Stigma Übergewicht: Studie zeigt, wie Menschen mit dem Dicksein umgehen

Disziplinlosigkeit, mangelndes Verantwortungsbewusstsein und geringe Belastbarkeit sind nur einige der Vorurteile, mit denen sich Übergewichtige konfrontiert sehen.

Unter der Leitung von Prof. Dr. Lotte Rose gingen an der Frankfurt University of Applied Sciences Studierende des Bachelors Soziale Arbeit der Frage nach, welchen Einfluss das kritische Gesellschaftsbild von Übergewicht auf die Betroffenen selbst hat.

Wie bewältigen Frauen und Männer mit hohem Körpergewicht ihr Leben und wie sprechen sie dabei über sich selbst und ihre Lebensweise?

Und gibt es geschlechterspezifische Unterschiede im Umgang und der Darstellungsweise des eigenen Lebens in Bezug auf das ‚Problem Übergewicht‘?

Männer und Frauen gehen mit Übergewicht anders um

„Während über das ‚Problem Übergewicht‘ und erforderliche Präventionsmaßnahmen sehr viel öffentlich gesprochen wird, gibt es bislang wenig empirisches Wissen dazu, wie es eigentlich Menschen ergeht, die nicht den propagierten Gewichtsnormen entsprechen“, erklärt Professor Rose die Motivation hinter dem Studienprojekt an der Frankfurter Hochschule.

Über zwei Jahre hinweg führten daher Studierende des Moduls „Diskriminierung von Menschen mit hohem Körpergewicht“ biografische Interviews mit aktuell oder ehemals übergewichtigen Personen.

In der Bildergalerie: Diese Stars haben erheblich abgenommen

124 Berichte kamen so zustande, davon 92 zu Frauen und 32 zu Männern.

Im Anschluss wurden die weitestgehend frei gehaltenen Interviews von den Studierenden dann ausgewertet, verdichtet und gewichtet, sodass am Ende eine Art journalistisches Porträt entstand.

Aus diesem wiederum ließen sich interessante Rückschlüsse ziehen: Nicht nur in Bezug auf die Relevanz des Abnehmens für das eigene Gefühl, sondern auch hinsichtlich der unterschiedlichen Auffassungen von Männern und Frauen zu diesem Thema.

Erst nach dem Abnehmen kommt das Gewicht zur Sprache

Die Gesprächsführung in den Interviews war so ausgelegt, dass die Befragten ohne vorgelegte Fragestellungen möglichst frei von ihrem Leben erzählen sollten.

Dabei fiel auf, dass die Interviewten von sich aus kaum auf das eigene Gewicht eingingen, sondern den Fokus des Gesprächs auf andere Themen in ihrem Leben legten.

Anders sah es dagegen aus, wenn eine eigene Erfolgsgeschichte im Bereich Abnehmen vorlag.

In diesem Fall wurde die Erfahrung um die eigene Gewichtserleichterung als „das wirklich Einschneidendste“ im eigenen Leben beschrieben und nahm entsprechend viel Raum in den Erzählungen ein.

Sowohl Männer als auch Frauen berichteten dabei von einem deutlichen Prestigegewinn durch ihren Abnehmerfolg und wie das Dünnerwerden ein „völlig neues Leben“ eingeleitet hätte.

Gleichzeitig beschreiben beide Geschlechter gleichermaßen den Transformationsprozess als höchst arbeitsintensiv und fordernd.

Frauen empfinden Übergewicht als Gefahr für ihre Familie

Von besonderer Bedeutung war für Frauen dabei, dass sie den Erfolg beim Abnehmen in direkten Bezug mit einer als verbessert wahrgenommenen Rolle als Partnerin und Mutter sahen.

Die Gewichtsreduktion wurde von ihnen nicht nur als selbstbestimmte Entscheidung, sondern auch als Teil von Verpflichtung und Fürsorge für andere wahrgenommen. Bei Männern kam eine solche Beschreibung nicht vor.

Frauen dagegen gingen in diesem Rahmen auch auf die Reihe an familiären Erschwernissen ein, die durch das Übergewicht hervorgerufen worden seien: Begonnen bei problematischen Schwangerschaften, über das Gefühl, nicht den üblichen Fürsorge- und Spieltätigkeiten nachgehen zu können, zu der Scham, sich mit dem Kind nicht in der Öffentlichkeit zeigen zu wollen.

Mann und Frau definieren „ein gutes Leben“ anders

Es verwundert daher auch kaum, dass Frauen vor allem intakten Familienbeziehungen großen Platz einräumten, wenn es um die Frage ging, was ein gutes Leben auszeichnen würde.

Vor allem die Liebesbeziehung zum Partner wurde besonders hoch eingeschätzt und dabei das Erlebnis, begehrt zu werden, überwiegend als etwas angesehen, das angesichts des eigenen Körpers als überraschend oder besonders kostbar wahrgenommen wurde.

Zwar gingen auch Männer auf intakte Liebesbeziehungen ein, wenn sie befragt wurden, wie ein glückliches Leben für sie aussehe.

Einen großen Anteil am persönlichen Glück schrieben sie allerdings auch Gruppenmitgliedschaften außerhalb der Familie zu. Vor allem auf die Erfüllung durch das Aktivsein in einem Fußballverein wurde dabei besonders oft eingegangen.

Ähnlich wie die Frauen in Bezug auf ihre Familie konnte auch hier das Motiv der sozialen Anerkennung gesehen werden: So kam in einigen Interviews sogar explizit zur Sprache, dass es einer kompensatorischen Anerkennung über soziale Leistung bedürfe, wenn man als dicker Mensch nicht ausgegrenzt werden wolle.

Quelle

  • Gender- und Frauenforschungszentrum: Geschlechterordnungen der Diskriminierung dicker Körper. Eine Untersuchung der Biografien von Menschen mit hohem Körpergewicht, abgerufen am 21.01.2020: https://www.gffz.de/forschung/aktuelle-forschungsprojekte/gender-und-gewicht

Larissa Hellmund

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