelche Sparmaßnahmen, die das Geschäft berühren könnten. Es ginge auch nur um Positionen aus der Vergangenheit, aber nicht um die Zukunft. Das würde also die laufende Arbeit nicht beeinflussen. Mit dem Abrechnungsgeschäft des Mutterunternehmens hätte es ohnehin nichts zu tun. Denn es geht hier nicht um Abrechnungsgelder der Apotheken. Das ist der wichtigste Aspekt für die Apotheken.
Geschäftsbetrieb und Abrechnungsgelder unterscheiden
Die Noventi, der Marktführer unter den Apothekenrechenzentren, hatte im September für das Geschäftsjahr 2022 einen Verlust von 133 Millionen Euro auf Konzernebene gemeldet. Hier gab es allerdings nie einen Vorwurf, irgendjemand könnte in betrügerischer Absicht gehandelt oder sich persönlich bereichert haben. Der Verlust beruht auf einer großspurigen Expansionsstrategie, die inzwischen ausdrücklich beendet wurde. Dabei geht es aber um deutlich mehr Geld als in der Recherche der F.A.Z. zur ARZ-Haan-Tochter RZH. Bei der Noventi hatte das Eigenkapital zunächst nicht ausgereicht, um den Verlust vollständig zu decken. Allerdings hatte eine Kapitalerhöhung der Eigentümer im Frühjahr für frisches Geld gesorgt, und die Noventi verweist auf große stille Reserven. Außerdem korrigierte die Noventi ihre Strategie und setzte neue Vorstände ein. Sparmaßnahmen im Geschäftsbetrieb können durchaus Konsequenzen für die Apotheken haben, wenn beispielsweise eine Warenwirtschaftssoftware nicht weitergeführt wird oder Mitarbeiter abgebaut werden und damit vertraute Ansprechpartner fehlen. Dabei geht es aber „nur“ um die Gestaltung der Zusammenarbeit und um die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens, nicht um Abrechnungsgelder. Das ist entscheidend für die Apotheken.
Spezieller Problemfall AvP
Ganz anders ist das alles bei der AvP Deutschland, die bekanntermaßen seit Jahren insolvent ist. Der Insolvenzverwalter hat schon bald nach Beginn seiner Arbeit auf offenbar betrügerische Handlungen hingewiesen, die auch die Abrechnungsgelder betrafen. Es fehlen also nicht nur Mittel des Unternehmens, sondern auch Abrechnungsgelder in großer Höhe. Der Fall ist so komplex, dass auch nach Jahren die Schadenshöhe nicht feststeht. Abrechnungsgelder und Mittel des Unternehmens wurden nicht getrennt. Daraufhin sind die Apotheker mit ihren Forderungen aus den Abrechnungen zu Gläubigern des insolventen Unternehmens geworden. Auch die Ansprüche der einzelnen Apotheken können den verbliebenen Mitteln nicht zugeordnet werden. Diese Herausforderung wird mit dem mittlerweile angenommenen Vergleich umschifft. Die entscheidenden Probleme für die Apotheken bei der AvP sind die Vermischung von Unternehmens- und Abrechnungsgeldern und die ungünstige Rechtsstellung der Apotheken bei der Forderungsabtretung ohne aufschiebende Bedingung. Das alles betrifft nur die AvP und ist nicht auf andere Rechenzentren zu übertragen. Doch der Problemfall AvP hat dafür gesorgt, dass die Apotheker jetzt genau hinsehen, wenn es um Rechenzentren geht.
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