Immuntherapie – im Kampf gegen bösartige Tumore setzen Ärzte jetzt auf einen mächtigen Verbündeten: das Abwehrsystem der Kranken. Die Erfolge sind teilweise revolutionär. Doch was unterscheidet sie von anderen Krebstherapien?
Krebsmediziner sind aus Erfahrung zurückhaltend. Ihr Gegner hat sie gelehrt, nüchterne Prognosen über wilde Hoffnungen zu stellen. Doch neuerdings legen viele Experten die Reserviertheit ab. Mit Superlativen wie "Revolution in der Krebstherapie" oder "gigantischer Fortschritt" beschreiben die Fachleute die Behandlungserfolge, die sie in ihren Kliniken und Arztpraxen erleben.
Bricht tatsächlich ein neues Zeitalter an im Gefecht gegen die Krankheit, an der fast jeder zweite Deutsche im Lauf seines Lebens erkrankt? An der jährlich eine Viertelmillion Bundesbürger sterben? Wieso die Euphorie berechtigt ist und was Patienten jetzt wissen sollten, verrät die renommierte Onkologin Prof. Diana Lüftner, Oberärztin an der Klinik für Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie der Berliner Universitätsklinik Charité.
FOCUS Online: Wieso sind Krebsärzte derzeit so optimistisch wie selten zuvor?
Diana Lüftner: Weil sich unser "Werkzeugkasten" an Therapien, die wir Patienten anbieten können, in jüngster Zeit enorm vergrößert hat. Bei nahezu jeder Form von Krebs erleben wir einen kleineren oder größeren Durchbruch, der das Leben verlängern kann. Und was noch wichtiger ist: Unsere neuen Arzneien schaffen es fast immer, die Lebensqualität der erkrankten Patienten zu erhalten. Viele gehen ganz normal weiter zur Arbeit.
FOCUS Online: Was ist das wichtigste neue Instrument in Ihrem Werkzeugkasten?
Diana Lüftner: Die Immuntherapie. Diese Behandlung lässt im besten Fall Tumore sowie Metastasen innerhalb weniger Monate wegschmelzen, als seien sie nie da gewesen. Zum ersten Mal sahen wir Ärzte das 2010 in Studien an Patienten mit metastasiertem schwarzem Hautkrebs, einer sehr aggressiven Erkrankung…
FOCUS Online: …die in fortgeschrittenem Stadium den Betroffenen oft nur wenige Monate Lebenszeit gönnt.
Diana Lüftner: Und plötzlich überlebte beinahe jeder fünfte Patient die Krankheit viele Jahre lang. Zu verdanken war das dem Wirkstoff Ipilimumab, einem Antikörper zur Behandlung von fortgeschrittenem Melanom. So ein Erfolg schien bis dahin unvorstellbar.
FOCUS Online: Wie gelingt es dieser revolutionären Therapie, dem Krebs zu Leibe zu rücken?
Diana Lüftner: Die Medikamente, die als Infusion gegeben werden, aktivieren das körpereigene Immunsystem dahin gehend, dass es Krebszellen erkennt und bekämpft. Die Arzneien wirken dabei nicht gegen den Tumor direkt, sondern sie schalten eine Blockade aus, mit denen es den Tumorzellen trickreich gelingt, sich gegen das Immunsystem zu wehren. Dank der neuen Antikörper kann der Körper das fremde Krebsprotein nun erkennen und ausschalten. Das ist eine echte Revolution.
FOCUS Online: Wie heißen diese Antikörper?
Diana Lüftner: Von Fachleuten werden sie als Checkpoint-Inhibitoren oder PD-1-Hemmer bezeichnet. PD steht für "Programmed Cell Death", zu Deutsch: den programmierten Zelltod.
FOCUS Online: Wie steht es um Nebenwirkungen?
Diana Lüftner: In der Regel verursacht die Behandlung wenig subjektive Nebenwirkungen. Nur drei bis fünf Prozent der Patienten müssen die Therapie wegen Unverträglichkeiten abbrechen. Überdies eignet sie sich sogar für Menschen, die für herkömmliche Behandlungsmethoden wie die Chemotherapie nicht infrage kommen, weil sie zu geschwächt sind oder ungünstige Begleiterkrankungen mitbringen.
FOCUS Online: Die Immuntherapie hilft aber nicht jedem Patienten?
Diana Lüftner: Nein, es sprechen nicht alle Patienten auf die Behandlung an. Nehmen wir nochmals den schwarzen Hautkrebs als Beispiel: Bei 40 bis 45 Prozent der Patienten schrumpfen die Tumore. Das gelingt insbesondere durch die Kombination verschiedener Immuntherapien. Bei etwa 15 Prozent der Patienten verschwinden sogar alle Metastasen.
FOCUS Online: Wie steht es um die großen Krebsleiden wie Brustkrebs oder Darmkrebs?
Diana Lüftner: Hier helfen die neuen Medikamente bislang noch kaum.
FOCUS Online: Ist das nicht ein Schwachpunkt der Immuntherapie?
Diana Lüftner: Nein. Denn diese Erkrankungen können wir schon seit Längerem behandeln – wenn auch mit Mühen und Nebenwirkungen. Dort, wo wir heute die Immuntherapie einsetzen, standen wir Ärzte früher fast immer mit leeren Händen da.
FOCUS Online: Welche Erkrankungen sind das?
Diana Lüftner: Der schwarze Hautkrebs gehört dazu, der nicht-kleinzellige Lungenkrebs, der Nierenkrebs oder das Hodgkin-Lymphom, eine bösartige Erkrankung des Lymphsystems. Allesamt sehr schwer behandelbare Krebsformen. Und es kommen bestimmt noch weitere Erkrankungen dazu. Weltweit laufen rund 200 Studien zu diesem Thema. Dank der Immuntherapie können wir die Patienten nun in sogenannte Langzeitremissionen bringen. Das bedeutet, der Krebs ist zwar nicht geheilt, aber er wird zu einer chronischen Erkrankung, mit der die Betroffenen dank ihrer Medikamente gut leben können. Das ist in etwa vergleichbar einem fortgeschrittenen Diabetes.
FOCUS Online: Wieso hilft die Immuntherapie eigentlich nicht bei allen Krebsarten?
Diana Lüftner: Die per Antikörper aktivierten Immunzellen spüren nicht alle Tumore gleich gut auf. Dafür sind die einzelnen Krebserkrankungen viel zu unterschiedlich. Es kann im Grunde gar kein Medikament geben, das bei allen Krebsarten wirkt.
FOCUS Online: Wie ist das zu verstehen?
Diana Lüftner: Lassen Sie es mich folgendermaßen erklären. Krebsmediziner dachten früher: Es gibt eine Tumorzelle, die teilt sich, dabei entstehen zwei identische Tochterzellen, die sich wieder zu zwei identischen Zellen aufteilen und so weiter…Ein Irrtum, wie wir heute wissen. Krebszellen sind wandlungsfähig. Eine Tumorzelle kann eine Tochterzelle mit abweichenden biologischen Eigenschaften produzieren. Und die nächste Tochterzelle kann wieder anders aussehen. Am Ende setzt sich der Tumor aus einem Sammelsurium von Zellen zusammen, die mehr genetische Unterschiede aufweisen als Gemeinsamkeiten. Das ist ein Grund, warum unsere Therapien manchmal nicht wirken. Man braucht dann mehrere unterschiedliche Ansätze, um wirklich alle Zellen zu erwischen.
FOCUS Online: Man muss also verschiedene Therapieansätze kombinieren?
Diana Lüftner: Ja, das ist die Zukunft. Neue kombinierte Immuntherapien werden gerade in verschiedenen Studien getestet. An unserer Klinik sind wir noch einen Schritt weiter. Wir kombinieren jetzt konventionelle. Chemotherapien mit den modernen Immuntherapien. Das ist ein ganz toller Mechanismus, der überproportional gute Effekte zeigt, insbesondere beim nichtkleinzelligen Lungenkrebs. Bis zu 80 Prozent der Patienten können von diesen Therapien nachhaltig profitieren.
FOCUS Online: Wie sieht es mit Brustkrebs aus? Bietet die Immuntherapie Hoffnung für Patientinnen?
Diana Lüftner: Brustkrebs spricht leider auf die neue Immuntherapie kaum an. Der Grund ist: Dieser Krebs weist nur wenige von den sogenannten Neo-Antigenen auf. Diese untypischen, neuen Eiweiße entstehen in eher aggressiven Krebszellen. In gesunden Zellen passiert dies nicht. Deshalb sind diese Protein-Varianten erstklassige Zielscheiben für die Abwehrzellen. Leider produziert nicht jeder Tumor viele Neo-Antigene. Bei Brustkrebs existiert nur eine relativ seltene Unterform, bei der wir die Immuntherapie mit ausreichend Erfolg einsetzen.
FOCUS Online: Welche ist das?
Diana Lüftner: Der sogenannte dreifach-negative Brustkrebs. Patienten mit diesem Mammakarzinom stellen etwa 15 Prozent aller Brustkrebsfälle. Ihr Tumor ist sehr aggressiv, trifft vor allem Frauen unter 50 Jahren und spricht auf die zielgerichteten Therapien nicht an, die bei anderen Mammakarzinomen sehr gut helfen können.
FOCUS Online: Und bei diesem Krebs hilft die Immuntherapie?
Diana Lüftner: Dieser triple-negative Brustkrebs ist derjenige, den wir per Immuntherapie noch am ehesten erwischen, wenn auch mit geringerem Erfolg als beim Hautkrebs. Es gibt unter den dreifach-negativen Mammakarzinomen auch welche, die von Testosteron angetrieben werden. Die behandeln wir mit Hormonblockern, also wie den Prostatakrebs bei Männern.
FOCUS Online: Wie sind denn die Behandlungsaussichten generell bei Brustkrebs?
Diana Lüftner: Die Heilungschancen betragen bei Erstdiagnose rund 80 Prozent. Das ist wirklich sehr gut. Ein Grund hierfür ist, dass wir den Krebs immer früher erkennen. Zum anderen haben wir gelernt, die vielen Behandlungen wie OP, Bestrahlung, Chemound Hormontherapie genauer aufeinander abzustimmen. Das reduziert zugleich die Nebenwirkungen. Und wir werden in den nächsten Jahren noch besser werden!
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