Bedtime Procrastination: Warum wir das Schlafen unnötig hinauszögern

Die Augenringe werden immer dunkler, die Laune gereizter und trotzdem – wir wollen einfach nicht schlafen. Zumindest jetzt noch nicht. Stattdessen scrollen wir stundenlang durch Instagram-Feeds und bingen die Serie immer weiter und weiter, trotzen völlig unnütz der Müdigkeit. Das Energieloch grüßt am Morgen.

Das endlose Hinauszögern vom Schlafengehen hat einen Namen: Bedtime Procrastination. Es handelt sich dabei um ein relativ neues Phänomen. Zuerst benannt hat es die niederländische Sozial- und Verhaltensforscherin Floor M. Kroese im Jahr 2014. Vereinfacht ausgedrückt, meint die Bezeichnung, dass der Schlaf mutwillig und wider besseren Wissens aufgeschoben wird, obwohl es dafür gar keine Notwendigkeit gibt. Aber warum?

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Prokrastination als Muster

Eine einfache Antwort: weil wir uns nicht im Griff haben. So weisen die Ergebnisse von Kroeses Untersuchung darauf hin, dass es einen Zusammenhang zwischen – und das ist wohl eher nicht überraschend – mangelnder Selbstkontrolle und dem Nach-hinten-schieben des Schlafengehens gibt. Wer sich schwer damit tut, nur ein Stück Schokolade anstelle der ganzen Tafel zu essen, wer lieber auf dem Sofa verweilt, obwohl er schon vor einer halben Stunde joggen gehen wollte, der neigt, so die These der Forscher:innen, auch dazu, den Schlaf aufzuschieben. Kurz: Menschen, die in einem Bereich prokrastinieren, tun das meist auch in anderen.

"Besonders gefährdet für Prokrastination im Allgemeinen sind Menschen, die in ihrem Job viel Handlungsfreiraum haben – also Führungskräfte, Manager, Studierende sowie Freiberufler wie Anwälte, Architekten oder Journalisten", zitiert "National Geographic" die Coachin und Psychologische Psychotherapeutin Anna Höcker. Sie hat gemeinsam mit der Prokrastinationsambulanz der Universität Münster einen Online-Selbsttest entwickelt, der kostenlos und schnell verrät, wie stark das eigene Aufschiebeverhalten im Vergleich zu dem anderer Menschen ist.

Ist das Aufschieben des Schlafs Typsache?

Der Hang zur Bedtime Procrastination könnte aber auch schlicht Typsache sein. Zu diesem Studienergebnis kamen drei Forscherinnen um die Psychologin Jana Kühnel von der Universität in Wien. Demnach hatte die biologische Uhr der Teilnehmenden einen Einfluss darauf, ob sie des Nachtens prokrastinierten oder nicht. Es waren vor allem Menschen des Chronotyps "Eule", also sogenannte Abendmenschen, die sich mit dem Schlafengehen schwer taten.

Ihre Gegenspieler, die "Lerchen", hatten hingegen weniger Probleme damit. In einer weiteren Studie fanden Forschende zudem Hinweise darauf, dass junge Menschen, Frauen und Studenten öfter von Bedtime Procrastination betroffen seien. Andere Faktoren wie Wohnort, Bildungsgrad oder Familienstand schienen hingegen keinen Einfluss zu haben.

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Revenge Bedtime Procrastination: Eine Spielart von Rache

Tja, und dann gibt es noch etwas, das sich Revenge Bedtime Procrastination nennt. Eine Bezeichnung, die aus dem Land der Mitte stammt und in etwa "aus Rache spät ins Bett gehen" bedeutet. In China sind die Arbeitstage lang und Freizeit Mangelware. Die Zeit vor dem Schlafen gehört zu den wenigen Momenten, die nach eigenem Belieben gefüllt werden kann.

Die Revenge Bedtime Procrastination ist also eine Art Protest gegen die Lebensumstände, in denen die Work-Life-Balance aus dem Lot ist. Ein Protest, der in Wahrheit zu Lasten des Protestierenden geht, denn, statt sich zu erholen, wird der Schlafmangel genährt. Es handelt sich hierbei um eine bewusste Entscheidung, eine Art Racheakt eben und nicht etwa ein ungeplantes Aufschieben, wie es das Schwester-Phänomen Bedtime Procrastination umschreibt.

Schlaflosigkeit als Massenphänomen

Wie viele Menschen sich lieber Streichhölzer in die Augen stecken, statt zu einer angemessenen Uhrzeit schlafen zu gehen, ist schwer zu bemessen. Die Studienlage ist dünn. Repräsentative Daten gibt es bisher nicht. Erste Indizien aber lieferte Kroese mit ihrem Team bereits 2014. Bei ihrer Untersuchung in den Niederlanden durchgeführte gaben rund die Hälfte der 2637 Befragten an, an drei oder mehr Tagen der Woche nach eigenen Aussagen ohne Grund später schlafen zu gehen, als geplant war. Mehr als ein Drittel gab an, dass ihnen das mindestens einmal in der Woche passiere. So gut wie alle fühlten sich deshalb tagsüber gerädert. Psychologin Jana Kühnel hat ebenfalls eine Studie zu dem Thema durchgeführt. Diese legt nahe, dass die Deutschen die Nachtruhe in ähnlichem Maße hinauszögern.

Laut Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin ist Insomnie eine der häufigsten Störungen weltweit. Schätzungsweise 5 bis 10 Prozent der Deutschen haben demnach über einen längeren Zeitraum Schwierigkeiten mit dem abendlichen Einschlafen und/oder dem nächtlichen Durchschlafen. Die Folge: Erschöpfung, verminderte Leistungsfähigkeit sowie Verhaltens- oder Stimmungsstörungen am Tag. Langfristig kann der Schlafentzug auch das Risiko, an Depressionen, Angststörungen und anderen Krankheiten zu erkranken, steigern.

Und was hilft? Bedtime Procrastination sei, so Psychotherapeutin Höcker, genau wie Prokrastination ein erlerntes Verhalten, das wieder verlernt werden könne. "Für viele reicht bereits eine Soft-Lösung aus", so Höcker zu "National Geographic". "Wenn Sie feststellen, dass Sie häufig an Handy, Internet, Netflix und Co. hängenbleiben, meiden Sie diese ab etwa einer halben Stunde vor dem Schlafengehen.“ Ihr Tipp: die Zeit für eben diese "Prokrastinations-Gefahren" limitieren, Wecker stellen. Oder eben die Quellen des Übels, wie das Smartphone, gar nicht erst ins Bett mitzunehmen. Es helfe auch, neue Rituale zu entwickeln, die beim Entspannen helfen.

Quellen: Studie: Bedtime procrastiantion, Studie: Why Don't You Go to Bed on Time?, Studie 2: Bedtime procrastination, Spektrum, DGSM, National Geographic

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