Ist Impfen gefährlich? Ein Biologie klärt die Fakten

Impfen ist ein sehr emotionales Thema. Ganz egal, ob es um Kinder geht oder die jährliche Grippe-Impfung – bei der kleinen Spritze kochen die Emotionen gerne hoch. Der Diplom-Biologe Sven Siebert hat gemeinsam mit dem Kinderarzt Dr. Thomas Schmitz das Buch „Klartext Impfen“ geschrieben. Dabei war es den beiden Experten wichtig, die Argumente von Impfgegnern und Skeptikern ernst zu nehmen und ihnen aus wissenschaftlicher Sicht zu begegnen.

GQ: Herr Siebert, wie findet man am besten fundierte Informationen zum Thema Impfen?

Sven Siebert: Ich habe festgestellt, dass es gar nicht so einfach ist, neutrale Informationen zu finden. Die besten Adressen sind natürlich das Robert-Koch-Institut oder die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Im Netz finden sich allerdings viele Behauptungen – ohne jede wissenschaftliche Grundlage. Etwa, dass Masernimpfungen Autismus auslösen würden oder dass Impfen zu mehr Allergien führen könne. (5 Tipps für gesündere Gewohnheiten und mehr Ausgeglichenheit)

Was genau passiert eigentlich bei einer Impfung?

Im Grunde passiert das Gleiche, was auch geschieht, wenn man sich mit einem Erreger ansteckt: Das Immunsystem bildet Antikörper. Die Immunreaktion bei einer echten Infektion hat aber einen Nachteil: Das Immunsystem braucht eine Weile, bis es ausreichend Antikörper produziert hat. Bei einigen Erregern ist es dann zu spät, um sie noch zu stoppen. Nach einer Impfung ist man auf einen solchen Angriff hingegen schon vorbereitet. Man hat abgetötete oder geschwächte Erreger injiziert bekommen, auf die der Körper reagieren konnte. Wenn es dann zu einer echten Infektion kommt, ist das Immunsystem sofort abwehrbereit. Darum ist Impfen bei vielen gefährlichen Infektionskrankheiten wie Masern, Kinderlähmung oder Keuchhusten sehr effektiv, weil es den Ausbruch der Krankheit verhindert. (Sterilisation beim Mann: Für wen sie in Frage kommt und welche Risiken es gibt)

Impfungen haben ein Image-Problem – weil sie so effektiv sind. Was bedeutet das?

Kaum jemand kennt bei uns noch Krankheiten wie Polio oder Diphtherie, deshalb fürchtet sich auch keiner davor. Natürlich fragt man sich dann, warum man sich oder sein Kind überhaupt dagegen impfen lassen sollte. Es fehlt das Gefahrenbewusstsein dafür, dass dies sehr ernste Erkrankungen sind. Dabei sind es gerade die Impfungen, die diese Krankheiten bei uns so gut wie verschwinden ließen.

Sie stellen die These auf, dass es unsozial sei, sich nicht impfen zu lassen. Was genau meinen Sie damit?

Wer sich impfen lässt, der schützt nicht nur sich selbst und seine Kinder, sondern verhindert auch, dass sich Krankheiten verbreiten. Wenn sich viele Menschen – über 95 Prozent – impfen lassen, entsteht eine sogenannte Herdenimmunität. Diese schützt auch Menschen, die sich nicht impfen lassen können, also beispielsweise Schwangere, Säuglinge, HIV-Positive oder auch Menschen nach einer Organtransplantation, die Medikamente einnehmen müssen, die das Immunsystem schwächen. Von diesem Herdenschutz profitieren natürlich auch Impfgegner.

Wer zählt prinzipiell zu den größten Impfgegnern?

Es handelt sich meist um Menschen mit hoher Bildung und einem guten Einkommen. Denn sie machen sich mit einer gewissen Grund-Skepsis auf die Suche nach Informationen und haben den Anspruch, alles selbst zu entscheiden und vor allem richtig zu machen: Schule, Ernährung, Sport… Entsprechend wollen sie auch bei medizinischen Fragen entscheiden können. Dann merken sie aber, dass das Thema ziemlich komplex ist. Bei Impfungen passiert es dann häufig, dass man die Entscheidung auf die lange Bank schiebt und nicht oder zu spät impfen lässt. (Auch interessant: Von #MeToo bis Mansplaining: Männer unter Druck in der Gesellschaft)

Eigentlich handelt es sich bei Impfungen nur um einen kleinen Pieks – dennoch haben viele Hemmungen davor. Wie kommt das?

Impfungen lösen eine Reaktion im Körper aus. Man geht gesund zum Arzt und plötzlich hat man eine Schwellung, der Arm schmerzt oder man fühlt sich schlapp. Bei Eltern kommt noch dazu, dass das Kind eine Spritze bekommt, bei der es nicht selten weint. Wenn man dann noch von Impfschäden liest, fragt man sich vielleicht schon, ob man sich oder seinem Kind das wirklich antun sollte. Kurz: Impfen ist für viele Menschen irgendwie gruselig. Deshalb brauchen wir mehr Informationen über das Thema.

Welche Informationen sind besonders wichtig?

Es ist grundsätzlich richtig, dass man nicht kritiklos jeder Empfehlung vertraut. Es gehört ja zur Mündigkeit des Bürgers, dass er auch staatliche Informationen hinterfragt. Allerdings gibt es weltweit Tausende von Wissenschaftlern, die die Wirksamkeit und Sicherheit von Impfstoffen überprüfen. Und diese Wissenschaftler sind keineswegs alle von der Pharmaindustrie bezahlt. Es gibt kaum Medikamente, die so gut überwacht werden wie Impfstoffe. Gerade die Skepsis hat dazu geführt, dass beispielsweise die Ständige Impfkommission in Deutschland Anti-Korruptionsregeln unterworfen ist, die ihresgleichen suchen. Deren Mitglieder dürfen sich nicht mal einen Kaffee von Impfstoffherstellern bezahlen lassen. In Deutschland gibt es jedes Jahr zig Millionen Impfungen, aber nur einzelne Fälle von ernsthaften Komplikationen. Das Risiko, dass bei einer Impfung etwas schiefgeht, ist viel, viel niedriger als das Risiko, das durch eine Infektionskrankheit entsteht. (Auch interessant: Erkältungsmythen im Check)

Woher kommt die weit verbreitete Impf-Skepsis?

Es gibt eigentlich nur eine kleine Gruppe vehementer Impfgegner, die für Argumente nicht mehr zugänglich sind. Die meisten Menschen sind schlicht verunsichert. Dazu tragen beispielsweise auch Studien bei, die behaupten, dass die Impfung gegen Masern Autismus begünstigt. Ein englischer Arzt, Andrew Wakefield, hat das 1998 in die Welt gesetzt. Seine Studie war nicht nur wissenschaftlich schwach, sondern sie war manipuliert. Wakefield hat seine Zulassung verloren und die Publikation wurde zurückgezogen. Inzwischen ist klar, dass Autismus bereits entsteht, wenn das Kind noch im Mutterleib heranwächst – also lange, ehe es überhaupt mit Impfstoffen in Berührung kommt. Und trotzdem geistert diese „Fake Science“ weiter herum. Wir brauchen also mehr Aufklärung. Es hat sich außerdem gezeigt, dass es sinnvoll ist, Menschen aktiv in ihrem Alltag aufzusuchen und beispielsweise Impfangebote in Betrieben und Schulen zu machen.

Was halten Sie von einer allgemeinen Impfpflicht, die immer wieder diskutiert wird?

Bislang ist die Impfquote bei uns in Deutschland bei den meisten Krankheiten recht hoch. Eine Impfpflicht könnte helfen, die Zahl derjenigen zu verringern, die beispielsweise die zweite Masern-Mumps-Röteln-Windpocken-Impfung schlicht vergessen. Die Diskussion über eine Impfpflicht birgt aber die Gefahr, dass Impfgegner in Talkshows oder zu Interviews eingeladen werden, in denen sie Impf-Mythen noch weiter verbreiten können als ohnehin schon. Der Bundestag diskutiert eine Masern-Impfpflicht für Kindergarten-Kinder, Lehrer, Erzieher und medizinisches Personal. Sie kann den falschen Eindruck erzeugen, dass andere Impfungen als gegen Masern nicht so wichtig sind und daher vernachlässigt werden können, also beispielsweise Impfungen gegen Röteln, Diphtherie oder Kinderlähmung. Und das wäre natürlich genau das falsche Signal. (So werden Sie eine Erkältung schneller wieder los)

Dieser Artikel wurde verfasst von (Maria Berentzen)

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