Schnell, billig, effizient – so muss Essen heute sein. Furchtbar findet das der ehemalige Sternekoch und Landwirt Franz Keller. Im Gespräch mit FOCUS Online spricht er von den Auswirkungen der Massentierhaltung und dem Irrsinn, Fleisch von gequälten Rindern als teures Luxusprodukt zu verkaufen – Stichwort: Kobe Beef.
Ein Pfund Schweinesteak gibt es im Supermarkt für unter zwei Euro. Hinter einem derart niedrigen Preis steckt meist ein schlecht bezahlter Landwirt. Und ein Schwein, das unter unwürdigen Bedingungen aufgezogen und geschlachtet wurde.
„Eine Katastrophe“, nennt Koch und Landwirt Franz Keller den Trend, Fleisch möglichst effizient, schnell und billig zu produzieren. Die Folgen: Massentierhaltung werde immer barbarischer, die Böden mit Gülle überdüngt, das Trinkwasser verseucht, Insekten und Vögel sterben, weil auf Äckern nur noch Monokulturen wachsen und das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat wütet.
Sternekoch gibt Auszeichnung freiwillig wieder ab
Franz Keller wirft mit solchen Thesen nicht nur um sich, er weiß ganz genau, wovon er spricht. Denn seit mehr als fünfzig Jahren beschäftigt sich der heute 68-Jährige mit gesunder Ernährung. Sein Weg führte ihn – wie er es selbst beschreibt – „hoch hinauf in den kulinarischen Sternehimmel und wieder zurück auf den fruchtbaren Boden auf meinem Falkenhof im Wispertal“.
1979 erhielt Keller als Koch seinen ersten Michelin-Stern, elf Jahre später den zweiten. Ein Lebenstraum für die meisten in seiner Branche. Doch für Keller legt die Sterneküche zu viel Wert auf den schönen Schein: auf das passende Ambiente, edles Tischgeschirr, „das ganze Brimborium“. Die Qualität des Essens spiele da nur eine untergeordnete Rolle, beklagt er.
Das schmeckt dem erfolgreichen Restaurantbesitzer nicht. Nach mehreren Jahren in der elitären Welt der Starköche gibt Keller seine beiden Sterne freiwillig wieder ab, zieht sich zurück auf einen eigenen kleinen Hof. Er will das Fleisch für seine Gäste in Zukunft selbst produzieren, um seinen eigenen hohen Ansprüchen gerecht zu werden.
Hält seine Rinder und Schweine mittlerweile selbst
„Ich musste erst Bauer werden, um den perfekten Genuss zu finden“, sagt er rückblickend. Keller beginnt mit zehn Rindern. Heute leben auf seinem Hof rund 50 Rinder, 30 Schweine, ein paar Kaninchen und Hühner. Die Tiere stehen draußen auf der Weide, haben genügend Auslauf, den Schweinen werden nicht die Schwänze abgeschnitten und sie werden drei Mal so alt wie in den meisten Massenbetrieben.
„Wer Fleisch isst, sollte Tiere lieben“, sagt Keller und fügt für alle Veganer und Vegetarier hinzu: Fleischessen und Tierliebe, das schließe sich nicht aus. So ist Keller aufgewachsen. Schon als kleiner Junge spielte er mit den Kaninchen der Großeltern, die er später selbst mit einem Genickschlag tötete und unter Aufsicht der Oma ausnehmen „durfte“. Das war für ihn schon immer selbstverständlich. Anja Jahn Franz Keller
Eine artgerechte Tierhaltung diene übrigens nicht nur dem guten Gewissen, sondern auch der guten Qualität, davon ist Keller überzeugt. Längst sei erwiesen, dass etwa lange Transportwege zum Schlachthof die Tiere derart in Stress versetzen, dass darunter auch der Zustand des Fleisches leidet. Eine vorbildliche Weidenhaltung sei „völlig für den Arsch“, so Keller, wenn am Ende durch den Transportstress die Qualität ruiniert werde.
Unwissenheit oder Ignoranz beim Fleischkauf?
Aber davon will der Kunde meist nichts wissen, wenn er vor dem Supermarktregal steht und nach dem billigsten Produkt sucht. Das stellt er sich dann in der heimischen Pfanne oder auf dem Grill vor, nicht aber als gequältes Lebewesen in einem von vielen Massenbetrieben, in denen etwa Gänse von Maschinen gepresste Kugeln aus Milch, Brötchen und geschrotetem Mais in den Hals gestopft bekommen, um ihre Nahrungsaufnahme zu beschleunigen.
In den Betrieben herrsche dauerhaft helles Licht, beschreibt Franz Keller, um den Schlaf-Wach-Rhythmus der Tiere zu stören. So entsteht eine Gänsestopfleber. Das Tier stand vermutlich noch nie in seinem Leben auf einer Wiese und hat wohl noch keinen Halm Gras gefressen.
Die Wahrheit hinter teurem Kobe Beef
Besonders widerwärtig wird es, wenn Tierleid auch noch als besonders luxuriös beworben und extrem teuer verkauft wird. Das teuerste Fleisch der Welt ist aktuell das Kobe Beef für bis zu 600 Euro pro Kilo. Es sei so schön marmoriert, weil die Rinder jeden Tag massiert werden, dabei Symphonien von Mozart lauschen und Bier statt Wasser zu trinken bekommen, so der Mythos.
Keller widerspricht: „Wer dieses schöne Märchen glaubt, hat von Fleisch wenig Ahnung und will es anscheinend auch dabei belassen.“ Letztlich sei die Kobe-Fleisch-Produktion eher vergleichbar mit der Produktion einer Gänsestopfleber. Die Rinder werden permanent mit Futter vollgestopft. Überschüssiges Fett setzt sich dann in Form von feinen Äderchen ins Muskelfleisch ab – so kommt die Marmorierung zustande.
„Die Viecher haben sicherlich keine oder kaum Bewegungsmöglichkeiten, müssen und können den ganzen Tag nur fressen und fressen“, kritisiert Keller.
Wenige Schlachthöfe, subventionierte Massenproduktion
Kobe Beef stammt aus Japan. In Amerika werden Rinder teils mit Popcorn gemästet, das nicht lange verdaut werden muss – so können sie in kürzerer Zeit mehr fressen. Und in Deutschland? Auch hierzulande beäugt Keller die Tierhaltung kritisch: Wir haben nur noch wenige zentrale Schlachthöfe, die immer größer werden. Die Tiere werden lange transportiert, schnell abgefertigt. Das versetze sie in Stress.
Ein weiteres Problem: In der deutschen Landwirtschaft werde vor allem Massenproduktion subventioniert, nicht aber Qualität. Von der Tierhaltung allein kann Keller nicht leben, obwohl er rund 40 Prozent mehr für seine Fleischerzeugnisse verlangt als der Durchschnittspreis auf dem Markt.
Geld in seine Kasse bringen vor allem die Gäste, die er auf seinem Falkenhof bewirtet, und das 25 Kilometer entfernte Restaurant, das mittlerweile sein Sohn führt. Hier kamen bereits berühmte Persönlichkeiten vorbei: Im Oktober 2007 speisten Angela Merkel und Wladimir Putin in der Adler Wirtschaft.
Seltener, dafür aber bewusster konsumieren
Wir leiden an einer „kollektiven Essstörung“, bezeichnet Keller die Situation in deutschen Küchen. Auf den Tellern landen mehr und mehr industriell produzierte Fertiggerichte statt frisch zubereitetes Essen. Der Mensch sollte sich darüber bewusst sein, dass er aus dem besteht, was er täglich zu sich nimmt – und das seien heutzutage zu viele „inhaltslose Lebensmittel“.
Ein Stück Fleisch von einem Tier, das schlecht ernährt wurde, liefere nicht dieselbe Menge an Vitaminen und Mineralstoffen wie ein Fleisch von einem Tier aus artgerechter Haltung. Das Prinzip gelte auch für andere Produkte, etwa für Salat, der mit Kunstdünger behandelt wurde, gegenüber einem naturbelassenen Salat.
Von den Konsumenten wünscht sich Keller, Fleisch seltener, dafür aber bewusster zu essen. Gesundes Gemüse sollte die Hauptspeise sein, artgerechtes Fleisch die Beilage.
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