Angst, Egoismus und das gute Leben – Was Menschen in der Krise antreibt

Mit dem Frühling zieht es Menschen für gewöhnlich raus aus den eigenen vier Wänden. Doch in Zeiten von Corona gilt weiter, weitgehend zu Hause zu bleiben und auf soziale Kontakte zu verzichten. Wieso halten sich einige Menschen strikt an die Vorgaben, während andere das nicht tun?

„Widerspruch zwischen dem Richtigen und dem Guten“

Egoismus sieht Sabine Döring, Professorin für Praktische Philosophie an der Eberhard Karls Universität in Tübingen, nicht bei sämtlichen Verstößen gegen das Gebot des sogenannten Social Distancing am Werk: „Ich glaube, es greift zu kurz.“ In vielen Fällen würden das Gebot und der Ernst der Lage nicht vollumfassend verstanden, weil sich der soziale Austausch moralisch unverdächtig anfühle. „Mehr noch nehmen wir ihn als integralen Bestandteil des guten Lebens wahr.“

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Warum gerade jetzt der Frühling so wichtig ist. Und wie Sie ihn genießen – trotz Corona

Wir verstünden zwar abstrakt oder intellektuell, dass wir andere nicht gefährden sollen, aber es gelinge uns nicht, sozialen Austausch als einen Anwendungsfall dieser Norm zu begreifen. „Wir kommen also in einen Widerspruch zwischen dem Richtigen und dem Guten – ein ethischer Konflikt.“ 

Zudem sei es schwierig, etwas einzuhalten, „was man nicht eingeübt hat“. Gesetzesbrüche beziehungsweise zivilen Ungehorsam hält die Philosophin in der aktuellen Situation für nicht begründbar. „Allerdings steht der Staat in der Verpflichtung, die aufgrund des Notstands erlassenen Beschränkungen bei Abklingen ohne weiteres Zutun zurückzunehmen. Das muss garantiert und auch klar kommuniziert werden.“ Andernfalls bestehe die Gefahr, dass das Vertrauen der Bürger in den Staat erodiere.

Auch die Lebenssituation spielt eine große Rolle

Von manchen Menschen, die nun die Regeln offen kritisierten und unterliefen, werde eine „ziemlich freiheitsfanatische Position eingenommen“, sagt Alexander Bagattini, Philosoph an der Ludwigs-Maximilian Universität München. „Das ist ein sehr egoistischer Freiheitsbegriff“, den man zwar theoretisch unterfüttern kann. In der politischen Philosophie werde beispielsweise von sogenannten Libertariern die Position vertreten, dass Freiheit ein so wichtiges Gut darstelle, dass dem Staat nur minimale Eingriffsrechte zuerkannt werden sollten. Allerdings sei diese Position recht weit vom philosophischen Mainstream entfernt.

Freiheit werde in bestimmten Debatten fast zum Cowboy-Begriff. Laut Grundgesetz bedeute Freiheit aber die Koordinierung der Freiheiten aller miteinander, so Bagattini.

Menschen, die einzig aus moralischer Pflicht gegenüber anderen Menschen handelten, nenne man nach der Philosophie Immanuel Kants die „wahren moralischen Subjekte“, sagt Alice Pinheiro Walla, Professorin für Politische Philosophie an der Universität Bayreuth. Die meisten der Menschen, die sich strikt an die Regeln hielten, seien aber vermutlich durch Angst motiviert: „Es besteht eine immanente Gefahr, die kann einen sehr schnell treffen.“ Hinzu komme bei manchen etwa auch die Furcht vor Kontrollen durch die Polizei auf der Straße.

Entscheidend bei der Frage nach den Gründen für das Verhalten sei auch die Lebenssituation. Menschen, die allein lebten, seien etwa sehr darauf angewiesen, andere zu treffen, weil sie sonst allein zu Hause säßen. „Die Pandemie zeigt: Soziale Netzwerk können eben doch nicht den direkten Kontakt ersetzen“, sagt Pinheiro Walla.

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